Ab 29.02. im Kino

„Le Paradis“ – Filmdrama über Liebe hinter Gittern

29. Feb. 2024 Axel Schock
Bild: KrisDeWitte
William (Julien de Saint Jean, li.) und Joe (Khalil Ben Gharbia, re.)

Joe wird bald 18 und dann rückt seine Entlassung aus dem Jugendgefängnis in greifbare Nähe. Doch die Sehnsucht nach der Freiheit kollidiert mit der entflammenden Liebe zu William, einem Neuzugang in der Strafanstalt. „Le Paradis“, das Langfilmdebüt des Belgiers Zeno Graton, ist ein gleichermaßen wütendes wie zärtliches Drama

Sie sollen Struktur für ihr Leben finden, lernen sich an Regeln zu halten und Perspektiven für ihre Zukunft entwickeln, um sich auf ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten. Und so drücken die Jungs in dieser Jugendstrafanstalt die Schulbank, üben sich in der Metallwerkstatt im Schweißen, verausgaben sich beim Dauerlauf. Weil sie aber auch Wege finden sollen, ihrer Wut und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, können sie sich im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen in einem Workshop als Rapper versuchen.

Es sind kurze, sehr eindrückliche und fast dokumentarisch wirkende Szenen, mit denen der Film- und Theatermacher Zeno Graton in seinem Langfilmdebüt den Alltag in diesem belgischen Jugendgefängnis schildert. Monoton sind nicht nur die Tagesabläufe, sondern auch die Einheitskleidung. Was die einzelnen Jugendlichen hierhergebracht hat, bleibt außen vor. Bestenfalls kleine Splitter ihrer Biografie blitzen ab und an auf. Oder brechen explosionsartig heraus, wie im Fall von Joe, der bei einer improvisierten Rap-Performance mehr als deutlich macht, dass ihm, dem tunesischstämmigen Franzosen, auch künftig die gesellschaftliche Teilhabe verwehrt bleiben und Alltagsrassismus ihn begleiten wird. Joe ist bald 18 und könnte demnächst entlassen werden. Die Chancen standen zumindest gut – bis er ausbüxte um, wenn auch nur für einen halben Tag, endlich mal das Meer zu sehen.

Doch gerade als sich Joe ganz konkret auf ein Leben danach vorbereitet – eine Übergangswohnung steht sogar schon bereit –, kommt mit dem impulsiven William ein Neuzugang in die Anstalt. Wortlos finden sie zueinander. Flüchtige Blicke erst, dann diese brennende Sehnsucht, die sich in überfallartigen, geradezu verzweifelten Umarmungen Bahn bricht. Küsse, Zärtlichkeiten, Sex – all das darf nur im Geheimen stattfinden. Nachts liegen sie nebeneinander, aber von einer Wand getrennt, in ihren Zimmern und träumen sich zueinander.

Überlebensgroße Gefühle

Zeno Graton, geboren 1990 in Brüssel, findet eine ganze Reihe solch unverstellter, unmittelbarer Szenen, in denen er die Verletzlichkeit und Leidenschaft der beiden Jugendlichen mit ganzer Kraft und auf berührende Weise zum Ausdruck bringt. Mit Khalil Ben Gharbia als Joe und Julien de Saint Jean als William hat er zudem zwei Darsteller mit einer starken körperlichen Präsenz und erstaunlicher Ausdruckskraft gefunden. Der Überschwang dieser überlebensgroßen Gefühle, die Erwartungen an das Leben, die Wut über die vielen Mauern, die sie im wörtlichen wie übertragenen Sinne am Leben hindern – dies alles schreit förmlich nach Ausdruck. Für Joe ist es eines dieser Fabelwesen, die William immer und immer wieder mit großer Kunstfertigkeit zeichnet: eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Dass er sich dieses Motiv von William mehr schlecht als recht in den Oberarm tätowieren lässt, ist ein sichtbares, wenn auch nur für sie beide zu entschlüsselndes Zeichen ihrer Verbundenheit.  

„Le Paradis“ ist über weite Strecken eine berührende Romanze, jedoch weit entfernt von einer Coming-out-Lovestory mit strahlendem Happy End.

„Le Paradis“ ist über weite Strecken eine berührende Romanze, jedoch weit entfernt von einer Coming-out-Lovestory mit strahlendem Happy End. Dafür sind der Schauplatz und die nüchtern-minimalistisch eingefangene Alltagsrealität zu hoffnungs- und trostlos. Die naheliegenden Fragen, nämlich ob ein solches System der Inhaftierung und die Resozialisierung ihren Zweck erfüllen können, inwieweit den Jugendlichen tatsächlich geholfen wird oder sie vielmehr noch weiter deformiert werden, streift Graton nur am Rande. Die Sozialarbeiter*innen werden dabei nicht als Feinde dieser Jugendlichen gekennzeichnet, sondern sie sind sichtlich bemüht, die Aussichten ihrer Zöglinge zu verbessern. Die Erwartungen und Hoffnungen auf eine tatsächlich bessere Zukunft und einen verheißungsvollen Neustart in der Gesellschaft aber sind gedämpft – auf beiden Seiten.

Le Paradis,
Belgien/Frankreich 2023,
Regie: Zeno Graton. Mit Khalil Gharbia, Julien de Saint Jean u. a.
Ab 29.02. im Kino

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