Madita Oeming: „In Pornofeindlichkeit steckt Queerfeindlichkeit"
Obwohl Pornografie zur Alltagskultur gehört, fristet ihre Erforschung ein Nischendasein im deutschen Wissenschaftsbetrieb. Die Pornofeindlichkeit bildungsbürgerlicher Institutionen gehe dabei Hand in Hand mit Queerfeindlichkeit, argumentiert die Referentin für sexuelle Bildung Madita Oeming
„Pornowissenschaftlerin“ prangt es auf meiner Visitenkarte und in meiner Instagram-Bio – als gäbe es das. In Wirklichkeit existiert in Deutschland kein Institut, kein Lehrstuhl, absolut nichts, was die Pornowissenschaft als solche institutionalisieren würde. Dabei legte Filmwissenschaftlerin Linda Williams mit „Hard Core“ schon in den 80ern einen Grundstein für die „Porn Studies“, die im englischsprachigen Raum mittlerweile immerhin so etabliert sind, dass sie einen Wikipedia-Eintrag und ein Fachjournal vorweisen können. In Deutschland hingegen musste es 2024 werden, bis sich – meines Wissens erstmalig – eine bundesweite, interdisziplinäre Gruppe Pornoforschender zusammenfand, um überhaupt mal zu diskutieren, ob wir ein Feld sein können. „Ja!“, lautete unsere Antwort nach drei Tagen, in denen wir uns zwar nicht auf eine Arbeitsdefinition von Pornografie einigen konnten, doch aber nachdrücklich auf die Relevanz ihrer Erforschung. Eigentlich ein No-Brainer, wenn Pornhub mehr Traffic hat als Netflix. Porno ist Alltagskultur. Sollten wir dafür nicht ein grundlegendes Verständnis haben?
Feindbild Pornografie
Menschen haben Sex schon immer dargestellt, von der Höhlenmalerei bis zum Bewegtbild. Trotzdem klammern mediengeschichtliche oder filmtheoretische Vorlesungen und Sammelbände das Pornografische gekonnt aus. Weil bildungsbürgerliche Institutionen „entkörpert“ und lustfeindlich sind. Weil Porno als Subkultur Normen infrage stellt. Wie beim Karneval liegen seine Wurzeln in der Obrigkeitskritik. Jene Obrigkeiten versuchen, es seit jeher zu kontrollieren. Sie fürchten soziale Unordnung, den Bruch mit dem Status quo. „Echte Männer gucken keine Pornos“, erklärte kürzlich ein AfD-Spitzenkandidat. Konservative bis rechte Gruppen sind antiporno, weil sie traditionell-christliche Werte und ein bürgerliches Heterokernfamilien-Bild gegen progressive Lebensentwürfe und nicht normative Sexualitäten verteidigen wollen.
Porno war und ist queere Kultur und Widerstand.
Porno war und ist queere Kultur und Widerstand. Schwule Pornokinos waren „Cruising Areas“, noch bevor es diesen Begriff gab. Heute gibt es eine lebhafte queere Pornoszene. In einem Bildungssystem, das über queeren Sex schweigt, und einer Medienlandschaft, die diesen noch immer weitestgehend unsichtbar macht, kommt Pornos nicht nur eine informierende, sondern auch eine identitätsbestätigende Funktion zu. Für viele queere Jugendliche sind Pornos elementarer Teil ihrer sexuellen Selbstfindung. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass es auffällig viele queere Personen in der Pornoforschung gibt. Mit anderen Worten: In der Pornofeindlichkeit der Wissenschaft steckt auch Queerfeindlichkeit.
Damit sich etwas in den heiligen Hallen der Wissenschaft etablieren kann, müssen sich die alten weißen hetero Herren damit beschäftigen. Aber die widmen sich, wenn, dann der sozial- oder naturwissenschaftlich ausgerichteten Pornowirkungsforschung, die sich primär darum dreht, die Schädlichkeit von Pornos zu beweisen. Forschungsgelder fließen hier mit Leichtigkeit, werden aber am liebsten für die immer gleiche Frage nach vermeintlich pornoinduzierten Erektionsstörungen verballert. Ja, ich werde zynisch. Weil ich frustriert bin von einer Institution, die sich Fortschritt auf die Fahnen schreibt, aber normativ und rückwärtsgewandt agiert. Beatrix von Storch hat mir mal Steuergeldverschwendung vorgeworfen. Wegen eines Lehrauftrags! Der je nach Bundesland bekanntlich mit knapp 1000 Euro (pro Semester) vergütet wird. „Wie viele studierte Pornospezialisten kann sich ein Wirtschaftsstandort wie Deutschland denn leisten?“, fragte damals die AfD im Bundestag, und ich wünschte, das wäre ein legitimes Haushaltsproblem.
Porno ist ein Massenphänomen, das im deutschen Unibetrieb ein Nischendasein fristet.
Tatsächlich handelt es sich vielmehr um wenige unter- bis unbezahlte akademische Einzelkämpfer*innen. Porno ist ein Massenphänomen, das im deutschen Unibetrieb ein Nischendasein fristet. Kein Wunder, denn die institutionellen Hürden sind hoch. „Wollen Sie wirklich für immer die Pornoperson sein?“, fragten auch mich besorgte Professor*innen, als ich nach einer Porno-Masterarbeit die Porno-Promotion anstrebte. Ich würde mir die Karriere damit verbauen. Nun habe ich mir eine daraus gebastelt. Und trotzdem trage ich den Porno-Stempel, und dafür braucht man oft ein dickes Fell – gegen dumme Sprüche, Sexualisierungen, subtilen Gegenwind bis hin zu aggressiven Anfeindungen. Wer zu Pornos forscht, ist Projektionsfläche für Ängste und Fantasien.
Zwei Herzen schlagen darum in meiner Brust, wenn Studierende mir schreiben, dass sie an ihren Porno-Abschlussarbeiten sitzen. „Tut euch das nicht an!“, sagt das eine. Und: „Bitte sprengt das System!“, das andere. Die Pornowissenschaft kann sich nur als Graswurzelbewegung durchsetzen. Bis das gelingt, benutze ich weiter meine ausgedachte Berufsbezeichnung, vielleicht auch in der Hoffnung, dass Sprache Realitäten schaffen kann und irgendwann irgendwer irgendwo wirklich und wahrhaftig ausgebildete, zertifizierte Pornowissenschaftler*in sein wird. Auf Staatskosten.
Madita Oeming ist unabhängige Pornowissenschaftlerin, sexuelle Bildungsreferentin, Dozentin des „Pornoführerscheins“ bei Teach Love und Autorin von „Porno – eine unverschämte Analyse“ (Rowohlt)
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