„Koalition der sozialen Kälte“: Wie der Senat queeres und migrantisches Leben bedroht
Die Koalition der sozialen Kälte nennt Tarek Shukrallah die CDU/SPD-Regierung, die auf Kosten queerer und migrantischer Communitys neoliberale Politik betreibt. Dagegen brauche es einen Blick auf queere, antirassistische Bewegungsgeschichten und intersektionale Bündnisse
Das Jahresende 2024 sollte also als Showdown der Kahlschlagskoalition im Roten Rathaus verabschiedet werden. Weite Teile der Berliner Kulturlandschaft stehen vor dem Aus, Lehrer*innen müssen in den Warnstreik gehen, Kinder können nicht mehr auf Schulfreizeiten fahren, die Sozialverbände warnen vor einem Austrocknen des sozialen Berlins und auch der Wissenschaftsstandort Berlin ist akut bedroht.
Gleichzeitig werden Millionen in einen Zaun um den Görlitzer Park versenkt, wird Polizeiüberwachung massiv verstärkt, und Bund und Land bewerben sich in geradezu geschichtsvergessener Weise darum, genau 100 Jahre nach den Olympischen Spielen im NS erneut Olympia für viele Milliarden Euro 2036 nach Berlin zu holen. Der Berliner Senat betreibt neoliberalen Staatsumbau und autoritäre Identitätspolitik auf dem Rücken derjenigen in dieser Stadt, die am stärksten benachteiligt sind.
Dazu kommen immer drastischer steigende Mieten und der Ausverkauf unserer Kieze. Man könnte zwar die Grunderwerbssteuer anheben, Steuerrückstände von Vermögenden und Großunternehmen eintreiben oder sich für eine Abschaffung der realitätsfremden Schuldenbremse einsetzen. Stattdessen sollen Projekte wie der Görlizaun durch populistische Stimmungsmache gegen vermeintliche „Ausländerkriminalität“ den Eindruck vermitteln, dass der Senat handelt.
Dass die CDU/SPD-Regierung zulasten von migrantischen und von Rassismus und Antisemitismus betroffenen Communitys, von Kindern und Jugendlichen, von queeren Personen und Menschen mit kleiner Geldbörse Politik machen würde, kam mit Ankündigung. Rassistisch aufgeladene Silvesterdebatten, Vornamensabfragen, Freibadpaniken und der Kampf gegen jedwede Palästinasolidarität sind, gepaart mit Magnetschwebebahnfantasien, die Melodie, zu der sich diese Koalition der sozialen Kälte zusammengefunden hat.
Mehr Polizei und Repression haben uns noch nie sicherer gemacht.
Mehr Polizei und Repression haben uns aber noch nie sicherer gemacht. Es zeigt sich vielmehr, dass parallel zu den massiven Investitionen in Überwachung, Polizei und Militär rassistische, antisemitische und queerfeindliche Gewalt drastisch ansteigt. Für viele ist das im Alltag spürbar. Es scheint kaum noch aufzufallen, wenn einmal mehr CSDs von Rechtsextremen angegriffen werden, Besucher*innen auf dem Heimweg attackiert werden oder Polizist*innen Queers of Color und jüdische Queers bei der Internationalistischen Queer Pride Berlin verdreschen.
Nun werden mit den Kürzungen auch noch wesentliche Räume insbesondere für marginalisierte Gruppen zerschlagen. Ausgerechnet queere Kinder und Jugendliche sind besonders von den Kürzungen betroffen. Zwar ist die Ankündigung, sämtlichen queeren Jugendzentren die Förderung zu streichen, inzwischen zurückgenommen. Gleichzeitig klagt etwa das Schwule Museum, ihm drohe die Förderung des eigenen wichtigen Jugendprojektes gestrichen zu werden.
„Queerpolitik ist Sozialpolitik“
Was nutzen der Mehrheit queerer und von Rassismus betroffener Menschen Integrations- und Queerbeauftragte, die als Grüßauguste bei teuren Empfängen dem sozialen und kulturellen Kahlschlag ein freundliches Gesicht geben? Queerpolitik ist Sozialpolitik. Es hilft auch nichts, dass das Ressort Antidiskriminierung bislang von den Kürzungen weitgehend unbetroffen ist. Zum einen ist das Haushaltsloch noch nicht nachhaltig gestopft und eine Salamitaktik damit naheliegend. Zum anderen sind die zahlreichen wichtigen Freiräume und Nischen für die vielen Communitys in dieser Stadt trotzdem akut bedroht. Klar ist: Für die Bewohner*innen Berlins ist ihr Senat kein Partner.
Heute sehen wir nicht nur in Berlin mit eigenen Augen, wie vermeintlich gemachte Fortschritte und erkämpfte Räume einfach wieder abgewickelt zu werden drohen. Die CDU vollzieht unter Merz erfolgreich ihren autoritären Umbau und will bei einem Wahlsieg nicht nur weiter Sozialabbau treiben und Menschen abschieben, sondern auch das Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen. Das zeigt: Kämpfe um soziale Gleichheit, gegen Queerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Misogynie gehören zusammen.
Heute sehen wir nicht nur in Berlin mit eigenen Augen, wie vermeintlich gemachte Fortschritte und erkämpfte Räume einfach wieder abgewickelt zu werden drohen.
2025 wird ein entscheidendes Jahr, die Aussicht auf eine CDU-geführte Bundesregierung ist für alle Menschen eine Bedrohung, die nicht auf der Sonnenseite der Dinge stehen. Um uns zu behaupten, müssen wir neue Bündnisse schmieden. Der Blick in queere, migrantische und antirassistische Bewegungsgeschichten gibt dabei viele Beispiele, aus denen wir für die Zukunft lernen können. Immer wieder haben sie aufgezeigt, dass Armut und Ausgrenzung, dass Diskriminierung und Ausbeutung zusammenhängen.
Unabhängige, selbst organisierte Netzwerke, Organisationen, Stiftungen und Crowdfunding-Projekte werden wichtiger und damit die Arbeit in den Communitys noch mehr. Herausforderungen, für die wir uns nur gemeinsam wappnen können. Mehr denn je müssen wir uns in unseren Kiezen, Communityzentren und am Arbeitsplatz zusammentun, um unsere Räume zu verteidigen. Dabei muss es uns auch gelingen, solidarischer, kollektiver und intersektionaler zu werden.
Tarek Shukrallah, Autor*in und aktivistische*r Forscher*in, brachte im September 2024 den Sammelband „Nicht die Ersten. Bewegungsgeschichten von Queers of Color in Deutschland“ heraus
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