Reportage

Manga, Comic und Co.: Was fasziniert Queers an Cosplay?

16. Mai 2024 Felix J. Jenkins
Bild: Jenkins Photography
Tony als Astarion von „Baldur's Gate 3“ (li.) und Levi als Shanks von „One Piece“ (re.)

Androgyne Anime-Figuren, schwule Mangas, enthusiastische Fans, die sich verkleiden und dabei Geschlechtergrenzen sprengen – es gibt eine große Schnittmenge zwischen der LGBTIQ*-Community, sowie der Cosplay-Szene. SIEGESSÄULE ist der Frage nachgegangen, was Queers daran so fasziniert

Teenager in quietschbunten Anime-Kostümen, die vor blühenden Kirschbäumen für Fotos posieren und dabei opulente Fantasiewaffen schwenken. Jung, bunt, schrill und von den Medien auch mal als „bizarr“ oder „skurril“ abgetan. Es geht natürlich um „Cosplay“ (ein Wortspiel aus „Costume“ und „Play“). Diese Klischees vermitteln jedoch einen sehr unvollständigen ersten Eindruck. Was als Nischenhobby auf US-amerikanischen Science-Fiction- und Comic-Conventions begann, entwickelte sich im Japan der 1980er-Jahre zum Kultphänomen und ist heute ein Teil der weltweiten Popkultur.

Cosplayer*innen schlüpfen in die Rollen ihrer Lieblingscharaktere aus Animes, Mangas, Filmen und Büchern und investieren viel Arbeit, die Outfits der Figuren aufwendig zu rekonstruieren und nachzuschneidern. Anders als das Klischee vermuten lässt, geht es bei Cosplay nicht nur um Eskapismus. Im Gegenteil bietet Cosplay vielen Fans die Möglichkeit, ihre Fandoms (Fangemeinden) aktiv mitzugestalten, anstatt diese Medien nur passiv zu konsumieren. Viele Fans fühlen sich aber nicht nur durch ihre Leidenschaft für dieselben Comics oder Videospiele verbunden, sondern auch durch ihre Zugehörigkeit zur LGBTIQ*-Community. Für sie kann die Cosplay-Szene ein Raum der queeren Selbstfindung und ein Safer Space sein.

Bild: Jenkins Photography

So war das zum Beispiel bei Levi (28) und Susi (27). Die beiden sind ein Paar aus Potsdam, das durch Fandoms zusammengefunden hat. Sie tragen gern Outfits aus Anime-Serien wie „Attack on Titan“ und „One Piece“, aus Marvel-Filmen oder eigene Designs, basierend auf dem Universum von Tolkien. Ihre Sexualität haben sie gemeinsam in der Szene ergründet. „Bevor du mich kanntest, dachtest du, du wärst straight”, sagt Susi zu Levi, und beide lachen.

Spiel mit Genderrollen

Levi ist nicht binär und benutzt Er-Pronomen. Durch Cosplay entdeckte er zum einen, dass er queer ist. Zum anderen half ihm Cosplay auch gegen Genderdysphorie. Zehn Jahre lang ekelte er sich vor sich selbst und trug ausschließlich maskuline Outfits. Das Kostüm gab ihm Selbstsicherheit: „Mir fehlte ein Stück Persönlichkeit, also suchte ich Charaktere, mit denen ich mich identifizieren konnte. Und die sind immer männlich.“ Mittlerweile wagt er sich sogar wieder an feminine Kostüme.

„Mir fehlte ein Stück Persönlichkeit, also suchte ich Charaktere, mit denen ich mich identifizieren konnte. Und die sind immer männlich.“

Anders als Levi wusste Susi schon früh, dass sie nicht hetero ist. Für ihre ersten Cosplays schlüpfte sie in die Rolle maskuliner Charaktere. Das ermöglichte auch ihr, sich näher mit ihrem Geschlecht zu beschäftigen: „Durch Cosplay konnte ich abgrenzen, dass ich nicht trans bin”, sagt sie und fügt amüsiert hinzu: „Aber es ist auch mal schön, ohne Titten rumzulaufen.“

Auch Tony aus Berlin (26), die*der mit den beiden befreundet ist, kaufte sich für maskulines Cosplay den ersten Binder, ist inzwischen aber auch ohne abgebundene Brust glücklich: „Ich kann ausprobieren, ohne mich festlegen zu müssen.“ Diese Freiheit half Tony, sich als genderfluid einzuordnen. Tony trägt Kostüme aus „Star Wars“, „Baldur’s Gate“, „Overwatch“ und „Witcher“. Viel Fantasy und Sci-Fi, etwas Horror und vor allem uneingeschränkt von binären Genderrollen. Tony spielt außerdem Liverollenspiele, eine Form immersiven Theaters, bei der Spieler*innen in verschiedene Rollen schlüpfen und improvisieren. Die Community teilt eine große Schnittmenge mit Cosplay. Über sie folgte Tonys zweites Coming-out als demisexuell, polyamourös und panromantisch.

Subtiler Protest gegen Hetero-Mainstream

Cosplay ist aber nicht nur ein kreativer Spielplatz, um mit Geschlechterrollen zu experimentieren. Das Hobby kann auch als subtiler Protest gegen fehlende queere Repräsentation im Mainstream gewertet werden. Bis heute tauchen LGBTIQ*-Figuren in einigen Franchises gar nicht oder nur am Rande auf. Hier kommen Cosplayer*innen ins Spiel, die sich die Charaktere aneignen und z. B. in Fotos zu zweit als schwules oder lesbisches Paar bzw. „Ship“, wie es in der Szene heißt, posieren.

Die Cosplay-Szene nehmen Tony, Levi und Susi zwar nicht als queer-aktivistisch, aber durchaus als progressiv wahr. „Eine Gemeinschaft aus queeren Außenseiter*innen ist in ihrer Existenz schon politisch”, findet Susi. „Man ist aber auch in einer Bubble unterwegs“, merkt Tony in Bezug auf die Liverollenspiel-Szene an. Mittelalter-Rollenspieler*innen seien oft der vorsintflutlichen Ansicht, man solle stets das eigene Geschlecht darstellen. Auch auf Cosplay-Treffen gebe es intolerante Personen. Trotzdem findet Tony, dass Cosplay eine tolle Möglichkeit ist, sich abseits der Partyszene auszuleben: „Es gibt genug queere Leute, die keine Lust haben auf Techno und Drogen im Club.” Vor allem in Vorstädten und sogar in Berlin gebe es nur wenige jugendfreie LGBTIQ*-Spaces, merkt Susi an. Diese hätte sie früher sehr gebraucht.

Cosplay und LGBTIQ* scheinen perfekt zusammenzupassen. So ist das Cosplay-Skillset fast deckungsgleich mit dem von Drag und auf vielen Conventions gibt es Cosplay-Shows. In beiden Fällen ist das Outfit zentral, nicht das Geschlecht. Susi vermutet, dass Drag-Artists und Cosplayer*innen einen ähnlichen Weg hinter sich haben: „Wir können uns frei entfalten. Manche merken dadurch, dass sie trans* sind.” Mit einem Blick auf ihren Partner Levi ergänzt sie lachend: „Oder man merkt auf einmal: Scheiße, ich bin gay!“

Event-Tipp über Pfingsten:
MMC-BERLIN,
Mega Manga Convention Berlin – Treffen für Fans von Manga, Anime, Comics und Popkultur,
18.05.–20.05.2024,
Fontane-Haus Kulturzentrum,
mmc-berlin.com

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