Kritik am Netflix-Hit „Dahmer": Warum auch Serienmörder Teil der queeren Welt sind
Die True-Crime-Serie „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ auf Netflix über einen schwulen Serienmörder steht in der Kritik: Unter anderem hatte der Angehörige eines Opfers über die retraumatisierende Wirkung der Inszenierung gesprochen. In den sozialen Medien wurde auch kritisiert, dass Netflix die Geschichte eines Serienmörders mit einem „LGBTIQ-Tag" versah, mit dem queere Inhalte gekennzeichnet werden. Der Streamimg-Dienst entfernte ihn daraufhin. Patsy l'Amour laLove erklärt in ihrem Kommentar zur Serie, warum sie diese Entscheidung nicht nachvollziehen kann
Blutrünstig-umtriebige Serienmörder bleiben en vogue – vor allem wenn ihre Taten unmittelbar mit sexuellem Verlangen zu tun haben. Der US-amerikanische Killer Jeffrey Dahmer inspirierte seit seiner Verhaftung 1991 zigfache Serien, Specials, Romane, Comics, Verfilmungen und Horror-Adaptionen. Er ermordete 17 junge Männer und Jugendliche, missbrauchte sie sexuell, tötete sie, fotografierte deren Zerstückelung und verspeiste in einigen Fällen auch deren Leichenteile. Dahmer legte mit seinen Taten nicht bloß eine gefühlskalte Grausamkeit an den Tag, sondern, das suggeriert zumindest eine neue Netflix-Serie, suchte seine Opfer gezielt in einer migrantischen und Schwarzen Nachbarschaft aus. Denn es war davon auszugehen, dass die Polizei der 80er-Jahre kein Interesse daran zeigte, sich mit dem Schutz von nicht-weißen Personen vor Gewalt zu befassen.
Mit der neuen Serie „Dahmer – Monster“ des schwulen „Pose“- und „American Horror Story“-Produzenten Ryan Murphy verbucht Netflix einen Rekorderfolg, der sogar noch die südkoreanische Serie „Squid Game“ in den Schatten stellt. Allerdings gab es auch heftige Kritik, u. a. weil Netflix die Serie über Jeffery Dahmer nicht nur als „True Crime“, sondern auch als „LGBTQ“ kategorisierte. Denn damit – so die Kritik – würde Dahmer als Teil der queeren Community dargestellt, obwohl er voll schlimm war. Nur mit Ikonen und Held*innen sollen „wir“ demnach konfrontiert werden, wenn wir Filme mit LGBTQ-Inhalten schauen wollen. So simpel, so langweilig.
„Wenn es eine Kartographie schwuler Persönlichkeiten geben soll, dann gehört Jeffrey Dahmer dazu."
Aber die Forderung nach Eintönigkeit ist nicht das einzige Problem. Die gähnende Leerstelle zeugt von einer Sichtweise, die nicht bloß vertuschen möchte. Netflix hat, ganz im Gegenteil, völlig zurecht den LGBTQ-Stempel auf diese Serie gesetzt. Wenn es eine Kartographie schwuler Persönlichkeiten geben soll, dann gehört Jeffrey Dahmer dazu. Und in die Geschichten queerer Welten muss die neue Erfolgsserie „Dahmer – Monster“ geradezu eingereiht werden. Die Kritik, nach der nur queere Lichtgestalten als LGBTQ hervorgehoben werden sollten, entblößt den schlechten Anspruch hinter dieser nur scheinbar gegen Diskriminierung gerichteten Forderung: es geht ganz eigentlich darum, auszusondern, was gefälligst nicht zu der bereinigten Identität des queeren Kollektivs zu gehören hat.
Auch wenn man, was wirklich eine zur gängigen Praxis gewordene schlechte Angewohnheit der Medienkritik ist, Serien und Filme bloß danach beurteilt, ob sie irgendwie „problematisch“ sind oder rüberkommen könnten, ließe sich der neuen Dahmer-Inszenierung doch einiges abgewinnen: sie thematisiert Rassismus, Polizeigewalt und die Widerstandsbewegung, genauso wie die kalte Einsamkeit, die das Schwulsein mit sich bringen konnte. Eine Schwulenfeindlichkeit wird gezeigt, die sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche von der Familie bis in die Justiz zieht.
Kompromisslose Darstellung
Als viel wichtiger und interessanter aber muss die Kompromisslosigkeit hervorgehoben werden, mit der die Serie die Wege des Protagonisten zeichnet, der seine Beziehungslosigkeit mit Unmengen billigen Dosenbiers zu behandeln versucht. Kompromisslos indes wie das Selbsturteil, das der attraktive Killer – gespielt von Evan Peters – bis zu seinem Ende vorträgt: „Ich sollte tot sein für das, was ich getan habe.“ Eindrücklich spielt Evans das Anderssein und die innere Vereinzelung Jeffrey Dahmers. Die Hauptfigur hat seit er Denken kann kein Gespür für das, was im Anderen vor sich geht und daher auch keine Worte für die eigene Innenwelt. Zumindest keine, mit welchen er sich beim Anderen begreiflich machen könnte.
Die neue Serie bringt für Kenner*innen des True-Crime-Genres keine besonderen Neuigkeiten. Die Zeit, die sich die Serie mit Hilfe von talentierten Schauspieler*innen für die Darstellung Dahmers, den Hintergründen seiner Morde und den Längsschnitt der 1980er und 1990er Jahre lässt, macht „Dahmer – Monster“ hingegen zu einer empfehlenswerten Sendung. Nicht zuletzt, dass keine einfachen Erklärungen für Dahmers Morde dargeboten werden, ist eine Qualität der Serie. Und zurück zur „Kritik“: Ich denke nicht, dass Jeffrey Dahmer einer von „uns“ ist. Ich glaube aber auch nicht an dieses „Wir“ der sogenannten Community. Die Netflix-Geschichte handelt von einem Teil dessen, was man queere oder schwule Welt nennen kann, von Verlangen, von Einsamkeit, von Feindseligkeit und Widerstand – auch in Bezug auf den historischen Kontext und die zahlreichen Figuren der Serie. Und das schafft „Dahmer – Monster“ glücklicherweise ganz ohne eine weitere queere Heldengeschichte zu erzählen.
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