Lesbische Mütter verloren ihre Kinder: Aufarbeitung gefordert
Bis in die 90-er Jahre entzogen Gerichte lesbischen Müttern das Sorgerecht für ihre Kinder. Auf einem Fachgespräch im Bundestag wurde das Thema erstmals öffentlich diskutiert
Bekannt ist das Thema bis heute kaum – obwohl es vermutlich Tausende Frauen in der Bundesrepublik betraf. Noch bis in die neunziger Jahre hinein entzogen Familiengerichte Müttern das Sorgerecht, wenn im Zuge eines Scheidungsprozesses bekannt wurde, dass die Mutter lesbisch lebte. Viele versteckten deshalb ihre lesbische Identität, oder gingen andere für sie nachteilige Kompromisse ein, aus Angst, die eigenen Kinder zu verlieren. Das hatte oft schwerwiegende, zum Teil traumatisierende Folgen für die Frauen, Kinder und Familien.
Dieses Unrecht soll nun aufgearbeitet werden. Auf einer Veranstaltung im Bundestag am vergangenen Freitag wurde die Problematik erstmals öffentlich diskutiert. Zu dem Fachgespräch unter dem Titel „Wenn die Mutter lesbisch lebt(e) – Fälle von Sorgerechtsentzug bei Müttern, die in Beziehungen mit Frauen lebten“ hatte die Bundestagsfraktion der Grünen geladen, initiiert von der Sprecherin für Frauen- und Queerpolitik, Ulle Schauws.
„Die Angst und die akute Bedrohung, bei der Scheidung ihre Kinder zu verlieren, schwebte latent immer im Raum – ohne dass wir die Bedrohung explizit so hätten benennen können.“
Der Einladung folgten um die 60 Teilnehmende aus verschiedenen frauen- und queerpolitischen Institutionen und Verbänden. Einige berichteten auf eindrückliche Weise von ihren eigenen Erfahrungen. Zum Auftakt schilderte etwa Jutta Brambach vom Dachverband Lesben und Alter e. V. Erlebnisse aus der Beratungsarbeit und in lesbischen Müttergruppen der 70er und 80er Jahre: „Die Angst und die akute Bedrohung, bei der Scheidung ihre Kinder zu verlieren, schwebte latent immer im Raum – ohne dass wir die Bedrohung explizit so hätten benennen können.“
„Unglaubliche Stille“
Die Veranstaltung machte deutlich, mit welch großem Tabu das Thema bis heute behaftet ist. Mit dem drohenden oder erfolgten Sorgerechtsentzug verbanden viele der Betroffenen Angst- und Schamgefühle. Viele sehen sich immer noch kaum bis gar nicht dazu in der Lage, über das erlebte Leid zu sprechen. Eine konkrete Forschungsarbeit hat bisher nur das Bundesland Rheinland-Pfalz in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Studie, die von der Historikerin Kirsten Plötz durchgeführt wird, sollen vorraussichtlich im September 2020 veröffentlicht werden.
Zeug*innen zu finden, die bereit sind, ihre Geschichte in Interviews festzuhalten, sei nicht leicht gewesen, erzählte Plötz auf dem Fachgespräch. Sie sei zunächst auf eine „unglaubliche Stille“ gestoßen. Daten zum Thema zu erheben gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil in Akten von Gerichten und Jugendämtern Begriffe wie „homosexuell“ oder „lesbisch“ oft gar nicht vorkommen – selbst dann nicht, wenn die lesbische Lebensweise der Mutter entscheidend für den Sorgerechtsprozeß war.
Das spiegelt sich in den mangelnden Zahlen wieder, die es zum Ausmaß dieser institutionellen Diskriminierung gibt. Wie Plötz im SIEGESSÄULE-Interview ausführte, sei jedoch zu vermuten, dass die Problematik „viele Tausend“ Frauen betraf. „Betroffen hat es ja nicht nur die, die tatsächlich das Sorgerecht verloren. Allein die Drohung konnte schon erhebliche Auswirkungen haben: etwa wenn eine Frau bei einer Scheidung alle Bedingungen ihres Mannes akzeptierte, damit dieser vor Gericht nichts von ihren lesbischen Beziehungen verriet.“ Einige lesbische Paare, mit denen sie für die Forschung sprach, hätten berichtet, sich bewusst dafür entschieden zu haben, ihre Beziehung geheim zu halten, um die Kinder behalten zu können. „Das heißt, das muss eine gängige Praxis der Gerichte in der jungen BRD gewesen sein.“
Ein Einfallstor war das Konzept der „Erziehungseignung“, die lesbischen Frauen abgesprochen wurde, erklärte die Rechtsanwältin Lucy Chebout auf dem Fachgespräch. Da dieser Begriff, ebenso wie der des „Kindeswohls“, in den Gesetzestexten nicht klar definiert ist, blieb es den Gerichten überlassen, ihn jeweils auszulegen. Dass in den Entscheidungen dann die gesellschaftlich dominanten Normen und Moralvorstellungen der Zeit – und natürlich auch Homophobie – eine Rolle spielten, liege auf der Hand.
Eine öffentliche Debatte anstoßen
Gefragt wurde auf dem Fachgespräch auch nach Kontinuitäten und der Situation, wie sie sich heute darstellt. Die Gefahr, dass das Sorgerecht aktiv genommen wird, weil ein Elternteil lesbisch lebt, schätze sie heutzutage als sehr gering ein, sagte Lucy Chebout. Lesbischen Eltern werde das Sorgerecht aber immer noch „weniger gewährt“ als hetero Paaren. Wenn ein Kind in eine heterosexuelle Ehe oder Partnerschaft geboren wird, ist der Mann automatisch das zweite rechtlich anerkannte Elternteil. Bei lesbischen Paaren ist dies nicht der Fall: damit beide das Sorgerecht für das Kind erhalten, muss erst der langwierige Prozess einer „Stiefkindadoption“ in Angriff genommen werden.
Als nächsten Schritt nach dem Fachgespräch wolle sie versuchen, auch mit anderen Bundestagsfraktionen Gespräche über eine bundesweite Forschung und Aufarbeitung anzustoßen, sagte Ulle Schauws. Auch die Stichworte Rehabilitierung und Entschädigungen fielen zum Abschluss der Veranstaltung.
Kirsten Plötz drückte ihre Hoffnung aus, mit ihrer Forschung, die erstmal exemplarisch auf Rheinland-Pfalz beschränkt ist, eine breitere Debatte auszulösen. Umso mehr das Thema zum Teil einer lesbischen Geschichtsschreibung, und auch zum Gegenstand eines öffentlichen Unrechtsbewusstseins werde, umso leichter werde „es Betroffenen fallen, darüber zu sprechen“.
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