Machtwechsel in Polen: Leere Versprechen an die LGBTIQ*-Community?
Polen gilt nach acht Jahren unter der PiS-Regierung EU-weit als einer der queerfeindlichsten Staaten. Mit dem Machtwechsel und den Wahlversprechen des neu amtierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk hat sich die Community eine Zeitenwende erhofft: Tusk versprach u. a. innerhalb von 100 Tagen die eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft einzuführen. Über 100 Tage später scheint sich queer-politisch wenig in Polen zu bewegen. Wir sprachen darüber mit polnischen LGBTIQ*-Aktivist*innen
Als sich im Oktober des vergangenen Jahres herauskristallisierte, dass sich die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach acht Jahren Amtszeit endlich von der Opposition geschlagen geben musste, machte sich unter queeren Menschen in Polen eine Welle der Erleichterung und Euphorie breit. Das sowieso schon erzkonservativ geprägte Land war zwischen 2015 bis 2023 von Rechtsnationalisten regiert worden, die sich queere Identitäten als Zielscheibe für ihren Hass ausgesucht und das Leben für viele zur regelrechten Hölle gemacht haben. „Ein Albtraum“ sei nun zu Ende gegangen, schrieb der bekannte LGBTIQ*-Aktivist Bart Staszewski damals auf dem Kurznachrichtendienst X.
Die Wahlversprechen der Koalition von Donald Tusks Bürgerplattform (PO) mit den Parteien Dritter Weg (Trzecia Droga) und der linksliberalen Lewica stellten eine Zeitenwende in Aussicht. Die neue Tusk-Regierung kündigte an, Polen auf einen proeuropäischen Kurs zurückzubringen und die Politik der PiS-Partei rückgängig zu machen. So versprach Tusk etwa die Einführung von eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften binnen 100 Tagen nach der Machtübernahme. Auch ein Gesetz für trans* Personen, das den rechtlichen Prozess zur Geschlechtsanerkennung vereinfachen sollte, stand auf der Agenda.
Konservative Regierung hinter liberaler Rhetorik
Die anfängliche Hochstimmung der queeren Community weicht allerdings nach und nach einem Gefühl der Ernüchterung. Die Bilanz nach über 100 Tagen Tusk-Koalition: „Wir haben zwar eine neue Regierung, aber wir haben immer noch dieselben Gesetze“, erzählt die queere Aktivistin Anna Maziarska gegenüber SIEGESSÄULE. Bestrebungen, beispielsweise die versprochene eingetragene Partnerschaft einzuführen, seien nicht erkennbar. Der einzige Erfolg bisher sei die Einstellung der Gleichstellungsministerin Katarzyna Kotula. Das sei unter anderem den Bemühungen des Warszawska Rada Kobiet zu verdanken – des Frauenrats innerhalb der Warschauer Lokalregierung, in dem die 21-jährige Anna als jüngstes Mitglied mitwirkt. Katarzyna Kotula soll queere und feministische Themen in den Vordergrund rücken. Eine Herkulesaufgabe innerhalb einer amtierenden Regierung, die jede Ausrede zu nutzen scheint, diesen Prozess zu bremsen.
„Die Regierung sagt seit Oktober, dass sie sich erst noch finden muss. Dass es sich noch um die Anfangsphase handelt. Wie viel länger sollen wir warten?“, fragt Anna. Das zähe Vorankommen sei mitunter dem immer noch großen Einfluss der PiS-Partei geschuldet. Die Nationalkonservativen haben zwar keine Regierungsmehrheit mehr im Parlament, sind allerdings aus den Wahlen als stärkste Kraft hervorgegangen (35 Prozent der Stimmen). Zudem ist der parteilose Andrzej Duda, ehemals PiS-Parteimitglied, weiterhin Präsident. Er repräsentiert das Land nach außen, kann Einfluss auf Gesetze nehmen und Reformen blockieren. Duda war es auch, der queere Menschen 2020 als „Ideologie“ dämonisierte. Für Teile der neuen Regierung sei Dudas Haltung aber auch ein willkommenes Geschenk, da sie ihn jederzeit als Ausrede für Tatenlosigkeit vorschieben könnten. „Sie versuchen es nicht einmal“, so Anna.
„Die tun das, was ihnen Profit bringt. Wenn queere Lebenspartnerschaften profitabel werden, dann werden sie diese auch einführen.“
Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein da: „Die Regierung ist konservativ und versucht es gekonnt, mit ihrer liberalen Rhetorik zu verstecken. Wenn man zwischen den Zeilen liest, ist es aber offensichtlich“, erzählt die queere Aktivistin, Rapperin und DJ Lulu Zubczyńska. Besonders der Dritte Weg, das proeuropäische Wahlbündnis aus konservativen und liberalen Parteien, sei einer der „Gatekeeper“ von LGBTIQ*-Rechten. „Die tun das, was ihnen Profit bringt. Wenn queere Lebenspartnerschaften profitabel werden, dann werden sie diese auch einführen. Wahrscheinlich, wenn sie in zwei Jahren das nächste Mal unsere Stimmen benötigen“, hofft Lulu. Sowohl Anna als auch Lulu wünschen sich neben der gesetzlichen Veränderung vielmehr einen tiefgründigeren Wandel in der Gesellschaft. „Was die Leute oft vergessen: Die Regierung hat sich verändert, aber die polnische Gesellschaft nicht. Du siehst es in den Dörfern und ländlichen Regionen, wo Händchenhalten mit queeren Partner*innen noch ein Tabu ist. Oder an den Hasskommentaren in den sozialen Medien“, erzählt Lulu.
Trauma anerkennen und aufarbeiten
Die langjährige Regierung der PiS-Partei habe einem Hass, der schon vorher in der Gesellschaft verankert war, Feuer gegeben – und dieses lodere weiter. Da können auch vereinzelte Auftritte von queeren Personen im polnischen Staatsfernsehen nicht viel wiedergutmachen, findet Anna. Im Januar entschuldigte sich etwa der TVP-Moderator Wojciech Szeląg laut polnischen Medienberichten bei der LGBTIQ*-Community dafür, dass sie jahrelang durch Hassreden als Sündenbock diffamiert worden sei. Der Sender galt als Propaganda-Sprachrohr der PiS, soll nun aber unter Tusk unabhängiger und liberaler werden. „LGBTIQ*-Personen sind keine Ideologie, sondern Menschen: mit Namen, Gesichtern, Liebsten und Freunden“, erklärte Szelag im Namen des TVP und legte mit einem „Es tut mir leid“ nach. Auch Polens Justizminister, Adam Bodnar, entschuldigte sich im Februar für „das Leid, das queeren Menschen durch den polnischen Staat“ zugefügt wurde.
„Es reicht nicht, sich zu entschuldigen und dann ins Tagesgeschäft überzugehen.“
Viele sehen in den öffentlichen Entschuldigungen einen Versuch, das Image der Regierung aufzupolieren. Anna prangert Tokenismus an. „Es reicht nicht, sich zu entschuldigen und dann ins Tagesgeschäft überzugehen“, sagt sie. Die Aktivistin, die in Warschau aufgewachsen ist, wünscht sich, dass das Trauma der queeren Community in Polen anerkannt und aufgearbeitet wird. Nur so könne es eine wahre Zeitenwende geben. „Jeden Tag mussten wir das Gesetz bekämpfen. Und nicht jede*r hat es geschafft. Wir haben zu viele trans* und queere Jugendliche, die sich von Brücken gestürzt haben“, sagt sie und bezieht sich dabei auf die überproportional hohe Suizidrate unter queeren Kindern und Jugendlichen in Polen. „Ein queeres Pärchen im TV oder aktivistische Graffiti an Hauswänden werden nicht das System ändern, das die letzten acht Jahre hier herrschte. Es muss einen mentalen Wandel geben. Und wir müssen gemeinsam als Gesellschaft die Arbeit reinstecken.“
Hoffnung sehen Anna und Lulu dabei vor allem in der queer-feministischen Community in Polen, die in der gemeinsamen Mobilisierung gegen den steigenden Hass in den vergangenen Jahren nur noch enger zusammengewachsen ist.
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