Kritik am neuen CSD-Vorstand: „Das Positive ist dabei untergegangen“
Ende März wählte der Berliner CSD e. V. einen neuen Vorstand ohne Frauen* trans*, inter* oder nicht binäre Personen. Für die fehlende Diversität in einem Verein, der eine der größten Pride-Paraden Europas organisiert, gab es Kritik aus der Community. So sagte u. a. Autorin und Journalistin Stephanie Kuhnen („Lesben raus!“) in ihrem Kommentar auf SIEGESSÄULE, dass „ein Verein, der hauptsächlich aus schwulen Mitgliedern besteht“, eben auch "immer wieder schwule Vorstände und Sichtbarkeit“ produziere. Eine Vielfalt wirklich wertschätzende Vereinskultur scheine es nicht zu geben.
SIEGESSÄULE sprach mit Dana Wetzel, ehemalige Vorständin des Berliner CSD e. V., und Nasser El-Ahmad aus dem aktuellen Vorstand über die Reaktionen und strukturelle Probleme des Vereins
Nasser, du wurdest Ende März zusammen mit vier weiteren cis Männern in den Vorstand des CSD-Vereins gewählt. Daraufhin wurde u. a. auf der Online-Plattform der SIEGESSÄULE die Abwesenheit von Frauen und trans* Personen im neuen Team kritisiert. Wie hast du diese Kritik aufgenommen? Nasser: Grundsätzlich finde ich Kritik gut und wichtig. Es gibt vieles beim Thema Diversität, woran wir im CSD-Verein arbeiten müssen. Den ersten Beitrag der SIEGESSÄULE zum Thema fand ich aber nicht konstruktiv. Glücklicher war ich mit dem Kommentar von Dirk Ludigs in der SIEGESSÄULE, der Lösungsansätze herausgearbeitet hat.
Was genau fandst du an der Kritik an einem rein cis männlichen Vorstand nicht konstruktiv? Nasser: Allein die Überschrift „5 Männer an der Spitze“ hat ausgereicht, dass sich einige Leute direkt vom CSD-Verein abgewandt haben. Ich habe Kommentare gelesen wie „5 Männer? Das ist nicht mein CSD“. Genau das wollten wir aber vermeiden, weil unser Ziel ist, die Community wieder zusammen zu bringen. Das Positive ist dabei untergegangen, zum Beispiel ist jetzt zum ersten Mal eine Person of Color im Vorstand – das bin ich. Meiner Meinung nach sollte man einem neuen Vorstand auch die Chance geben, sich zu beweisen. Am Ende waren wir die fünf Personen, die sich freiwillig bereit erklärt haben die Mammutaufgabe CSD zu übernehmen. Und diese fünf cis Männer, die wir nun mal sind, können sich genauso dafür stark machen, dass sich die Frauen des Vereins einbringen. Ihre Meinungen fließen ja mit in unsere Entscheidungen ein – wir stimmen nicht alles im Alleingang ab.
Was bedeutet es für dich, dass du als erste Person of Color in den CSD-Vorstand gewählt wurdest? Nasser: Für den Verein empfinde ich das als große Bereicherung. Ich sehe mich in der Rolle und in der Verpflichtung, Personen of Color (PoC) zu repräsentieren und den Verein so zu reformieren, dass mehr PoC und Menschen mit Migrationshintergrund mitmachen wollen.
Dana, du warst ein Jahr lang als Vorständin für den CSD-Verein aktiv. Gibt es aus deiner Sicht strukturelle Ausschlüsse von Frauen in dem Verein? Dana: Wir haben nicht die festen Strukturen im Verein, wie sich das einige vielleicht vorstellen. Es ist ein fluides Gebilde: Arbeitsgruppen entstehen, lösen sich auf, Leute kommen und gehen. Gerade beim Volunteering ist das Geschlechterverhältnis gut durchmischt. Da sehe ich keine Strukturen, die Frauen ausschließen.
Wenn die Arbeitsgruppen gut durchmischt sind, was ist dann beim Vorstandsposten anders? Dana: Das strukturelle Problem liegt darin, dass das Vorstandsamt über ein normales Ehrenamt hinausgeht. Das Amt muss man sich leisten können – zeitlich und finanziell. Wenn man Vollzeit arbeiten geht, ist das Ehrenamt nicht machbar und selbst bei Teilzeit ist es eine große Herausforderung. Da ist die Frage: Wer kann das denn überhaupt leisten? Familien mit kleinen Kindern? Eher nicht. Wer leistet denn die meiste Care-Arbeit? Frauen. Wer verdient denn weniger? Frauen. Auch unabhängig von Geschlecht, können sich geringverdienende Menschen ein so großes Ehrenamt eher nicht leisten. Das schließt viele Menschen aus, die sich eigentlich engagieren würden.
„Ich glaube nicht, dass eine Quote am strukturellen Problem etwas ändert“
Können Quotenregelungen dabei helfen, das Geschlechterverhältnis ausgewogener zu machen? Nasser: Ich bin kein Fan von Quoten. Es ist richtig, dass so viele Gruppen wie möglich repräsentiert sein sollten. Aber wenn Posten aufgrund von Quotenregelungen unbesetzt bleiben, bremst das den Verein: Je weniger Schultern, desto größer die Last. Dana: Ich bin eine Verfechterin von Quoten, her damit! Allerdings glaube ich nicht, dass eine Quote am strukturellen Problem etwas ändert. Anders als in der Wirtschaft, gibt es beim CSD-Verein keine gläserne Decke. Ganz im Gegenteil: Wenn Personen, die nicht weiß und cis männlich sind, für den Vorstandsposten kandidieren, ist es quasi schon klar, dass sie gewählt werden, weil allen bewusst ist, wie unterrepräsentiert sie sind.
Apropos unterrepräsentiert: Dana, du bist ja nicht nur ehemalige CSD-Vorständin, sondern auch Bi-Aktivistin. Gehört bisexuelle Sichtbarkeit für dich auch zum Thema Diversität? Dana: Ja. Ganz oft wird nur von Homo- und Transphobie gesprochen, aber es gibt noch mehr: Was ist denn mit Bi- und Interfeindlichkeit? Jede queere Gruppe hat andere Diskriminierungserfahrungen. Ich denke, wenn wir diese Unterscheide sichtbar machen, wird unsere Community auch diverser. Mich hat immer gestört, dass bi- und pansexuelle Menschen so unsichtbar sind, deshalb bin ich aktiv geworden. Tatsächlich hatte das bewirkt, dass plötzlich mehr Bisexuelle im Verein aktiv wurden. Ich wünsche das dem neuen Vorstand auch, dass sich wegen Nasser mehr People of Color angesprochen fühlen: „Cool, der macht das, dann bin ich da offensichtlich willkommen.“
„Die Idee, den CSD-Verein als Dachverband und ,Mutter aller queeren Vereine´ aufzuziehen, finden wir super“
Nasser, wie plant denn der neue Vorstand mehr Diversität beim Berliner CSD e.V. zu erreichen? Nasser: Wir sind gerade dabei, m Diversity-Arbeitsgruppen zu bilden. Die werden sich zum Beispiel spezifisch mit lesbischer oder trans* Sichtbarkeit beschäftigen. Unsere Aufgabe als Vorstand ist, das umzusetzen, was diese Gruppen herausarbeiten.
Wie erreicht ihr marginalisierte Menschen oder diejenigen, die kein Vertrauen mehr in den CSD-Verein haben? Nasser: Wir sehen Corona als Chance. Es steht noch nicht fest, wie genau der CSD im Sommer aussehen wird, sicher ist nur, dass er als Straßendemonstration angedacht ist. Wir haben aber nicht die Aufgabe, wie in den letzten Jahren, einen gigantischen CSD oder Livestream auf die Beine zu stellen. Das gibt uns den Raum, um mit mehr Menschen und Vereinen direkt ins Gespräch zu kommen.
Du hattest eingangs den Kommentar von Dirk Ludigs angesprochen. Er schlägt vor, den CSD-Verein als Dachverband zu organisieren, eine gemeinnützige GmbH zu gründen, um Eventplanung und Aktivismus voneinander zu trennen, und ein basisdemokratisches Online-Forum zu etablieren. Was davon hältst du für umsetzbar? Nasser: Über das Thema gGmbH denken wir gerade nach. Das ist langfristig ein guter Ansatz. Die Idee, den CSD-Verein als Dachverband und „Mutter aller queeren Vereine“ aufzuziehen, finden wir super. Allerdings schlägt Dirk Ludigs auch vor, dass der Verein keine eigenen Mitglieder mehr haben soll, dem stimmen wir nicht zu. Jetzt, wo alle im Digitalen angekommen sind, finden wir die Idee eines basisdemokratischen Online-Forums auch machbar. Eines unserer Hauptziele ist, mehr Transparenz zu schaffen, und Basisdemokratie hilft dabei, mehr Menschen in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
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