Lynks: „Scham und Freude sind in die queere Erfahrung eingebacken“
Der maskierte Undergroundstar aus London brachte erst vor zwei Wochen sein neues Album „Abomination“ an den Start. Jetzt tourt Lynks durch Europa und präsentiert am 2. Mai die neuen Songs live in Berlin. SIEGESSÄULE bat den Electropunk-Musiker zum Interview
„David Bowie Made Me Gay“ heißt ein Buch von Darrly W. Bullock. Gibt es Musik, die dich gay gemacht hat? Oder die eine besondere Bedeutung für dich als LGBTIQ*-Person hat? Um ehrlich zu sein, unter dem Einfluss von Lady Gaga als größten Popstar auf dem Planeten aufzuwachsen, hat sicherlich eine Rolle gespielt …
Der Untertitel von Bullocks Buch lautet „100 Jahre LGBT Musik“. Wo siehst du deine eigene Musik und wo platzierst du sie in der Geschichte und Entwicklung queerer Musik? Na ja, ich müsste wohl ein hochgradiger Narzisst sein, um mich selbst als Teil der queeren Geschichte zu sehen … auf dem Level bin ich noch nicht ganz! Aber wenn es etwas Neues gibt, was ich beitragen kann, dann ist es wohl, dass ich über die unpolierten und unschönen Seiten des Queerseins schreibe. Ich find es spannender darüber zu schreiben als immer einen auf slay und perfekt zu machen.
In Deutschland machen, im Gegensatz zu englischsprachigen Plattformen, viele Kritiker*innen und Nachrichtensender die Sexualität der Künstler*innen gar nicht erst zum Thema. Sie sagen, es sei „Privatsache“ oder „nicht wichtig“. Wie fühlt sich das für dich an, wenn deine Sexualität im Zusammenhang mit deiner Musik und Person diskutiert wird? Ganz ehrlich? Ich hab das Gefühl, dass all meine Hetero-Friends aus der Musikszene Fragen zu ihrer Musik gestellt bekommen, wie sie ihre Alben aufgenommen haben, zum künstlerischen Prozess dahinter, wie es ist auf Tour sein etc., und alles, was ich gefragt werde, hat mit meiner Queerness in der Musikindustrie zu tun. Fair, davon handelt meine Musik nun mal auch. Aber ja, es gibt eine Balance. Und ich finde, die sollte vom Künstler selbst bestimmt werden. Also, wenn du ein Künstler wie ich bist und Queerness in deiner Musik im Vordergrund steht, dann sollten Publizierende nicht davor zurückschrecken, drüber zu reden. Aber wenn du Künstler bist, der zufällig auch queer ist, aber es nicht so sehr zum Thema macht, sollten dir nicht mehr Fragen zur Sexualität gestellt werden als deinem heterosexuellen Kollegen.
Dein Album trägt den Titel „Abomination“ (dt.: Gräuel) – ein Wort, das viele (biblische) Assoziationen hervorruft. Mit welchem Gräuel setzt sich das Album auseinander? Es gibt eine Passage in der Bibel, in der es heißt: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ Als schwules Kind ist es so eine Art Übergangsritual, dass man googelt, was die Bibel über Homosexualität sagt, und daraufhin diese Passage findet. Es ist verrückt, wie viel Schaden das Wort bei queeren Menschen global angerichtet hat. Ich mochte die Idee, das Wort zu „reclaimen“ und als Ehrenabzeichen zu benutzen.
Du singst in „What do you expect from sex with a stranger?“ über anonymen Sex. Warum wolltest du über dieses „klassisch“ schwule Thema einen Song schreiben? Ehrlich gesagt schreibe ich einfach nur Songs darüber, was ich im Moment durchmache. Es gab eine Phase, da hatte ich eine komische Beziehung zu Grindr und anderen Dating-Apps. Da hab ich durch die vielen männlichen Gesichter von Grindr wie durch meinen TikTok-Feed gescrollt. Nur um Zeit totzuschlagen, aus Langeweile. Lockerer und auch anonymer Sex kann sehr spaßig und sogar erfüllend sein, aber ich denke, es muss aus einer Haltung von Stärke, Respekt und Selbstvertrauen kommen. Nicht aus Langeweile oder Unsicherheit. Ansonsten kommt einem schnell das Menschliche abhanden. Darum geht es auch in meinem Song.
„Uns wird nicht vorgelebt, wie Älterwerden als queere Person aussehen kann, und ich glaube, diese Ungewissheit lässt uns all das ablehnen, was uns ans Altern erinnert.“
Das Video zu „Sex With a Stranger“ zeigt viele trainierte maskuline Körper. Ist Queer Pop nur etwas für „heiße“ und „attraktive“ Menschen in den 20ern und 30ern? Wo siehst du dich selbst in 20 Jahren? Ich würde sagen, dass diese Beobachtung nicht nur für Queer Pop gilt. Das ist eher eine Reflexion der gesamten Pop-Musikindustrie. Wenn du mir eine choreographierte Tanzperformance finden kannst von einem Mainstream-Popstar mit Tänzer*innen, die um die 40 sind, werde ich mein Statement zurücknehmen. Aber ja – unsere Welt ist voller Ageism. Insbesondere in der queeren Community. Uns wird nicht vorgelebt, wie Älterwerden als queere Person aussehen kann, und ich glaube, diese Ungewissheit lässt uns all das ablehnen, was uns ans Altern erinnert. Das ist ein bisschen abgefuckt. Aber ich hoffe, dass die Dinge in 20 Jahren anders sein werden. Und ich hoffe, dass ich genau das mache, was ich jetzt mache! Das Gute daran, dass ich eine Maske trage, ist, dass ich mir das Geld für Botox sparen kann.
In einer Pressemitteilung schreibst du, dass du dich in deinem Album mit „entsetzlicher Scham“ und „hedonistischer Freude“ auseinandersetzt, als zwei Extrempunkte. Scham und Freude sind wohl beide in die queere Lebenserfahrung eingebacken. Als schwuler Mann in seinen späten 20ern, war ich in jeder Serie, jedem Film, „Comedy Special“ oder in jedem beiläufigen Gespräch Zielscheibe von Spott. Schwuler Sex, eine effeminierte schwule Stimme, weibliche Hobbys, flamboyante Kleidung – so viele Aspekte davon, wer wir sind, wurden immer wieder von „edgy“ 2000er-Serien ins Lächerliche gezogen. Wenn das die Kultur ist, in der man groß wird, fängt man an, über die eigene Persönlichkeit zu cringen. Ein schlimmes Gefühl. Und es dauert lange, das aufzuarbeiten. Ich bin so dankbar für Lynks, ehrlich, denn ohne Scham Queerness auf der Bühne ausleben zu können, hat mir geholfen, all dies hinter mir zu lassen. Und wenn man es erstmal hinter sich lässt, kommt immense Freude. Man kann sein Leben ausleben unabhängig von den Erwartungen der heterosexuellen Gesellschaft.
Ein anderer Song heißt „New Boyfriend“. Haben einige deiner „Boyfriends“ den Song kommentiert? Und da du als Braut-in-weiß herumtanzt: Ist Heirat etwas, worüber du nachdenkst? Ha! Kein Kommentar.
Du erwähnst Peaches, M.I.A., Courtney Barnett und Janelle Monáe als Inspirationen. Was gefällt dir an ihnen? M.I.A.‘s Beats, insbesondere auf ihren ersten zwei Alben, sind einfach auf einem anderen Level. Und wie sie rappt ist so gut; langsam, sing-songy, unseriös, und geht direkt ins Ohr. Ich liebe sie. Ich denk mir immer, „was würde M.I.A. tun?“, wenn ich mal festhänge. Courtney Barnett ist für mich eine Person, die nicht zurückschreckt, Humor in ihren Songs zu verwenden, ohne dass es „Comedy“ ist. Wie sie schreibt und singt, insbesondere auf ihrem ersten Album, ist sehr inspirierend für mich. Von Janelle Monáe war ich ein Riesenfan als ich jünger war – etwa um die Zeit von „The Archandroid“. Ich glaube, es hat mich einfach fasziniert, dass sie sich von allem losgelöst hat, was von ihr zu der Zeit erwartet wurde. Immer diese schwarz-weißen Anzüge zu tragen und einfach ein afrofuturistisches Sci-Fi-Konzeptalbum als Debüt zu droppen?! Ich meine, wer würde das sonst tun? Mutig! Und dazu ist sie eine unglaubliche Performerin.
„Die Anonymität ist ein wundervolles Nebenprodukt.“
Was hat es mit den Outfits und Masken auf sich – öffnet die Anonymität neue Türen? Ich mag das gerne so beschreiben, wie diese Greenscreen-Anzüge mit all den kleinen weißen Punkten, durch die du dich in alles, was du willst, verwandeln kannst. Ich würde mit der Hälfte meiner Ideen nicht durchkommen, wenn ich keine Maske tragen würde. Die Anonymität ist ein wundervolles Nebenprodukt.
Du wirst im kommenden Mai in Berlin ein Konzert geben. Kennst du die Stadt – und worauf freust du dich hier schon, abgesehen vom Konzert? Ich kenn die Stadt kaum! Ich bin einmal hergekommen als ich 17 war und hab erfolglos versucht, in all die Clubs zu kommen. Aber ja – es ist die letzte Headline-Show der Tour, also steht Feiern auf der Liste. Falls uns jemand die Stadt zeigen möchte, bin ich dabei!
SIEGESSÄULE präsentiert
Lynks (Live)
02. Mai 2024, 19:00
Privatclub
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