Lücken und Tücken bei der PrEP-Versorgung
Mindestens 30.000 Menschen, vor allem schwule Männer, nehmen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts inzwischen die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zum Schutz vor einer HIV-Infektion. Das ist zweifellos ein Erfolg. Doch die Regularien bedürfen einer Überarbeitung. Ist z. B. wirklich eine Dauermediaktion notwendig, wenn man die PrEP nur für ein Sexdate benötigt? Ein Gespräch mit dem Sprecher der Deutschen Aidshilfe, Holger Wicht
Die Deutsche Aidshilfe (DAH) sieht das Potential der PrEP längst nicht ausgeschöpft. Für welche weiteren Personengruppen, die bislang von dieser Schutzmöglichkeit eventuell noch gar nicht wissen, käme die PrEP denn in Frage? Wir wollen gerade weg vom reinen Denken in Gruppen, hin zur individuellen Frage: „Könnte die PrEP die geeignete Schutzmethode für mich sein?“ Prinzipiell ist sie für alle Menschen mit HIV-Risiko geeignet. Sie kann Menschen zuverlässig schützen, für die andere Methoden problematisch sind, etwa weil der Kondomgebrauch nicht allein in ihrer Hand liegt oder nicht immer gelingt. Sie kann, wenn gewünscht, ermöglichen, auf Kondome zu verzichten. Sie kann Ängste vor einer HIV-Infektion nehmen. Die PrEP kann also auch zum sexuellen Wohlbefinden beitragen. Und das gilt eben nicht nur für bestimmte Gruppen oder Menschen mit sehr hohem Risiko.
Lassen sich trotzdem Beispiele benennen, wer von der PrEP noch profitieren könnte? Es gibt zum Beispiel Sexarbeiter*innen, für die die PrEP geeignet wäre, als zusätzliche Sicherheit oder weil sie unter finanziellem Druck auf Kondome verzichten. Auch in der reisemedizinischen Beratung sollte sie angeboten werden, denn viele HIV-Übertragungen beim heterosexuellen Sex passieren auf Reisen in Länder, wo HIV häufig vorkommt. Aber auch viele schwule Männer wissen noch nicht über die Möglichkeiten der PrEP Bescheid oder kommen nicht so leicht ran.
„Den meisten Menschen wird die PrEP schlicht nicht angeboten.“
Wo ist der Zugang zur PrEP derzeit noch besonders erschwert? Den meisten Menschen wird die PrEP schlicht nicht angeboten. Das zweite Problem sind Versorgungslücken: Abseits der Metropolen gibt es viel zu wenige Praxen und Ambulanzen, teilweise richtige weiße Flecken auf der Versorgungslandkarte. Und auch Menschen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung müssen Zugang bekommen!
Weshalb konnte in Flächenländern und im ländlichen Raum die PrEP-Versorgung bislang nicht ausgebaut werden? In kleineren Städten gibt es viel zu wenige auf HIV spezialisierte Einrichtungen, auf dem Land meist gar keine. Deswegen sollten zum Beispiel auch hausärztliche Praxen in die PrEP-Versorgung einbezogen werden, wie es in Frankreich beispielsweise schon geschieht.
Auch Frauenärzt*innen und andere Fachärzt*innen könnten sich ja an der PrEP-Versorgung beteiligen. Doch nur wenige bieten die PrEP tatsächlich an. Woran liegt das? Viele haben die PrEP sicherlich einfach noch nicht auf dem Schirm oder denken, die sei für ihre Patient*innen nicht geeignet. Auch Ärzt*innen sehen die PrEP oft noch als Maßnahme für schwule Männer. Eine wesentliche Hürde ist der Fortbildungsaufwand, um die PrEP auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verschreiben zu dürfen. Ärzt*innen müssen unter anderem mindestens zwei Tage bei Spezialist*innen hospitieren. Das tun sich die meisten nicht an. Dabei ginge es viel einfacher, etwa mit E-Learning-Angeboten. Und die Beratung könnte teilweise auch in Checkpoints der Aidshilfen laufen.
„Wer die PrEP nutzen möchte, sollte sie auch bekommen – meist haben die Menschen gute Gründe dafür, die niemand anderes bewerten sollte.“
Ursprünglich war die PrEP für Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko gedacht. Heute erhält faktisch jeder Mann*, der Sex mit Männern* hat (MSM), die PrEP – wenn er sie möchte. Wie schätzt die DAH diese Entwicklung ein? Schwule und bisexuelle Männer haben, sofern sie nicht monogam oder enthaltsam leben, automatisch ein erhöhtes HIV-Risiko, einfach weil in dieser Gruppe HIV besonders häufig vorkommt. Wir finden: Wer die PrEP nutzen möchte, sollte sie auch bekommen – meist haben die Menschen gute Gründe dafür, die niemand anderes bewerten sollte.
Insbesondere im Bereich des Sex-Datings und Gelegenheitssex wurde das Kondom gewissermaßen durch die PrEP verdrängt und zum Standard. Wenn das so wäre, hätten wir deutlich mehr als die 30.000 Nutzer*innen. Sicherlich wird die PrEP mehr genutzt, insbesondere in Metropolen wie Berlin. Und das ist doch erst mal eine gute Nachricht! PrEP-Nutzer*innen kümmern sich um ihren Schutz vor HIV und ihr sexuelles Wohlbefinden – mit einer Methode, die offenbar zu ihren Bedürfnissen passt. Das ist kein Problem, sondern ein Erfolg.
„Wenn eine neue Norm entsteht und Leute abgewertet werden, ist das aus unserer Sicht nicht im Sinne der Erfindung.“
Immer häufiger ist zu hören, dass Menschen zurückgewiesen oder belächelt werden, wenn sie ein Kondom nutzen wollen. Darauf möchte ich mit dem Slogan antworten, den unsere Kampagne „Ich weiß was ich tu“ zum Thema Safer Sex 3.0 verwendet: „Meine Wahl. Dein Respekt.“ Jeder Mensch kann sich überlegen, welche Schutzmethode für ihn oder sie am besten passt, das Kondom, die PrEP oder – wenn ein*e Partner*in HIV-positiv ist – Schutz durch Therapie. Es ist kontraproduktiv, die Entscheidung anderer zu bewerten oder Druck aufzubauen. Wenn eine neue Norm entsteht und Leute abgewertet werden, ist das aus unserer Sicht nicht im Sinne der Erfindung. Wenn jemand keinen Sex mit Kondom möchte, ist das natürlich auch okay. Aber das lässt sich ja auch freundlich rüberbringen (lacht).
Die meisten MSM-PrEP-User nehmen die Medikamente dauerhaft, auch wenn sie diese Form des HIV-Schutzes beispielsweise nur ab und an für ein Sexdate oder den Besuch einer Sexparty benötigen. Viele der betreuenden Ärzt*innen drängen aber, nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen, zur Dauermedikation. Denn anders als in vielen benachbarten Ländern ist in Deutschland die PrEP nicht für eine sogenannte „anlassbezogene PrEP“ zugelassen. Wäre es hier nicht sinnvoll und wichtig nachzusteuern? Ja, das ist ein Problem. Die dauerhafte Einnahme ist auch in den medizinischen Leitlinien für die ärztliche Behandlung als Standard beschrieben. Wir setzen uns gerade dafür ein, dass sich das bald ändert. Die kurzfristige, anlassbezogene Einnahme der PrEP sollte als gleichwertige Möglichkeit betrachtet werden. Studien haben bewiesen, dass sie funktioniert, und für viele Menschen ist sie praktikabler. Auch hier wieder: Es ist eine individuelle Entscheidung, welche Form besser zum eigenen Leben beziehungsweise Sexleben passt.
„Bei PrEP-Nutzer*innen hingegen wird tatsächlich teils zu häufig und zu viel getestet.“
Auch bei den Behandlungsleitlinien gibt es selbst für Mediziner*innen nicht mehr nachzuvollziehende Bestimmungen. Anders als bei HIV-Patient*innen werden für PrEP-Anwender*innen zusätzlich zu Blutabnahmen für HIV-, Syphilis- und Hepatitis-Checks auch STI-Abstriche regelhaft empfohlen. Das heißt, es wird ohne besonderen Anlass auf Gonokokken und Chlamydien, oft zudem auch auf Mykoplasmen getestet. Und bei einem positiven Testergebnis wird zumeist auch dann behandelt, wenn dies nicht unbedingt notwendig wäre. Inzwischen warnen Expert*innen vor solchen inflationären Antibiotika-Behandlungen und möglichen Resistenzen. Wie sieht die DAH diese Debatte? Zunächst mal: Routine-Checks sind prinzipiell empfehlenswert, werden aber leider nicht von der Krankenkasse bezahlt. Das sollte sich unbedingt ändern. Bei PrEP-Nutzer*innen hingegen wird tatsächlich teils zu häufig und zu viel getestet. Auch bei anderen Tests auf Geschlechtskrankheiten werden immer mehr Erreger an immer mehr Schleimhäuten gleichzeitig abgecheckt. Manchmal werden dann tatsächlich bestimmte symptomlose Infektionen mit Antibiotika behandelt, obwohl es nicht nötig wäre. Generell gilt: Wir brauchen Zugang zu Routine-Tests für alle und müssen diese dann klug einsetzen.
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