Interview mit Maneo

LGBTI*-feindliche Gewalt: „Seehofers Zahlen sind unseriös“

17. Mai 2021 Florian Bade
Bild: Guido Woller

Nach dem Bundeskriminalamt hat nun auch Maneo, das schwule Anti-Gewaltprojekt Berlins, die Zahlen der homo- und transphoben Hasskriminalität des Coronajahres 2020 vorgestellt. Anlässlich des IDAHOBIT* sprach SIEGESSÄULE mit Maneo-Leiter Bastian Finke über Seehofers Statistik zur politisch motivierten Kriminalität für 2020, eine Verschiebung der Gewalt gegen LGBT* und konkrete Tipps im Bedrohungsfall

Bastian, Horst Seehofer hat Anfang Mai die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität für 2020 vorgestellt. Demnach gab es bundesweit 578 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung (Vorjahr: 576) und 204 gegen das Geschlecht bzw. die sexuelle Identität (2019: keine gesonderte Erhebung). Wie schätzt du diese Zahlen ein? Ich halte sie für unseriös. Im Grunde genommen bestätigen sie nur, dass sich die gesamte Bundesrepublik – mit Ausnahme Berlins – in einem Schlafzustand bezüglich Hasskriminalität gegen LSBTI* befindet... Es ist schon erstaunlich. Vor etwa 31 Jahren wurde Maneo gegründet, und Ende 1991 nahm der erste hauptamtliche Ansprechpartner der Polizei in Berlin die Arbeit auf. Hamburg und Niedersachsen folgten erst 2017 und 2018! Das ist bundesweit, bis auf ein paar Nebenamtliche, alles. Allein in Berlin hat die Polizei 372 Fälle gegen geschlechtliche Orientierung und Geschlecht/sexuelle Identität gemeldet. Da bleiben dann bundesweit ja nur noch knapp die Hälfte übrig. Deshalb bewerte ich die Zahlen so. Und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen!

Ihr habt nun auch den Maneo-Jahresreport für 2020 veröffentlicht. Wie sehen eure Zahlen für Berlin im Vergleich aus? Wir haben leicht rückläufige Zahlen (510 gemeldete Fälle, im Vergleich zu 559 in 2019). Ein starker Rückgang ist bei den Übergriffen auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln (von 282 auf 198 Fälle), sowie am Arbeitsplatz zu verzeichnen. Das entspricht aber auch der Corona-Situation. Angestiegen sind die Zahlen deutlich im Bereich Internet/Cyberkriminalität (von 42 auf 106 Fälle), im Wohnumfeld (von 67 auf 81) und im Park (7 auf 24). In Geschäften blieben die Zahlen fast gleich. 72% der gesamten gemeldeten Angriffe waren dabei schwulenfeindlich.

Welcher Art sind diese Übergriffe und wo konzentrieren sie sich? Die große Mehrheit der Deliktformen sind Beleidigungen. Bei einfachen und leichten Körperverletzungen sowie bei Nötigungen, Bedrohungen und Raubüberfällen sehen wir einen leichten Rückgang. Die Liste der Bezirke als Tatorte LSBT*-feindlicher Übergriffe führen Schöneberg und Neukölln an, im Bereich schwulenfeindlicher Übergriffe liegt Kreuzberg vor Schöneberg. Wir sind alle davon ausgegangen, dass im Corona-Jahr 2020 die Zahlen fallen würden. Aber im Lockdown ist die Hasskriminalität nicht verschwunden. Wir müssen unterm Strich feststellen, dass sie sich in den privaten Bereich verschoben hat und weiterhin unheimlich hoch ist. Homo- und Transphobie bleiben ein großes Thema.

Wie repräsentativ sind die Zahlen von Maneo? Das Dunkelfeld wird von uns nach wie vor auf 80-90% geschätzt. Das heißt nicht, dass die Betroffenen unwillig wären, Vorfälle zu melden. Da stecken ganz komplexe Schemata hinter, die dazu führen, dass sie sagen: „Das lohnt sich nicht. Das ist mir zu viel Arbeit.“ Wenn mir eine trans Frau erzählt, dass sie nicht jeden Tag vier Anzeigen erstatten könne, dann verdeutlicht das die Realität und die Überforderung, den Minderheitenstress. Wenn man früh die Erfahrung gemacht hat, dass man keine Unterstützung bekommt, erstattet man keine Anzeige. Das gilt auch für die Bagatellisierung: „War doch nicht so schlimm.“ Da steckt viel Lebenserfahrung hinter. Wir schaffen es nur, dieses Dunkelfeld aufzulösen, wenn wir die Dinge ernst nehmen, die passieren.

Was können wir als Betroffene*r in einer konkreten Situation tun? Kein Risiko eingehen. Sich Gesichter und Personen merken und sofort die Polizei verständigen. Für Zeug*innen ist es wichtig, das sie Mitverantwortung übernehmen. Sie können etwas tun und beispielsweise dem Opfer zurufen, dass sie Hilfe verständigt haben. Dass den Tätern klar wird: da folgen jetzt Konsequenzen. Hingucken, nicht Weggucken. Als Betroffene sich auch direkt an Umstehende wenden: „Bitte helfen Sie mir!“ Und niemals die Täter duzen! Distanz herstellen, laut werden. Laut sprechen, dass es Umstehende hören: „Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich in Ruhe! Hilfe, ich werde bedrängt!” Dann Beweise sammeln wie Zeugenaussagen, Gedächtnisprotokolle, Fotos. Sammeln, sammeln, sammeln. Und melden, melden, melden. Lasst euch das nicht gefallen! Ihr könnt mit einer Strafanzeige Wehrhaftigkeit zeigen! Maneo und L-Support unterstützen euch auf dem Weg dahin.

Und was fordert ihr für die Zukunft? Wir sind mit Maneo und L-Support auf einem guten Weg in Berlin, und das muss weiter von der Senatsverwaltung gefördert werden. Außerdem muss die Präventions- und Aufklärungsarbeit – besonders in der Jugendarbeit – mehr unterstützt werden. Das Stärken von Jugendlichen in ihrem Selbstvertrauen, und sie in ihren Bedürfnissen zu erreichen, stärkt sie ja auch als Menschen. Gleichzeitig müssen wir Signale schicken, wo es Grenzen gibt. Wer wiederholt dagegen verstößt, dem drohen Konsequenzen. Eine homophobe Beleidigung kostet z.B. heute locker 1800 Euro. Wir brauchen auch einen bundesweiten Aktionsplan. Wir haben aus Berlin sehr viele Erkenntnisse und Erfahrungen einzubringen und dann ist es verwunderlich, dass von der Bundesregierung nicht das Gespräch gesucht wird. Und als letztes: Meldet uns Gewalttaten. Damit die Politik versteht, dass noch immer Handlungsbedarf da ist.

Das Melden der Fälle ist ja auch ein solidarischer Akt, von dem die ganze Community profitiert. Richtig. Es gibt Angebote bei Maneo und bei L-Support. Deshalb der Aufruf: meldet uns die Fälle und schaut nicht weg!

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