Lesbisches Begehren am Kotti: „Kokon“ im Kino
Regisseurin Leonie Krippendorff erzählt in ihrem zweiten Spielfilm „Kokon" auf authentische und witzige Art von einer Romanze zwischen zwei jungen Frauen, die rund um den Kotti spielt. Der Film läuft ab dem 13. August im Kino und ist bereits am 10. August im Freiluftkino Friedrichshain im Rahmen der Sommer Berlinale zu sehen
Die ersten Einstellungen von „Kokon“ zeigen die Welt seiner Figuren im stark verkleinerten Format eines Smartphone-Bildschirms: mit der Handykamera gefilmte Streiche der Teenie-Clique rund um die 14-jährige Nora (Lena Urzendowsky) und ihre ältere Schwester Jule (Lena Klenke), später dann ein paar poetische Instagram-Storys, die Noras romantische Ader andeuten. Von Anfang an lässt der Film keinen Zweifel, dass Regisseurin Leonie Krippendorff ganz nah dran sein möchte an ihren jugendlichen Figuren, ihren Ausdrucksformen und ihrer (Bild-)Sprache.
Zumeist gelingt das sehr authentisch und berührend: Es ist der Jahrhundertsommer 2018; Nora bekommt ihre erste Regelblutung, verliebt sich zum ersten Mal und löst sich aus dem Schlepptau ihrer großen Schwester – ein „Coming of Age“ im Zeitraffer sozusagen. Analogien finden diese rasanten Entwicklungen in Noras exzentrischem Hobby – unter ihrem Bett züchtet sie Raupen, die sich gegen Ende des Films zu Schmetterlingen verpuppen werden.
Zugleich verweist der titelgebende „Kokon“ aber auch auf den Kiez, in dem die Hauptfiguren sich bewegen: das Kottbusser Tor, dessen Schauplätze Nora mit einem Aquarium vergleicht, in dem sie und ihre Freund*innen immer im Kreis schwimmen – bis sie irgendwann aus dem Becken springen. Die vibrierende Atmosphäre von Kreuzberg 36 fängt die Berliner Regisseurin mit leichter Hand ein: Im Café Kotti trifft man sich zum Kiffen und Knutschen, auf dem Spielplatz liegen Heroinspritzen, das stete Rattern der U1 bildet den Hintergrund-Sound.
Etwas bemüht wirkt hingegen der allzu raue Umgangston der Mädchen untereinander, die sich gern als „Bitch“ oder „Spermarutsche“ titulieren und ansonsten kaum anderes im Kopf zu haben scheinen, als Kalorien zu zählen. Unter den Jungs ist „schwul“ das häufigste Schimpfwort – während lesbisches Begehren schlicht übersehen wird. So ist es normal für die Mädchen, Hand in Hand zu gehen oder auch mal auf einer Party im alkoholisierten Zustand miteinander zu knutschen.
Umso verwirrender für Nora, dass sie in jenem superheißen Sommer eine Freibad-Balgerei mit einem anderen Mädchen unerwartet erregend findet. Auf YouTube lassen sich zwar Tutorials zur Benutzung von Tampons finden, doch warum ihr plötzlich die coole Romy (Jella Haase, bekannt aus Krippendorffs Langfilmdebüt „Looping“) Herzklopfen bereitet, darauf findet sie keine Antworten – weder im Internet noch bei den Erwachsenen, die in „Kokon“ vornehmlich durch Abwesenheit glänzen.
Zunächst scheint es zwischen der introvertierten Nora und der selbstbewussten Romy mit ihren kurzen blonden Haaren und ihren bunten Schlabberklamotten kaum Gemeinsamkeiten zu geben. Dennoch entspinnt sich eine zarte Romanze zwischen den beiden jungen Frauen, die insbesondere Nora ganz neue Welten eröffnet. Pointiert gesetzte Traumbilder illustrieren die Erschütterungen dieser ersten Liebe, die veränderte Wahrnehmung, die mit ihr einhergeht – ein flirrendes Spiel aus Wasser und Sonnenlicht, das etwas magischen Realismus in den sonst eher sozialdokumentarischen Stil des Films zaubert.
Die Konstellation „schüchterne Außenseiterin trifft platinblonde Rebellin“ indes ist altbekannt: Der lesbische Teenie-Klassiker „Fucking Åmål“ (1998) gab diesbezüglich den Ton an; in den letzten Jahren bedienten auch deutsche Produktionen wie „Luft“ oder „Bonnie & Bonnie“ ähnliche Muster. Glücklicherweise steuert „Kokon“ nicht auf ein zuckersüßes Happy End hin, sondern beschließt Noras Emanzipationsprozess weitaus subtiler, als es die Metapher vom schlüpfenden Schmetterling ahnen lässt.
Kokon, D 2020, Regie: Leonie Krippendorff,
mit Lena Urzendowsky, Jella Haase, Lena Klenke,
ab 13.08. im Kino
Previews mit Q&A,
10.08., 21:00, Freiluftkino Friedrichshain (Sommer Berlinale),
12.08., 21:00, Delphi Lux (queerfilmnacht)
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