US-amerikanische Bürgerrechtlerin

Marathon mit Hindernissen: Eine Begegnung mit Angela Davis

10. Okt. 2022 Michaela Dudley
Bild: Michaela Dudley
Michaela Dudley und Angela Davis

Die lesbische US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis war letzte Woche in Berlin zu Gast, um bei einer Kundgebung am Oranienplatz zu sprechen. Michaela Dudley, Autorin des Buches „Race Relations: Essays über Rassismus", beschreibt ihre Begegnung mit der Aktivistin der Black Power Bewegung

Als ich aus der U8 aussteige, ist es halb zehn Uhr morgens. Nach einer Woche voller Auftritte, die nachts absolviert wurden, wäre ich am liebsten weiter liegengeblieben. Aber heute bin ich gerne früh aus den Federn gekrochen, auch ohne das Dazutun der zwei gestellten Wecker. Denn der Tag war bei mir im Kalender rot angestrichen.

„Herbstlich willkommen“, flüstert mir die Oktoberluft entgegen. Indem ich das bei Fußgänger*innen berüchtigte Minenfeld am Moritzplatz betrete, muss ich angesichts der gleißenden Sonne blinzeln. Strahlendes Firmament. Ja, Kaiserwetter. Aber was bedeutet eigentlich Kaiserwetter, wenn die Folgen des Kolonialismus nach wie vor als finstere Wolken am Horizont lauern? Krieg und Vertreibung, Hetze und Armut, um nur einige solcher Übel zu nennen. Immerhin sind das ebenjene Themen, die diesen Morgen auf der Agenda stehen.

Ich flitze hinüber zum Oranienplatz. Das Ziel erkenne ich, während sich Google Maps noch am Kopf kratzt. Es ist ein Containerdorf. Seit ziemlich genau einer Dekade steht es da, und zwar als Anlaufstelle zur Selbstermächtigung geflüchteter Menschen. Ein Refugee-Camp also im Kreuzberger Ortsteil SO 36. Im Herzen dieser „Baustelle Migration“ steht ein Zelt, das nicht unbedingt als riesig bezeichnet werden kann. Mit Kundgebungen, Workshops und Diskussionsrunden feiert man zehn Jahre O-Platz. Der Andrang ist groß, obwohl sich der Zugang zur Pressekonferenz auf uns eingeladene Journalist*innen beschränkt. Akkreditierungsformalitäten, Sicherheitschecks. Auch und gerade in der alternativen Szene gilt, Safe Spaces gewährleisten.

„Wir beide sind queer und vegan"

Kabelgewirr, Kameras, Klappstühle. Zum Glück ist mein Platz ganz vorne. So sitze ich ihr, der Headlinerin, unmittelbar gegenüber. Zwei Schwarze Frauen knapp anderthalb Meter und siebzehn Jahre voneinander entfernt. Angela Davis wurde 1944 in Birmingham in Alabama geboren. Ihre Familie überlebte im Viertel „Dynamite Hill“ Bombenanschläge, die der Ku-Klux-Klan initiiert hatte, um das dort angesiedelte Schwarze Bürgertum zu vertreiben. Das Licht der Welt erblickte ich 1961 gleichsam im Schatten der Freiheitsstatue, wo die furchtbare Jim-Crow-Rassifizierung eher etwas subtiler zu spüren war, wiewohl nicht gewaltfrei. Auch ich entstammte der Mittelschicht. Wir beide sprechen gerne Deutsch und kennen dieses Land der Dichter und Denker, Richter und Henker schon seit Mauerzeiten. Zudem sind wir beide queer und auch vegan. Aber jene siebzehn Jahre, die uns trennen, waren ausschlaggebend. Die Ältere, die mit der samtweichen Stimme, wurde Anfang der 1970er Jahre zeitweilig zur meistgesuchten Frau des FBI. Als Bürgerrechtlerin, Dozentin und Revolutionärin ging sie in die Geschichtsbücher der Welt ein, und ja, sie erhielt natürlich Einzug in meinen deutschsprachigen Essayband Race Relations (2022):

„Freiheit sei eben ein ständiger Kampf, meinte die ikonische Soldatin mit Riesenafro. Es war Angela Yvonne Davis, deren Konterfei ich mit zehn Jahren auf meinem Reversknopf hatte. Diesen bekam ich 1971 von meiner älteren Cousine – die Aufschrift rief zu einer Free-Angela-Demo im Central Park auf."

Seit mehr als einem halben Jahrhundert wollte ich mich mit Angela persönlich unterhalten. Bereits 2015 hatte sie sich am O-Platz mit Aktivist*innen zum Austausch getroffen. Um einen Tag hatte ich sie damals verpasst. Nun ist sie zum Austausch zurückgekehrt, nun ist sie zum Greifen nahe. Ich bin sogar diejenige, die ihr die ersten Fragen in der Pressekonferenz stellen darf, vielleicht aus Altersgründen. Sie nickt, lächelt freundlich, hört mir aufmerksam zu, und zwar über meinen Fan-Girl-Moment hinaus.

Angela Davis: „Wenn man mir 1955 gesagt hätte, wir würden uns überhaupt zu meinen Lebzeiten mit den Rechten von Schwarzen Transgenderpersonen befassen, hätte ich es nicht geglaubt.“

In Anbetracht der Rückschritte, die uns aktuell und vermehrt widerfahren, was die jahrzehntelang mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpften Menschenrechte betrifft, möchte ich gerne wissen, ob und wie sie optimistisch bleibe. Die Verteidigung und Ausweitung dieser Rechte erklärt sie, um den Lieblingsausdruck einer anderen Angela aufzugreifen, grundsätzlich für alternativlos. Unsere Forderungen müssen ständig thematisiert werden, betont Ms. Davis, die dann auch von einer Art Synergieeffekt im Kampf gegen das Patriarchat spricht. Es gehe nicht ohne Solidarität mit und ja unter den marginalisierten Menschen, ob sie aus der Ukraine, dem Iran oder afrikanischen Staaten kommen. Sie fügt ausdrücklich hinzu, dass trans* Rechte Menschenrechte seien: „Wenn man mir 1955 gesagt hätte, wir würden uns überhaupt zu meinen Lebzeiten mit den Rechten von Schwarzen Transgenderpersonen befassen, hätte ich es nicht geglaubt.“

Klar, der Lauf um die Gerechtigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon mit Hindernissen. So betone ich in Race Relations. Doch es tut so gut, es auch von Angela Davis zu hören, einer Langstreckenläuferin, die auch mit 78 Jahren nicht daran denkt, mit dem Rennen aufzuhören.

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