Nunsploitation von Paul Verhoeven

Lesbische Nonne mit blasphemischen Visionen: „Benedetta“

2. Dez. 2021 Anja Kümmel

Nach „Showgirls“ und „Basic Instinct“ wagt sich der jüngste Film des Meisterprovokateurs Paul Verhoeven mit einem gezielten Griff in die LGBTIQ*-Historie erneut auf campy Terrain: „Benedetta“ beruht auf der Lebensgeschichte der lesbischen Nonne Benedetta Carlini (1590–1661) – sehr frei adaptiert, gewohnt trashig und zu 100 Prozent unterhaltsam. Ab 2. Dezember im Kino

Als der neunjährigen Benedetta bei ihrem Eintritt ins Kloster das Novizinnengewand übergestreift wird, beschwert sie sich – wie es wahrscheinlich jedes Kind tun würde – als Erstes über den kratzigen Stoff auf der Haut. „Dein schlimmster Feind ist dein Körper“, lautet die Antwort einer der Nonnen: „Besser, sich darin nicht zu wohl zu fühlen.“

Die Anfangssequenzen des Edeltrash-Biopics „Benedetta“, das Paul Verhoeven dieses Jahr in Cannes präsentierte, suggerieren ein feministisches Emanzipationsdrama, in dem sich eine aufgeweckte junge Frau gegen die patriarchale und klerikale Unterdrückung ihrer Zeit durchsetzen muss. Doch „Benedetta“ wäre kein echter Verhoeven, wenn der Film nicht flugs umschlagen würde in eine schräge Mischung aus Gesellschaftssatire, Softporno und Splatter-Movie.

Anales beim Singen der Messe

18 Jahre später ist Benedetta (Virginie Efira) eine angesehene Ordensschwester im Konvent des kleinen Örtchens Pescia in der Toskana – allerdings hat sie auch ziemlich unkeusche Christus-Visionen, die ihr schnell das Misstrauen von Äbtissin Felicita (Charlotte Rampling) einbringen. Als das ungestüme Bauernmädchen Bartolomea (Daphné Patakia) Zuflucht im Kloster sucht und Benedetta unverhohlen umgarnt, brechen endgültig alle Dämme. Sobald die beiden Frauen erste Küsse austauschen, werden Benedettas Visionen sexuell aufgeladen und zugleich gewaltvoller; Stigmata zeigen sich an ihren Händen und Füßen, während um sie her allerlei übernatürliche Dinge geschehen. Von Subtilität hält der niederländische Skandalregisseur bekanntermaßen wenig: So verlegt er das „Meet-Cute“ (im romantischen Film die Kennenlernszene des zukünftigen Liebespaars) auf die Latrine des Konvents, es gibt anale Explorationen beim Singen der Messe, und zu guter Letzt wird eine kleine hölzerne Marienstatue zum Dildo umfunktioniert. Das war es vermutlich nicht, was die Äbtissin meinte, als sie sagte: „Wir wissen nicht immer, welche Instrumente Gott benutzt“ – aber es trifft genau Verhoevens berühmt-berüchtigten geschmacklosen Humor.

Patriarchatskritik

In „Benedetta“ greift er so ziemlich alle Stereotype des „Nunsploitation“-Genres auf und übertreibt sie dermaßen, dass sie ins Absurde kippen. Ja, es gibt jede Menge Selbstgeißelungen, nackte junge Frauen auf der Streckbank, pointiert gesetzte Ekelszenen, und immer wieder weibliche Brüste, die wie zufällig den Nonnentrachten entschlüpfen. Ob das jetzt sexistisch ist oder vielmehr unserer sexistisch geprägten Schaulust den Spiegel vorhält, liegt ganz im Auge der Betrachter*innen.

Einen Mangel an Gesellschafts- und Patriarchatskritik kann man Verhoeven jedenfalls nicht vorwerfen. Immer wieder wird angedeutet, dass nicht nur Bartolomea, sondern auch viele der anderen Schwestern ins Kloster kamen, um der allgegenwärtigen männlichen Gewalt zu entfliehen. Und auch Benedetta als Tochter der Oberschicht hätte kaum eine andere Wahl gehabt, um dem vorgezeichneten Weg von Ehe und Mutterschaft zu entgehen.

Die Institution Kirche bekommt ebenso ihr Fett weg: Gnadenlos entblößt der Film deren Scheinheiligkeit und die korrupten Machtstrukturen hinter den Kulissen. So werden Benedettas „Wunder“ hauptsächlich als mögliche Quelle von Geld und Ruhm verhandelt. Und der päpstliche Botschafter, den die Äbtissin aus Florenz kommen lässt, predigt Keuschheit und Bescheidenheit, lebt selbst aber ein ausschweifendes Leben in Saus und Braus.

Erfrischend ist, dass Verhoeven darauf verzichtet, der Beziehung zwischen Benedetta und Bartolomea den Stempel „romantisch“ aufzudrücken, sondern vielmehr in der Schwebe hält, was genau sie zueinander hinzieht, ihr Begehren undefiniert lässt. Was wir zu sehen bekommen, ist eine mal lust-, mal leidvolle Erkundung der eigenen Möglichkeiten, des eigenen und des anderen Körpers. Ob hier „authentisch“ lesbische Sexualität dargestellt wird, sollte man sich bei einem Verhoeven-Film indes besser nicht fragen – schließlich ist bei ihm alles artifiziell und satirisch überspitzt. Die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren jedenfalls stimmt, auch wenn Virginie Efira mit ihren blonden Haaren und rosigen Pausbäckchen bisweilen eher an Doris Day erinnert und man ihr die lesbische Nonne mit blasphemischen Visionen nicht immer abnimmt. Daphné Patakias naiv-verderbtes Charisma als Verführerin Bartolomea macht dieses Manko allemal wett. Insgesamt, kann man sagen, ist Verhoeven sich treu geblieben: Erneut porträtiert er starke Frauen, die wissen, was sie wollen, und um jeden Preis daran festhalten – auch wenn ihre Methoden dabei nicht unbedingt sympathisch sind.

Benedetta,
FR 2021, Regie: Paul Verhoeven. Mit Virginie Elfira, Daphné Patakia, Charlotte Rampling u. a.
Ab 02.12. im Kino

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