Russische LGBTIQ*-Aktivistin: „Die Leute protestieren weiter, obwohl Tausende verhaftet wurden“
Der Krieg in der Ukraine wirkt sich auch negativ auf die russische LGBTIQ*-Community aus. Wir sprachen mit einer Aktivistin, wie sie von Russland aus die katastrophale Lage erlebt, was das für die queere Community vor Ort bedeutet und wie sie die Proteste innerhalb Russlands gegen den Krieg einschätzt. Aus Sicherheitsgründen möchte sie anonym bleiben
Wie haben du und deine Freunde den 24. Februar erlebt? Habt ihr mit einem Angriff auf die Ukraine gerechnet? Um ehrlich zu sein, niemand hat es erwartet. Jede*r war schockiert und konnte es nicht glauben. Für mich ist es auch persönlich schwierig, denn ich habe Familie in der Ukraine. Es ist keine leichte Situation.
Es heißt, dass in Russland niemand offiziell von einem Krieg sprechen darf. Welche Informationen bekommt man? Ich persönlich schaue keine offiziellen Fernsehsender, aber natürlich höre auch ich die Staatspropaganda. Viele Webseiten sind jetzt zusätzlich gesperrt. Öffentlich wird nicht akzeptiert, dass es ernsthafte Konsequenten für die russische Bevölkerung geben kann. Für uns Menschrechtsaktivist*innen war es vorher schon schwierig.
Was befürchtet ihr für eure Arbeit? Wir erwarten nichts Gutes. Die Billigung von LGBTIQ*-Rechten ist gegen die Staatsdoktrin und verfassungswidrig. Vor kurzem erst wurde die russische Menschenrechtsorganisation Memorial aufgelöst. Wir Aktivist*innen versuchen natürlich, weiter zu machen und so gut wie möglich dort zu helfen, wo es notwendig ist. Denn Hilfe ist wichtiger denn je. Generell ist es sehr schwer vorherzusehen, was passieren wird.
Es wird also auf jeden Fall schwieriger für die queere Community auch in Russland unter den aktuellen Umständen. Absolut. In Zeiten wie diesen wird die Arbeit für Menschenrechte immer schwerer. Außerdem haben die russischen Behörden ja schon zuvor keine Anzeichen gemacht, dass sich irgendwas verbessern könnte.
Gibt es einen Plan B, wie ihr weiter machen könnt? Aktuell wissen wir noch nicht, wie wir weiter machen können. Wir können einfach wenig vorhersehen im Moment. Die Situation ändert sich täglich und wir können im Prinzip nur abwarten und reagieren. Aber natürlich ist mir auch klar, dass die Situation in der Ukraine viel schlimmer ist.
„Es ist unerträglich zu sehen, wie Freunde bombardiert werden.“
Welche Folgen könnten die gegen Russland verhängten Sanktionen gerade für die queere Community haben? Wir werden auf jeden Fall Schwierigkeiten bei Medikamentenlieferungen bekommen. Aber es wird auch juristisch problematischer. Zuvor haben Organisationen, die für LGBTIQ* arbeiten, außerdem finanzielle Unterstützung von Organisationen und Institutionen weltweit erhalten. Sie bekommen natürlich keine staatliche finanzielle Hilfe in Russland. Der Wechselkurs ändert sich rasch und die Preise steigen bereits. Ich glaube, dass die Konsequenzen weitreichend sein werden.
Habt ihr aktuell Kontakt in die Ukraine? Wir bekommen natürlich Informationen über die schreckliche Lage und es ist einfach unerträglich zu sehen, wie Freunde bombardiert werden. Wir versuchen trotzdem zu helfen, aber momentan können wir nicht wirklich viel tun.
Wir hören in Deutschland von den Protesten in Russland. Es ist unglaublich beeindruckend, wie viele Menschen auf die Straße gehen, obwohl es so gefährlich ist. Wachsen die Proteste? Die Leute gehen weiter protestieren, obwohl bereits Tausende im ganzen Land verhaftet wurden. Zum Teil wurden sie sehr brutal in Gewahrsam genommen. Dennoch gehen die Demonstrationen weiter und in meinem Umfeld versteht niemand, warum dieser Krieg überhaupt stattfindet. Das ist alles unbegreiflich. Viele Menschen haben aber zu viel Angst, um öffentlich ihre Meinung zu sagen.
Spendenaktion Queere Nothilfe Ukraine
Zahlreiche Organisationen der deutschen LGBTIQ*-Community haben sich zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Es werden Spenden gesammelt, die für die notwendige Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen in der Ukraine verwendet werden. Link zur Spendenseite: https://altruja.de/nothilfe-ukraine/spende
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