Interview mit den Organisatoren

Lesbisch-Schwules Stadtfest: Rückblick auf 30 Jahre

17. Juli 2024 Klaus Sator
Bild: Jason Harrell
Von links nach rechts: Dieter Schneider Organisation Märchenbrunnen GmbH, Olaf Möller Vorstand Regenbogenfonds, Detlef Hildebrand Geschäftsführer Märchenbrunnen GmbH.

Nach 30 Jahren Stadtfest ist es Zeit eine (Zwischen)Bilanz zu ziehen: Dieter Schneider (65) und Detlef Hildebrand (77) stehen seit vielen Jahren für das größte Stadtfest Deutschlands. Langsam ziehen sie sich aus der Orga zurück – dafür kommt aber Olaf „Ole“ Möller (56) hinzu

Wann und warum ist das Lesbisch-Schwule Straßenfest damals entstanden? Detlef: Es entstand 1993 auf eine Anregung der Polizei, um den ständigen Anfeindungen von vermutlich homophoben Anwohner*innen gegenüber queeren Gastronomen und ihren Gästen entgegenzuwirken. Sie schlug vor, ein Nachbarschaftsfest zu machen. Das fand dann statt und hieß damals noch „Party im Kiez“. Es kamen rund 10.000 Gäste. Im nächsten Jahr fand es dann bereits als „Lesbisch-Schwules Stadtfest“ statt.

„Es entstand 1993 auf Anregung der Polizei, um Anfeindungen von homophoben Anwohner*innen gegenüber queeren Gastronomen und Gästen entgegenzuwirken.“

Seit wann seid ihr dabei? Dieter: Ich bin seit 2000 dabei und habe kurze Zeit später die Organisation übernommen. Detlef: Ich seit 1995, hatte mich aber zwischenzeitlich mal zurückgezogen und bin nach dem Ausscheiden des ersten Geschäftsführers der Märchenbrunnen GmbH wieder dabei.

Warum wird das Stadtfest inzwischen von der Märchenbrunnen GmbH organisiert? Detlef: Nachdem die Durchführung des immer besser besuchten Fests die Mitglieder vom Regenbogenfonds überforderte und weil Gemeinnützigkeit und wirtschaftliche Dinge schlecht zusammenpassten, wurde 2004 die Märchenbrunnen GmbH gegründet. Die Gesellschaft ist seitdem der finanzielle Arm des Regenbogenfonds und trägt das wirtschaftliche Risiko. Gesellschafter sind die schwulen Wirte, der Regenbogenfonds und Mann-O-Meter.

Wann wurde euch bewusst, dass mit dem Fest eine ähnliche Institution wie der CSD entstanden ist? Dieter: Das ist nicht der Fall. Wir sind zwei grundverschiedene Veranstaltungen mit ganz unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. Wir sind ein reines Stadt- bzw. Straßenfest. Unser Ziel ist es vor allem, die Community mit den Besucher*innen des Fests zusammenzubringen. Dazu ist die Community dort mit 80 bis 100 Infoständen vertreten, von der Berliner Aids-Hilfe, der Schwulen- und der Lesbenberatung über queere Sportvereine und was es da sonst noch so alles in der Szene gibt. Sie stellt ein Drittel der Stände. Der CSD ist eine Parade und hat ganz andere Ziele als wir. Detlef: Und wir sind immer noch ein Antigewaltprojekt!

Bild: SIEGESSÄULE Archiv / MKay
Das Lesbisch-Schwule Stadtfest im Jahr 2000.

Was waren die bemerkenswertesten Vorkommnisse in 30 Jahren Stadtfest? Detlef: Vielleicht das Zusammentreffen unseres Mottos „Ehe für alle“ für das Stadtfest 2017 mit der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes. Das Fest fand Mitte Juli statt, und am 30. Juni, also nur zwei Wochen davor, hatte der Bundestag die Ehe für alle beschlossen.

2001 gab es gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Bezirk um die Straßennutzungsgebühren. Welche Auswirkungen hatte das auf das Stadtfest? Dieter: Damals war das Bezirksamt der Meinung, das Fest sei zu kommerziell geworden. Wir konnten aber überzeugend darlegen, dass ein Drittel der Stände von Vereinen und Projekten aus der Community betrieben wurde und ein Kompromiss wurde gefunden. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die Zusammenarbeit mit Ämtern, Polizei, Feuerwehr und allen, die sonst noch in das Fest eingebunden sind, hervorragend ist.

Was war im Rückblick die größte Veränderung? Dieter: Die größte Veränderung für uns als Veranstalter war der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016. Seitdem sind die Sicherheitsmaßnahmen für das Fest enorm hochgefahren worden und uns erhebliche Kosten für die Security entstanden.

„Das Stadtfest fördert queere Sichtbarkeit und bietet einen Safer Space für die queere Community.“

Warum ist das Stadtfest nach 30 Jahren noch immer wichtig für die Community? Ole: Das Lesbisch-Schwule Stadtfest fördert queere Sichtbarkeit und bietet einen wichtigen Safer Space für die queere Community. Das bunte Programm aus Politik, Musik, Tanz und Kultur setzt ein starkes Zeichen für Toleranz, Vielfalt und Zusammenhalt in unserer Stadt – auch gegen „rechts“, was heutzutage leider wieder betont werden muss.

Was passiert mit den beim Straßenfest erzielten finanziellen Überschüssen? Detlef: Wenn Überschüsse erzielt werden, dann werden sie an die Community ausgeschüttet. Und die Betreiber*innen der Stände aus der Community müssen keine Standgebühren bezahlen. Das entspricht einem Wert von etwa 20.000 Euro.

Ihr habt angekündigt, euch nach dem 30. Stadtfest aus der Organisation zurückzuziehen. Wer übernimmt jetzt und wie geht‘s weiter? Ole: Ich werde die Geschäftsführung der Märchenbrunnen GmbH übernehmen und gleichzeitig meinen Vorstandsposten im Regenbogenfonds abgeben. Das Stadtfest wird auch in Zukunft von bewährten Menschen und Firmen unterstützt, die es zu dem gemacht haben, was es heute ist. Dieter wird das Stadtfest mindestens noch bis 2025 unterstützen, wofür wir alle sehr dankbar sind.

„Dieter und Detlef, die das Fest zum 30. Mal organisiert haben, verdienen allerallerhöchste Anerkennung!“

Haben sich die Community oder andere Stellen eigentlich schon mal bei euch für euer Engagement bedankt? Dieter: Aus den Reihen der Community erhalten wir überwiegend Lob und positive Rückmeldungen. Ole: Die Leistungen von Dieter und Detlef, die das Fest dieses Jahr zum 30. Mal organisiert haben, verdienen allerallerhöchste Anerkennung!

Wie wünscht ihr euch das Stadtfest in 30 Jahren? Dieter: Im Hinblick auf die ursprüngliche Zielsetzung, warum es entstanden ist, sollte sich das gesellschaftliche Klima bis dahin so verändert haben, dass ein solches Fest gar nicht mehr notwendig wäre. Aber es hat sich ja über die Jahre zu einer Institution entwickelt, die keiner mehr missen möchte und die inzwischen zum Kiez dazugehört. Ole: Das Stadtfest soll im Kern das bleiben, was es derzeit ist – ein beliebtes und erfolgreiches Event. Wir sind stolz darauf, dass es so großen Anklang findet, und freuen uns, dass es Teil unserer nicht nur queeren Gemeinschaft ist. Gleichzeitig wird es an einigen Stellen Anpassungen geben, um moderne und aktuelle Entwicklungen sowie die Wünsche der queeren Community zu berücksichtigen und umzusetzen.

Bild: Brigitte Dummer
Das Lesbisch-Schwule Stadtfest, eine Institution der Sichtbarkeit.

Lesbisch-Schwules Stadtfest
Sa., 20. Juli, 11:00–24:00.
So., 21. Juli, 11:00–22:00

Dieses Jahr feiert das Stadtfest im Nollendorfkiez sein 30. Jubiläum. Neben zahlreichen Ständen queerer Vereine, Streetfood und Drinks gibt es täglich ein buntes Showprogramm auf sechs Bühnen, von Techno bis Kleinkunst. Der Politik-Talk „Das wilde Sofa“ findet am Samstag ab 15:50 auf der Hauptbühne statt.

Der SIEGESSÄULE-Stand ist wie gewohnt am Eingang der Motzstraße

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