Interview mit Kultursenator

Klaus Lederer zur Lage der queeren Community in Berlin

9. Juni 2020 Dirk Ludigs
Bild: Steffen Roth
Klaus Lederer von der Partei Die Linke ist seit Dezember 2016 Kultur- und Europasenator von Berlin

Der Berliner Senat ringt um eine zielführende Strategie für den Umgang mit der Corona-Krise. Es wächst der Unmut, weil Hilfsprogramme nicht richtig greifen und trotz der Corona-Lockerungen für einige Branchen Perspektiven fehlen. Auch queere Orte in Berlin fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Wir sprachen mit dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) über die Lage und die queere Kulturlandschaft in der Hauptstadt

Klaus, private Theater und Clubs konnten Mitte Mai über die IBB (Investitionsbank Berlin) die Soforthilfe IV beantragen, 25.000 Euro und mit einer Tiefenprüfung bis 500.000 Euro. Doch vor allem bei den Clubs steht die Frage im Raum: Was, wenn die Soforthilfe sofort wieder aufgebraucht ist, ein Zeitplan zur Wiedereröffnung aber immer noch in weiter Ferne steht? Ohne Spenden wäre das SchwuZ schon Anfang Mai bankrott gewesen.
Erstmal möchte ich sagen, dass ich diese Solidarität, nicht nur mit dem SchwuZ, auch die der Klubs untereinander, ganz großartig finde und das in einem Bereich, der für Berlin wahnsinnig wichtig ist. Ich würde sogar sagen, er prägt diese Stadt. Aber natürlich kann Solidarität staatliche Hilfen nicht ersetzen. Die Soforthilfe IV ist mit 30 Millionen Euro auf drei Monate angelegt. Ich gehe davon aus, dass das Land Berlin diese Mittel auch für weitere Runden aufstocken wird, jedenfalls kämpfe ich dafür. Wir wissen, dass die Klubs vermutlich die letzten sein werden, die ihren Betrieb wieder aufnehmen können. Es waren ja Kater Blau und Trompete, in denen hier in Berlin der Super-Spread stattgefunden hat. Von daher sage ich auch aus epidemiologischer Sicht: Wir müssen bereit sein, diese Hilfen für weitere drei Monate, und wenn die Maßnahmen anhalten, dann auch nochmal für drei Monate zu verlängern. Im Unterschied zur Soforthilfe II haben wir aber hier von Anfang an einen Mechanismus, mit dem wir die Mittelvergabe im Griff halten können und soweit ich das überblicke, haben wir mit den 30 Millionen auch ganz gut gezielt.

„Solidarität kann staatliche Hilfen nicht ersetzen.“

Die Hilfsprogramme des Bundes für Solo-Selbstständige dürfen derzeit nur für Betriebsausgaben wie Leasingraten oder Büromieten ausgegeben werden, nicht aber für die Lebenskosten. Mitte Mai hat die Initiative Kulturschaffender 200.000 Unterschriften an das Bundeswirtschaftsministerium übergeben, um das zu ändern und gleichzeitig die Länder – also auch euch – aufgefordert, Druck auf den Bund auszuüben!
Wir hatten in Berlin ja schon Ende März ein Soforthilfeprogramm aufgelegt, das für Solo-Selbstständige und Kleinstbetriebe Liquidität schaffen sollte, bei dem auch die persönlichen Aufwendungen geltend gemacht werden konnten. In nur fünf Tagen sind da Summen aufgelaufen, die einem Jahreskulturetat entsprachen.

Du hattest Ende März persönlich versichert, der Run auf die Soforthilfe für Solo-Selbstständige werde kein „Windhundrennen“ werden, das Geld würde reichen und Berlin werde gegebenenfalls nachsteuern. Darauf haben sich viele verlassen und erst einmal abgewartet, um zu sehen, wie sich ihre persönliche Situation entwickelt. Die sind jetzt die Gelackmeierten.
Ja, und das tut mir extrem leid. Ich hätte nicht gedacht, dass die Nachfrage so enorm ist, und die IBB diese Hilfen in wenigen Tagen für etwa zweihunderttausend Menschen auszahlt. Das ist ein Irrtum, den ich mir persönlich vorwerfe. Derzeit suchen wir nach Wegen, eventuell im Rahmen von Stipendienprogrammen Möglichkeiten schaffen, diejenigen zu versorgen, die im ersten Schritt auf der Stecke geblieben sind. Ich habe aber auch von den Verbänden der freien Szene die Rückmeldung bekommen, dass wir mit dem ersten Schwung sehr vielen der Betroffenen helfen konnten und das macht mich wiederum ein bisschen glücklich.

„Es ist dem Bund offensichtlich wichtiger, die Hartz-IV-Logik aufrecht zu erhalten, als konkrete Hilfen für die Betroffenen zu ermöglichen.“

Was tut Berlin nun, um den Druck auf den Bund zu erhöhen?
Wir haben sowohl in der Kultus- als auch in der Wirtschaftsministerkonferenz Initiativen mit dem Ziel ergriffen, die Hilfen auch für persönliche Aufwendungen zu öffnen. Das lehnt der Bund bislang ab. Am 15. Mai habe ich daraufhin im Bundesrat eine Initiative mit genau diesem Ziel eingebracht. Der Verweis des Bundes auf die Grundsicherung schafft ja eine doppelte Bürokratie. Er zwingt die Betroffenen, zweimal Anträge zu stellen. Mit der Soforthilfe für betriebliche Aufwendungen und für persönliche Ausgaben zwingt er sie in die Grundsicherung und damit in Bedarfsgemeinschaften, in denen die ganzen überkommenen Geschlechterverhältnisse reproduziert werden. All das kann nicht der Sinn der Übung sein. Die Leute können nichts für Corona.

Könnt ihr den Bund da mehr als bitten?
Ich hätte mir gewünscht, dass über den Antrag im Bundesrat gleich abgestimmt worden wäre, aber er ist in die Ausschüsse verwiesen worden und da hängt er erst mal. Nur Thüringen und Bremen haben die Sofortabstimmung mitgetragen. Ich glaube, dass der Bund über die CDU-geführten Länder interveniert hat, was meinen Eindruck bestärkt, dass er nicht gewillt ist, diesen Schritt zu gehen. Es ist ihm offensichtlich wichtiger, die Hartz-IV-Logik aufrecht zu erhalten, als konkrete Hilfen für die Betroffenen zu ermöglichen.

„Mir ist es wichtig, dass wir nicht nur über Abwrackprämien für die Automobilindustrie reden, sondern auch über die Frage, was macht eigentlich unsere Gesellschaft aus!“

Die queere Community Berlins steckt ohne vieler ihrer Orte und Kultureinrichtungen natürlich in der Krise. Was macht in deinen Augen Community derzeit aus?
Es gibt nicht eine Community, sondern viele Communities. Wenn alles gut läuft haben diese Communities auch Kommunikationskanäle, auf denen sie in all ihrer Widersprüchlichkeit zu gemeinsamem Handeln finden. Die Tatsache, dass dies zurzeit nicht so stattfinden kann, ist natürlich extrem belastend und es schwächt die Möglichkeiten der Selbstorganisation. Wir haben deshalb im Bundesrat am 15. Mai auch einen Antrag eingebracht, mit dem Ziel, den Bund zu veranlassen, sich stärker um zivilgesellschaftliche Organisationen zu kümmern, die jetzt auch das Problem haben, dass die Kosten weiterlaufen, ohne dass sie ihre gewohnte Wirksamkeit entfalten können. Auch da ist leider keine Sofortabstimmung gelungen. Mir ist es sehr wichtig, dass wir nicht nur über Abwrackprämien für eine sowieso völlig im Gestern hängen gebliebene Automobilindustrie reden, sondern auch über die Frage, was macht eigentlich unsere Gesellschaft aus!

„Ein Projekt wie das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus kann nur gelingen, wenn es in der Community den breiten Willen gibt, es auch gemeinsam zu gestalten und da mache ich mir leider zurzeit große Sorgen.“

Sorgen macht man sich auch bei anderen queeren Institutionen. Stichwort Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, das ja auch innerhalb der queeren Welt nicht ganz unumstritten ist, spätestens seit einer offenkundig transfeindlichen Veranstaltung des Trägervereins IQN (SIEGESSÄULE berichtete). Eigentlich kann sich niemand mehr vorstellen, dass Berlin nach der Corona-Krise noch 15 Millionen Euro für dieses Projekt aufbringen kann oder will?
So ein Projekt kann nur gelingen, wenn es in der Community den breiten Willen gibt, es auch gemeinsam zu gestalten und da mache ich mir leider zurzeit große Sorgen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass da untereinander eher eine gewisse Sprachlosigkeit herrscht.

­­Wie sieht es mit anderen Institutionen wie dem Schwulen Museum aus, gibt es für deren Finanzierung durch den Senat eine Bestandsgarantie über das Ende der Krise hinaus, also auch langfristig? Das Geld wird ja wohl knapper werden.
Ich bin nicht als Kulturabbausenator angetreten. Mein Ziel ist es, die kulturelle Infrastruktur dieser Stadt zu sichern und zu stabilisieren – auch und gerade unter den Bedingungen der Coronakrise. Von daher stelle ich im Moment keine Existenzfragen für Einrichtungen, die sich in meiner Förderung befinden. Ich kämpfe dafür, dass wir die Probleme, die durch die Krise in unseren Einrichtungen entstehen, bewältigen werden.

Was macht denn die queere Kulturlandschaft in Berlin aus? Was wäre Berlin ohne seine queere Infrastruktur?
Berlin bezieht seine Stärke immer wieder aus einer Widerständigkeit und einer subkulturellen Energie. Es macht Berlin aus, dass hier unabhängig von deiner sexuellen Orientierung oder der Frage, woher du stammst, das Miteinander gut funktioniert. Und da gibt es nicht die Community, sondern hunderte, queere Künster*innen, Gastronom*innen … wir sind doch überall! Die entscheidende Frage in der Coronakrise lautet: Können wir das, was diese Gesellschaft in Berlin ausmacht, die Lust an der Auseinandersetzung, am Streit, aber auch danach wieder zusammen zu kommen, können wir uns das erhalten. Ich vermisse auch meine Freund*innen, meine Umarmungen, meine Küsschen. Das ist eine starke mentale Belastung und das geht uns vermutlich allen so. Das ist einfach etwas, das uns alle zurzeit ziemlich fertig macht.

„Ich bedauere, dass eine queere Community nicht geschlossen auf die Barrikaden geht, wenn diese ganzen Menschen, die in prekären Beschäftigungen unterwegs sind, in die Grundsicherung gezwungen werden.“

Kannst du dir bei all der Belastung auch vorstellen, dass sich aus dieser Krise für den queeren Kulturbetrieb, die queeren Communities auch Chancen ergeben?
Wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich es schade, dass wir nach zwei Monaten schon wieder in einem Diskurs der Normalität gelandet sind. Es wird schon wieder darüber geredet, wie wir in einen Normalzustand von vor der Krise zurückkehren. Die Fragen, die am Anfang der Krise einmal eine Rolle gespielt haben, was eigentlich in unserer Gesellschaft schützenswert ist, wo ist unsere Gesellschaft verletzlich, diese Fragen sind mittlerweile schon wieder überlagert. Auch wenn das ein bisschen pessimistisch klingt, aber ich bedauere, dass eine queere Community nicht geschlossen auf die Barrikaden geht, wenn diese ganzen Menschen, die in prekären solo-selbstständigen und sonstigen Beschäftigungen unterwegs sind in die Grundsicherung gezwungen werden, in der die traditionellen Geschlechterrollen über den Begriff der Bedarfsgemeinschaft aufs Unappetitlichste reproduziert werden. Und das ist nur ein Beispiel, wo es nötig wäre darüber zu diskutieren, ob unsere Welt vorher eigentlich richtig eingerichtet war. Es wäre doch ganz cool, wenn unsere queere Community, sich gerade jetzt die Frage stellt, ob Dinge, und seien sie noch so utopisch, die wir schon lange auf unserem To-Do-Zettel hatten, in dieser Situation nicht besonders stark gemacht werden müssten.

„Wollen wir nur zur alten Normalität zurückkehren oder wollen wir neue Impulse setzen?“

Wie kann denn eine Regeneration der queeren Kulturlandschaft nach Schließungen und Insolvenzen gefördert und realisiert werden?
Wir führen im Senat gerade spannende Debatten, wie wir die Steuerausfälle nach der letzten Steuerschätzung kompensieren, noch dazu führen wir eine Debatte, wie wir die Einnahmeausfälle in den Bereichen kompensieren können, für die wir Verantwortung tragen – was die Herausforderung verdoppelt! Und dann führen wir als Linke noch eine Diskussion, wie wir das gesellschaftliche Leben wieder anschieben können, wenn die Coronakrise überwunden, der Impfstoff gefunden ist etc. Das ist eine politische Diskussion um die Frage, wollen wir nur zur alten Normalität zurückkehren oder wollen wir neue Impulse setzen. Diese Debatte muss sich im öffentlichen Raum abspielen und dafür suche ich Mitstreitende. Da sage ich: Kämpft mit, beteiligt euch! Im Anschluss können wir über die Instrumente sprechen, mit denen wir das bewerkstelligen können. Darüber möchte ich dann gerne diskutieren. Im Augenblick bin ich rund um die Uhr damit beschäftigt zu retten, was wir retten können.

Lieber Klaus Lederer, ich danke dir für das Gespräch.

Das Interview mit Klaus Lederer wurde bereits Mitte Mai für die Juni-Ausgabe der SIEGESSÄULE geführt!

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