Lücken schließen: Crowdfunding für trans* Personen
Teure OPs, Therapiekosten: queere Menschen fallen oft durch die Lücken staatlicher Gesundheitsversorgung. Crowdfundings erfreuen sich deshalb zunehmend Beliebtheit. Was als ein starkes Zeichen für Solidarität gelten kann, wirft aber auch Fragen auf: Lenken Spendenaktionen nicht von den Mängeln des Gesundheitssystems ab? SIEGESSÄULE sprach mit Nix und Polly, die via Crowdfunding für ihre geschlechtsangleichenden Maßnahmen sammeln, und mit Aisling Ehrismann von der in der trans* Community beliebten Plattform GoFundMe
Nix zog 2017 von Lissabon nach Berlin. Die heute 23-Jährige machte mit 18 Jahren in Portugal die ersten Schritte in Richtung Transition. In Berlin stellte Nix fest, dass sie neben einer Hormontherapie noch andere geschlechtsangleichende Maßnahmen braucht: eine chirurgische Gesichtsfeminisierung und die Reduktion des Adamsapfels. Die Behandlungen und Reisekosten zur gewünschten Klinik in Spanien kosten aber viel Geld. Deshalb entschied sich Nix für eine Crowdfunding-Kampagne bei GoFundMe: In der trans* Community hat sich die Plattform rumgesprochen. Mit derzeit knapp 10.900 Euro Spendensumme ist Nix ihrem Ziel von insgesamt 13.000 Euro bereits sehr nahegekommen.
Die Geschichte der Berlinerin Polly ist ähnlich: Auch sie kam über andere trans* Personen mit der Plattform in Berührung. Seit Ende 2019 sammelt sie Spenden für ihre Gesichtsfeminisierung, Adamsapfelreduktion und operative Genitalangleichung. Um alle Kosten zu decken, müssen insgesamt 22.000 Euro zusammenkommen, aktuell ist Polly bei knapp 9.900.
Kompensation für ein schlechtes Gesundheitssystem?
Das 2010 gegründete Unternehmen GoFundMe aus Kalifornien wirbt damit, „die Nummer 1 für Crowdfunding-Kampagnen“ zu sein. Nutzer*innen können an soziale Projekte, Initiativen und Privatpersonen in schwierigen Lebenslagen spenden. Aisling Ehrismann arbeitet seit drei Jahren dort, aktuell als „Communications Associate“ für den deutschsprachigen Raum. Sie verhilft unter anderem den Kampagnen zu mehr Öffentlichkeit. „Das Beste an der Plattform ist, dass sich Menschen gegenseitig empowern können“, findet sie. „Es ist ein sehr einfacher Weg, um Solidarität oder Anteilnahme auszudrücken.“
Vor vier Jahren wurde GoFundMe in Deutschland gelauncht. Seitdem sind 25.000 Kampagnen online gegangen, die 40 Millionen Euro Spendengelder generierten. Trotzdem ist die Plattform hierzulande weniger präsent als in den USA. Dort haftet GoFundMe vor allem der Ruf an, eine Kompensation für die Mängel des US-amerikanischen Gesundheitssystems zu sein, das weitestgehend privat organisiert ist. Ein großer Teil der US-amerikanischen Kampagnen generiert entsprechend Gelder für medizinische Behandlungen.
Das Unternehmen GoFundMe ist sich der Problematik bewusst. Es sei nie das Ziel gewesen, Lücken im Gesundheitssystem zu schließen, sagt Aisling: „Wir teilen die Überzeugung, dass der Zugang zu bezahlbarer, umfassender Gesundheitsversorgung ein Recht und kein Privileg ist.“
Gerade viele trans* Personen nutzen Crowdfunding
Dennoch werden dadurch Schwächen in Sozialsystemen offengelegt – das gilt auch für Deutschland. Die Pandemie hat das noch verstärkt: Laut Aisling gab es seit 2020 hierzulande mehr Kampagnen von Kleinunternehmen oder Musiker*innen, die ihre Einnahmequellen verloren hatten und keine oder kaum Corona-Hilfen bekamen. Sie bemerkte aber noch einen anderen Trend: Sehr viele trans* Personen in Deutschland nutzen GoFundMe.
Das habe nicht nur mit medizinischen Behandlungskosten zu tun. Geschlechtsangleichende Maßnahmen werden in Deutschland zumindest teilweise von den Krankenkassen übernommen. Der Weg dahin wird den Betroffenen allerdings nicht leicht gemacht. Erforderlich sind unter anderem zwei unabhängige Gutachten, die die „Transgeschlechtlichkeit“ einer Person bestätigen. Die Finanzierung durch die Kassen muss erst mühsam beantragt werden, oft kommt es in diesem Prozess zu Ablehnungen und Widerspruchsverfahren. Kosmetische Behandlungen aus der plastischen Chirurgie, wie zum Beispiel Gesichtsfeminisierung, werden im Gegensatz zu Hormontherapien oder einer Genitalangleichung nur in Einzelfällen übernommen.
Oft würden Spendenaktionen „von ausländischen trans Menschen, die in Berlin leben“ gestartet, merkt Aisling an. Denn je nach Aufenthaltsstatus verkompliziert sich der Prozess, Gelder von den Kassen zu bekommen, zusätzlich.
Prozess über die Kassen zu langsam
Mit den Erlösen aus dem Crowdfunding kann Nix ihre Behandlungen in einer Klinik in Spanien durchführen lassen, ohne sich vor deutschen Ärzt*innen und Behörden erklären zu müssen. Sie hat festgestellt, dass hier viele Ärzt*innen in trans*spezifischen Fragen nicht sensibilisiert sind. Das Bild von trans* Personen sei veraltet und binär. „Mich haben Ärzte schon gefragt, wann ich denn eine Vagina bekommen wolle“, erzählt sie. „Am liebsten hätte ich gesagt, dass ich gar keine will. Das kann ich aber nicht tun, ohne dass mir mein Transsein abgesprochen wird.“
„Als ich versucht habe, angemessene Behandlungen zu finden, war ich nach einem Jahr verzweifelt, weil ich mich überall entwürdigt gefühlt habe“
Solche Crowdfunding-Kampagnen ermöglichen es trans* Personen, die Hürden zu umschiffen, die das Gesundheitssystem ihnen in den Weg legt. „Als ich versucht habe, angemessene Behandlungen zu finden, war ich nach einem Jahr verzweifelt, weil ich mich überall entwürdigt gefühlt habe“, berichtet Polly. Durch die Kampagne gebe es eine Perspektive auf mehr Autonomie und schnellere Fortschritte.
Das verbessere nicht nur die Lebensqualität, sondern kann, wie Nix anmerkt, sogar Leben retten: „Dafür, dass die medizinischen Maßnahmen für viele Menschen psychisch so dringlich sind und sogar Angriffen auf offener Straße vorbeugen können, ist der Prozess über die Krankenkassen viel zu langsam.“
Fundraiser mit und ohne Provision
Sowohl Nix als auch Polly waren anfangs unsicher, ob sie auf Go-FundMe überhaupt Erfolg haben würden. Zu Beginn kamen die Spenden hauptsächlich aus dem eigenen Bekanntenkreis. Nix fühlte sich „wie von Liebe durchflutet“, als ihre Kampagne allmählich wuchs.
Unterstützung kam auch von der Plattform GoFundMe selbst, die einen Videoclip erstellte, um Nix’ Spendenaktion zu bewerben. Das Unternehmen sei von ihrer Geschichte so inspiriert gewesen, dass es im Rahmen seiner „GiveBack“-Aktion 500 Euro an Nix spendete. Auch Polly hat eine solche Spende erhalten.
Weil GoFundMe allerdings circa 3 Prozent aller Erlöse einbehält, bevorzugen einige Fundraiser alternative Angebote ohne Provision. Nix und Polly sind dennoch mit den Erfahrungen auf der Plattform zufrieden. Sie sehen aber auch die Mängel im deutschen Gesundheitssystem: „Es ist traurig, dass ich diesen Ausweg nutzen muss, um lebenswichtige Maßnahmen finanzieren zu können“, sagt Polly. „Ich wünsche mir, dass das Thema auf politischer Ebene präsenter wird.“
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