LGBTI* in Polen: „Die Situation ist ziemlich schrecklich“
Unter dem Schutz von Regierung und Kirche nimmt die Homophobie in Polen weiter zu. Wie lebt es sich in dieser Atmosphäre? Zwei Betroffene berichten
Polen hat die Grenzen wegen des Coronavirus dicht gemacht. Das bedeutet, dass auch jene Queers im Nachbarland bleiben müssen, die sich seit Monaten dort nicht mehr zu Hause fühlen. Denn mittlerweile haben sich Kommunen in fast einem Drittel des Landes per Ratsbeschluss zur „LGBT-ideologiefreien Zone“ erklärt. Dies dokumentiert z. B. der „Atlas des Hasses“ , den polnische Aktivisten erstellt haben.
Polnischer Botschafter rechtfertigt die homophoben Beschlüsse
Polens Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, begründete die Politik der Kommunen kürzlich in einer offiziellen schriftlichen Erklärung so: „Man muss betonen, dass der Großteil der polnischen Bevölkerung katholischen Glaubens ist, was bedeutet, dass die LGBT-Ideologie für einen Teil dieser Glaubensbekenner nicht zu billigen ist. Eben in diesem Sinne muss man Beschlüsse von einigen Kommunen als Widerspruch gegen die LGBT-Ideologie erörtern. Ein Widerspruch gegen eine Ideologie, die manchmal brutal durchgesetzt wird, nicht gegen Menschen, die als Personen Schutz genießen. Dies ist auch vom christlichen Gebot der Nächstenliebe garantiert.“ Solche Beschlüsse hätten natürlich „nur einen symbolischen Charakter“ und würden nicht wirklich „LGBT-freie Zonen' schaffen“. Die Aussagen des Botschafters ernteten harte Kritik aus Berlin (SIEGESSÄULE berichtete).
Seit den Parlamentswahlen in Polen im Oktober 2019 ist die Situation für die LGBTI*-Gemeinschaft schlechter geworden: Damals hatte es die konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) geschafft, ihre absolute Mehrheit im Sejm, dem Parlament, zu behalten, wenn auch nicht im Senat.
Katholische Kirche stützt Polens nationalistischen Anti-EU-Kurs
Der Chef der PiS, Jarosaw Kaczyński, hat es in den vergangenen Jahren im ehemaligen Musterland der EU geschafft, den Aufbruch Richtung Westen komplett zu stoppen und das Land auf nationalistischen Anti-EU-Kurs zu trimmen. Dabei wird er von der Kirche gestützt.
Kate-Ann Shaw, eine 24-jährige trans Frau aus der nordpolnischen Stadt Gdynia, arbeitet als Fahrdienstleiterin eines Taxiverbandes. „Ich lebe hier im sehr liberalen Teil Polens – hier hat die PiS die Wahlen schon 2015 verloren“, sagt sie im Interview mit dem SIEGESSÄULE-Schwestermagazin L-MAG. „Die Leute hier interessieren sich nicht wirklich für mein Aussehen oder die Tatsache, dass ich mit meiner Frau in einer inoffiziellen Ehe lebe. Wir küssen uns in der Öffentlichkeit.“
Sie wisse, dass dies in ihrem Heimatland eine Ausnahmesituation sei. Mitarbeitende von Aktivist*innengruppen berichten immer wieder von Fällen, bei denen junge Schwule und Lesben auf der Straße verprügelt wurden.
„Wir haben als LGBTI keine Rechte“
In Polens Hauptstadt organisiert die 25-jährige Julia Maciocha als Vorsitzende der Pride-Organisation die alljährliche Warschauer Equality Parade: „Wir haben als LGBTI* keine Rechte und die Situation ist im Moment ziemlich schrecklich“, sagt sie. Deshalb täten sich in Polens Hauptstadt alle Minderheitengruppen zusammen, die im Land Gefahren ausgesetzt sind und diskriminiert werden.
Religiöse fundamentalistische Gruppen, darunter Nichtregierungsorganisationen wie Ordo Iuris und die Pro („Recht auf Leben“)-Stiftung, hätten Kampagnen gestartet, erzählt Kate-Ann, „um die gesamte LGBTI*-Gemeinschaft zu erniedrigen.“ Die Berüchtigste dieser Kampagnen versucht derzeit, Sexualerziehung zu verbieten, indem Bilder von Homosexuellen verwendet werden und deren Sex mit Pädophilie in Verbindung gebracht wird.
Die Bevölkerung scheint die Regierungspolitik wenig zu kümmern
Das Ergebnis der letzten polnischen Parlamentswahl im Herbst zeigt: Es scheint die meisten Pol*innen nicht zu kümmern, dass ihre Regierung das Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt hat, Schulbücher für den Geschichtsunterricht umschreiben ließ und missliebige Journalist*innen mundtot gemacht hat.
„Linke Ideologie hat sich in den Jahren der kommunistischen Zeiten diskreditiert, und Demokratie hat noch keinen hohen Wert“, erklärt der Soziologe Piotr Kocyba von der TU Chemnitz im Stern-Interview die Lage.
„Kaczyński und seine Anhänger haben die Community nicht zerstört und werden sie auch nicht zerstören“, ist sich Kate-Ann sicher. „Die Zukunft sieht gut aus, aber wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns, bis die Normalität für LGBTI* in diesem Land erreicht ist.“ Die Menschen in Polen müssten darüber aufgeklärt werden, dass wir auch „ganz normale Jungs und Mädels“ sind. Und: Kate-Ann hofft, wie viele andere LGBTI* im Land, auf die nächsten Präsidentschaftswahlen. Mit Robert Biedroń will dann auch ein offen homosexuell lebender Kandidat antreten.
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