Klaus Wowereit: „Es ist wichtig, nicht zurückzuweichen”
Am 10. Juni 2001 schrieb Klaus Wowereit Geschichte, als er sich als erster deutscher Spitzenpolitiker auf dem SPD-Landesparteitag öffentlich outete. Dabei fiel der legendäre Satz: „Ich bin schwul und das ist auch gut so“. Sechs Tage später wurde er zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt. Seitdem sind 20 Jahre vergangen. SIEGESSÄULE sprach mit Klaus Wowereit über die Auswirkungen seines Outings und heutige Debatten um Identitätspolitik
Herr Wowereit, was hat Sie damals zu den Worten „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!”, also zu Ihrem Coming-out bewogen? In dem sehr aufgeheizten Wahlkampf damals habe ich innerhalb der SPD, bevor mich die Partei für das Amt des Bürgermeistern nominieren konnte, meine persönliche Situation intern klar machen wollen. Einige wussten aber schon, dass ich schwul bin und ich habe auch nie ein großes Geheimnis daraus gemacht. Vertreter*innen der damaligen Schwusos (Anm. der Red.: die damalige Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD) waren natürlich sehr glücklich und trugen das dann in die Szene. Am Tag darauf berichtete queer.de und kurz danach folgten weitere Medien. Kurz vor dem Landesparteitag bekam ich dann Hinweise, dass die Boulevardpresse bereits Vertreter*innen zur Recherche in die Szene geschickt hatte. Ich dachte: „Na gut, dann sagst du es auch öffentlich auf dem Parteitag.” Manche wollten mir davon abraten. Aber ich habe mich für den Schritt nach vorne und ein offensives, selbstbestimmtes Coming-out entschieden, um der Boulevardpresse den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das war in gewisser Hinsicht also auch eine Trotzreaktion.
Was hat dieser Satz bewirkt? Es hat mein Leben verändert. Es hat aber auch das Leben vieler anderer Menschen verändert, was ich damals noch nicht ahnen konnte. Das Thema ist für Politiker*innen enttabuisiert worden. Guido Westerwelle und Ole von Beust waren ja daraufhin die nächsten, die sich zu ihrer Sexualität bekannt haben. Das Gute daran ist, dass sich heute eine gewisse Art Normalität in der Politik ergeben hat. Sicherlich gibt es noch die eine oder andere Form der Diskriminierung, aber nicht mehr auf die systematische Art wie davor. Was mich aber besonders berührt hat, waren die einzelnen Reaktionen. Zum Beispiel haben mir Eltern geschrieben, dass wenn ich als schwuler Mann Regierender Bürgermeister von Berlin sein kann, dann gebe ihnen das die Kraft, auch besser zu ihrem schwulen Sohn oder ihrer lesbischen Tochter stehen zu können. Auch international wurde dieses Outing wahrgenommen, was mir viel bedeutet hat.
„Selbst als ich dann Regierender Bürgermeister war, hat man mir davon abgeraten, zum CSD zu gehen.”
Es hätte aber auch nach hinten losgehen können. Klar, es war sehr spontan und wir haben glücklicherweise vorher keine Checkliste gemacht, was jetzt gut und was schlecht laufen könnte. Denn die Stimmung war immer noch so, dass man den Ball lieber flach halten sollte. Selbst als ich dann Regierender Bürgermeister war, hat man mir davon abgeraten, zum CSD zu gehen. Aber ich bin hin gegangen. Ich kann mich doch nicht outen und mich dann nicht zum CSD trauen! Natürlich bin ich dorthin gegangen! Und ja, es gab es auch negative Reaktionen.
Zum Beispiel von Friedrich Merz, der jüngst noch Homosexualität und Pädophilie in einem Satz erwähnte. Er meinte damals, ihr Outing würde dem im Grundgesetz verankerten Familienbild schaden… … und dass ihm ansonsten meine Homosexualität egal sei, solange ich ihn nicht anfassen würde. Friedrich Merz ist nicht von dieser Welt, will es offenbar auch gar nicht sein, aber ist nun Gott sei Dank auch nicht mehr die Regel in der CDU. Denn offensichtlich hat er noch nichts dazu gelernt, während die CDU mittlerweile gezeigt hat, dass sie schwule Politiker in ihren Reihen nicht mehr ausgrenzt. Nichtsdestotrotz muss man aufpassen, denn das sind nicht nur Einzelmeinungen. Es gibt Trends in unserer Gesellschaft, wo Akzeptanz nicht so gelebt wird. Sonst gäbe es auch nicht so viele Übergriffe.
Wo sehen Sie Probleme heute? Das schwule Antigewalt-Projekt Maneo hat selbst in einer toleranten Stadt wie Berlin immer noch alle Hände voll zu tun. Und auch wenn offene Homophobie heute in der Politik in Deutschland kaum mehr vorhanden ist, so reicht zum Beispiel der Blick in den Sport. Im Profifußball der Männer ist ein Coming-out immer noch ein sehr großes Tabuthema. Auch in Leitungspositionen in der Wirtschaft wird es maximal geduldet, selten aber gefördert. Es ist ein Kampf, den wir in der Gesellschaft auch jetzt noch fortführen müssen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Das, was wir erkämpft haben, kann jederzeit auch wieder zurückgedreht werden. Das Ganze ist mehr als nur ein Thema für Minderheiten. Es ist ein Thema für die Mehrheitsgesellschaft. Sie muss sich klar machen, wie Ausgrenzung verhindert werden kann, egal um welche Minderheit es sich auch handelt. Es ist ein Kampf, der täglich gelebt werden muss.
„Es ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, etwas dafür zu tun, dass diese Ausgrenzung nicht stattfindet. Da sind Debatten darüber, ob das nur ein Randthema sei, vollkommen daneben.”
Jüngst gab es ja auch in Ihrer Partei eine Debatte um Identitätspolitik, ausgelöst durch ihren Parteifreund Wolfgang Thierse. Wie stehen Sie zu dieser Thematik? Das Ganze ist ein Lernprozess. Es war ja damals auch bei uns Schwulen nicht anders. Lange Zeit war zum Beispiel Transgeschlechtlichkeit kein Thema, weil es eine vergleichsweise kleine Gruppe an Menschen betraf. Wenn man sich aber den Leidensweg dieser Menschen vorstellt, wie sie an gesetzliche Grenzen stoßen, wie sie medizinisch behandelt werden, dann ist es unbedeutend, ob es eine große Zahl von Menschen oder eine kleine Gruppe ist. Es ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, etwas dafür zu tun, dass diese Ausgrenzung nicht stattfindet. Da sind Debatten darüber, ob das nur ein Randthema sei, vollkommen daneben. Natürlich macht das Thema nicht die gesamte deutsche Politik aus, aber es ist dennoch ein wichtiges Thema – gerade für die Betroffenen! Was den Sprachgebrauch anbelangt – also zum Beispiel um das Binnen-I oder den Gender-Stern: Auch die sind wichtig. Sprache verändert sich und Sprache definiert. Aber da muss man den älteren Generationen auch die Chance lassen, sich daran zu gewöhnen. Man sollte mit ihnen also nicht zu streng sein, aber dennoch dort, wo es Sinn macht, gewohnte Formulierungen ändern.
In Ihre Zeit als Regierender Bürgermeister fällt ja auch der Beginn des Folsom Europe – Europas größtes BDSM- und Fetisch-Event. 2004 fand dieses zum ersten Mal in Berlin statt – auch deswegen, weil Sie sich dafür stark machten. Sich als schwul zu outen ist ja das Eine, etwas ganz anderes ist es noch mal, sich auch für solch ein Event einzusetzen. Viele wären wohl davor zurückgeschreckt, um doch ja bitteschön als „guter Schwuler” zu gelten. Warum haben Sie das dennoch getan? Weil das Folsom auch für Berlin eine wichtige Veranstaltung ist. Und auch hier gibt es keinen Grund, Menschen auszugrenzen. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich es selbst vermieden habe, zur Veranstaltung hinzugehen. Da wäre sonst sicherlich der Versuch unternommen worden, mich in bestimmten Situationen abzulichten und zu diskreditieren. Nichtsdestotrotz habe ich zu meiner Entscheidung gestanden.
Dass Sie auch wiederholt ein Grußwort für die Folsom-Besucher*innen schrieben, wurde von der CDU damals ja heftig kritisiert und kulminierte in einem kleinen hoch gepushten „Skandal”, begleitet von einem großen internationalen Medienecho, das lediglich dazu führte, dass noch mehr Menschen das Folsom besuchten – eine kostenlose Werbekampagne quasi. Belustigt Sie dieser Skandal heute? Das war ja eigentlich ein Sturm im Wasserglas, der mich nicht wesentlich getroffen hatte. Nichtsdestotrotz zeigte es, welche Denkweisen damals noch da und wie kleinkariert manche waren – oder auch heute noch sind. Aber es ist wichtig, in solchen Momenten nicht zurückzuweichen, sondern dazu zu stehen. Das habe ich gemacht und das hat dann glücklicherweise auch geholfen.
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