Klaus Lederer: „Wir dürfen uns nicht der Mehrheitsgesellschaft unterwerfen”
Nicht nur auf Bundesebene schwächelt Die Linke in den Umfragen, auch bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September könnte die Partei an Stimmen verlieren. Dabei hat die Berliner Linke immerhin ein Ass im Ärmel: ihren Spitzenkandidaten, Kultursenator Klaus Lederer, der seit Jahren zu den beliebtesten Politiker*innen der Stadt gehört. Wir sprachen mit ihm über Gentrifizierung, Gewalt gegen Queers und die queerfeindlichen Aussagen der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht
Herr Lederer, was steht denn auf der Agenda der Linken für die queere Community in den nächsten fünf Jahren? Was bereits in den vergangenen fünf Jahren passiert ist und was auch in der nächsten Legislaturperiode unbedingt passieren muss, ist, dass wir die Initiative für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt weiterentwickeln. Das war damals der erste Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit bundesweit. Wir haben zusätzliche Einrichtungen für queeres Leben installiert, wie z. B. das Regenbogenfamilienzentrum von LesLeFam in Lichtenberg oder das Zentrum für sexuelle Gesundheit. Ein großer Erfolg ist auch das Landesantidiskriminierungsgesetz, das nicht zuletzt auch die Community stärkt. Angesichts der zunehmenden queerfeindlichen Tendenzen in Europa bleibt leider ein zentraler Punkt, dass wir die Krisen- und Hilfsangebote für Menschen in Notsituationen ausbauen müssen.
Berlin ist für seine Offenheit weltberühmt, gleichzeitig ist es hier auch 2021 immer noch gefährlich, als queere Person auf der Straße oder in den Öffis unterwegs zu sein. Was will Die Linke dagegen tun? Was die Akzeptanz von Queers in der Gesellschaft angeht, liegt leider noch sehr viel im Argen. Da, wo Straftaten und Übergriffe geschehen, braucht es vor allem sensible Behörden, die sich dieser Probleme annehmen. Mit unseren Ansprechpartner*innen bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft gibt es inzwischen auch Menschen, die dafür in die eigenen Behörden hineinsensibilisieren und dafür ein Bewusstsein schaffen. Da ist eine Menge passiert. Dann braucht es aber auch die Sicherung und den Ausbau von Hilfsangeboten. Der Schutz von Freiräumen, von Safe Spaces war in der Pandemie für mich ein wichtiges Thema, insbesondere im Bereich der Clubs. Und natürlich müssen wir weiter für queere Sichtbarkeit sorgen. Vor diesem Hintergrund sehe ich z. B. auch die Entscheidung des CSD in Bremen, bestimmte queere Ausdrucksformen im Grunde zu verbieten, als eine sehr, sehr bedenkliche Tendenz. Wir dürfen uns als Community nicht bestimmten Kleidervorschriften oder Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft unterwerfen, welche Formen queerer Sichtbarkeit akzeptabel sind oder nicht. Wir sollten generell dafür sorgen, dass Menschen die Chance haben, ihr Leben angstfrei zu leben. In einer Stadt wie Berlin mit den vielen Freiräumen, ist es eben besonders wichtig, dass wir auf dem Bestehenden aufbauen und nicht zulassen, dass es da eine Rolle rückwärts gibt. Es gab fünf Jahre Schwarz-Rot hier in Berlin, da ist in Sachen Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gar nichts passiert.
„Dort, wo Eigentümer*innen auf Biegen und Brechen die Projekte raushaben wollen, werden sie auch erfolgreich sein”
Die Gentrifizierung Berlins geht weiter. Einige Räume der Community sind akut bedroht. Wie wollt ihr die queeren linken Räume schützen, die alle nach und nach verschwinden? Dort, wo es private Eigentümer*innen gibt, geraten wir im Rahmen des deutschen Zivilrechts an Grenzen. Es gibt im Baugesetzbuch die Option, dass die Kommune bzw. die Stadt ein Vorkaufsrecht ausübt, wenn massive Verdrängung und erheblich steigende Mieten drohen. Aber das ist nur in explizit ausgewiesenen Gebieten möglich. Im Gewerberecht gibt es diese Möglichkeit nicht. Wir haben eine Bundesratsinitiative gestartet, um den Schutz im Gewerbemietrecht zu erhöhen. Diese ist leider abgelehnt worden. Trotzdem ist es beispielsweise beim SchwuZ gelungen, eine Lösung zu finden. Hier hat eine Schweizer Stiftung das Gelände erworben, die nicht explizit renditeorientiert arbeitet und sich eben auch für besondere Projekte engagiert. Die Griessmühle konnte ins Revier Südost umziehen. Beim Nuke Club haben wir es bis jetzt nur geschafft, die Kündigungsfrist ein bisschen zu verschieben, damit das Kollektiv die Zeit hat, sich nach anderen Räumen umzuschauen. Wir versuchen in jedem Einzelfall, einen Weg zu finden, um die Projekte am Ort selbst oder an einem anderen Ort zu erhalten. Manchmal gelingt das, manchmal nicht. Wir brauchen unbedingt ein anderes Mietrecht, was soziale, gesellschaftliche Belange stärker berücksichtigt, sonst wird es immer wieder bei jedem Einzelfall ein Kampf sein. Und dort, wo Eigentümer*innen auf Biegen und Brechen die Projekte raushaben wollen, werden sie auch erfolgreich sein.
„Bisher haben wir es geschafft, das Wegbrechen von Kulturorten in einem größeren Umfang in Berlin zu verhindern”
Die Pandemie war eine riesige Herausforderung für die queere Berliner Community und die Kulturlandschaft. Was ist deine persönliche Bilanz? Noch ist die Pandemie nicht vorbei. Und wir reden am besten in einem Monat und dann in zwei Jahren noch mal. Aber ich kann einen Zwischenstand geben: Bisher haben wir es geschafft, das Wegbrechen von Kulturorten in einem größeren Umfang in Berlin zu verhindern. Und das ist erst mal eine positive Bilanz. Trotzdem werden wir mit Blick auf das, was vor uns ist, sicherlich noch weitere Anstrengungen unternehmen müssen. Manche Einrichtungen haben Kredite aufgenommen, die sie zurückzahlen müssen. Wir wissen auch nicht, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Nutzung der Einrichtungen haben wird. Werden die Leute mit der gleichen Verve wie früher dorthin gehen, werden so viele Besucher*innen wie früher nach Berlin kommen? Wir schaffen es – trotz Pandemie, erheblichen Schulden und wegbrechenden Steuereinnahmen – mit dem beschlossenen Senatsentwurf, den Kulturetat in den nächsten zwei Jahren auf dem Niveau zu erhalten. Auch das ist eine gute Nachricht. Das setzt natürlich voraus, dass nach der Wahl im Abgeordnetenhaus dieser Haushalt auch bestätigt wird. Wenn Berlin seine vielfältigen und ausdifferenzierten Kulturszenen verliert, dann verliert Berlin ein Stück weit das, was die Stadt ausmacht. Wir kämpfen dafür, dass es nicht so kommt.
Berlin braucht den Tourismus aber ist auch ein anderer Tourismus denkbar, als derjenige, den wir in den letzten Jahren betrachten konnten? Berlin als Disneyworld für Leute, die die letzten erhaltenen kaputten Fassaden fotografieren neben einem Hipstershop in dem Klamotten für Hunderte Euros angeboten werden? Der Tourismus wird sich notgedrungen verändern müssen, weil der Klimawandel bestimmte Forme von Jetset-Tourismus, von Billigfliegerei und so weiter perspektivisch immer weniger zulassen wird. Aber auch der Tourismus selbst muss nachhaltiger werden. Er sollte dezentral organisiert sein. Wir hatten eine Ballung von Hotels und Hostels, einen Wildwuchs in der Stadt, der ganze Stadtteile unbewohnbar gemacht hat. Das geht so nicht. Wir sollten deutlich machen, dass es Spaß machen kann die gesamte Stadt und die gesamte Region zu entdecken, ohne nur ein paar Hauptattraktionen abzugreifen und die Flagship Stores zu besuchen. Dieser Veränderungsprozess gehört genauso zum sozio-ökologischen Wandel dieser Stadt, und den haben wir im Blick.
„Ich verstehe nicht, warum man sich eine Arbeiterin nicht beispielsweise auch als Schwarze Lesbe vorstellen kann”
Mit der Einführung des Mietendeckels hat die rot-rot-grüne Landesregierung gezeigt, dass ein anderer Weg möglich ist. Doch der Mietendeckel wurde gekippt. Das war ein großer Rückschlag. Wie sollen die Mieter*innen zukünftig geschützt werden? Zum einen hat mich dieses Urteil durchaus überrascht, ich bin ja Jurist. In der Begründung steht aber nicht, dass ein Mietendeckel prinzipiell nicht möglich ist, sondern dass er nicht durch ein einzelnes Bundesland eingeführt werden kann. Deshalb müssen wir jetzt Druck machen und dafür sorgen, dass auf Bundesebene ein Mietendeckel kommt. Insofern ist die Frage, wird sich nach der Wahl am 26.09. auf Bundesebene etwas hin zum Progressiven verändern und wird es dort eine Bereitschaft geben, sich nicht nur der Interessen von Immobilienbesitzer*innen, sondern auch von Mieter*innen anzunehmen.
Apropos Bundestagswahl. Eine der Spitzenkandidat*innen der Linken auf Bundesebene ist Sahra Wagenknecht, die in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ von „skurrilen Minderheiten“ spricht. Was bedeutet es für dich als linker Politiker, wenn solche queerfeindlichen Aussagen innerhalb der Partei geduldet werden? Meine Haltung dazu ist bekannt. Ich empfinde das nicht als links, wenn Belange von Emanzipation und sozialer Gerechtigkeit gegeneinander ausgespielt werden. Damit wird eher eine Entsolidarisierung befördert und weniger die Bildung von progressiven Allianzen. Harvey Milk hat in San Francisco die Stadtratswahl gewonnen, weil er sich um die Belange queerer und anderer marginalisierter Menschen genauso gekümmert hat wie um die Organisation von Arbeiter*innen. Ich verstehe auch nicht, warum man sich eine Arbeiterin nicht beispielsweise auch als Schwarze Lesbe vorstellen kann. Es ist ein absoluter Scheingegensatz, der aufgemacht wird, den ich für kontraproduktiv halte. Doch davon, dass jemand viel Zeit in Talkshows verbringt, ändert sich unser Wahlprogramm nicht, und der Standpunkt vieler unserer Parteivertreter*innen ist ein gänzlich anderer.
Warum haben dann linke Abgeordnete gegen ein Selbstbestimmungsgesetz gestimmt? Es waren einige wenige innerhalb der ganzen Fraktion. Ich halte es für ein absolut falsches Signal und finde es tatsächlich sehr bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, das Transsexuellengesetz zu reformieren. Es ist längst an der Zeit.
„Wer auch immer regiert, wird sich dem großen Druck zu einer progressiven Veränderung nicht entziehen können”
Mit der kommenden Bundestagswahl geht die Ära Merkel zu Ende. Ist das eine Chance für Veränderung? Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wir stehen vor diversen Herausforderungen für die Menschheit. Wir stehen vor der Herausforderung aus der Europäische Union eine wirkliche Solidarunion zu machen, in der nicht deutsche Wirtschaftsinteressen im Vordergrund stehen sondern ein gemeinsames Werteverständnis. Es gibt eine ökonomische Herrschaft des Nordens über viele Teile der Welt, die mit massiven Folgeproblemen verbunden ist. Wenn wir die globalen Probleme des Klimawandels lösen wollen, wird das nur auf einer globalen Ebene gehen. Die Länder des Südens müssen dabei unterstützt werden, einerseits Klimaanpassungsmaßnahmen zu vollziehen als auch eine soziale Entwicklung zu verfolgen, die nicht auf massives Wirtschaftswachstum und Export von Ressourcen beruht. Die Frage ist, ob es progressive Mehrheiten in der Gesellschaft gibt, die entsprechenden Druck ausüben. Denn wer auch immer regiert, wird sich dem großen Druck zu einer progressiven Veränderung nicht entziehen können.
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