Pilotprojekt: Die Kita der Schwulenberatung
Im Rahmen des neuen Lebensorts Vielfalt am Südkreuz eröffnet die Schwulenberatung Berlin 2023 auch zwei Kitas, in denen Kinder vielfältige Lebensweisen kennenlernen können. Rechtspopulisten nutzten die Gelegenheit, um die Kitas auf unzulässige und queerfeindliche Weise mit Pädophilie in Verbindung zu bringen. Worum es bei dem Kita-Projekt wirklich geht, erzählten Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung, und Jörg Duden, Abteilungsleiter und Entwickler des Kita-Konzepts, im Gespräch mit SIEGESSÄULE
Der Umgang mit Kindern und das Thema LGBTIQ* und Pädagogik wird von konservativen und rechten Kreisen immer wieder instrumentalisiert, um Ängste zu schüren und Hass zu verbreiten. Was entgegnet ihr den Kritikern?
Marcel: Das hängt stark von der Kritik ab. Es gibt Kritik, auf die man reagieren kann und auch sollte. Wenn z. B. jemand mit dem Begriff der Frühsexualisierung kommt, erwidern wir, dass es hier nicht um Frühsexualisierung geht, sondern darum, andere Lebensweisen kennenzulernen. Hasskommentare zeigen wir hingegen direkt an.
Jörg: Die Instrumentalisierung ist hartnäckig. Das zeigt sich z. B. an der unzutreffenden Bezeichnung „LSBTI-Kita”, die in der Tagespresse verwendet wurde. Unsere Kita ist keine „LSBTI-Kita”, sondern bestenfalls die Kita einer LSBTI-Einrichtung. Wobei wir selbst das nicht sind. Wir sind erst mal nur die Schwulenberatung Berlin. Und wie oft wurde auf Social Media die Frage gestellt, ob es sinnvoll sei, 3-Jährige mit dem Thema „Schwul- und Lesbischsein“ zu konfrontieren, etwas, das wir nie vorhatten und auch nicht für sinnvoll erachten. Aber diese falsche Unterstellung wird permanent in den Raum geworfen. Und eine Diskussion, die auf dieser Grundlage aufbaut, kann nur in die falsche Richtung gehen! Daher ist es so wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und die abwegige Vorstellung mancher, dass wir mit 3-Jährigen über Sexualität sprächen, geradezurücken.
Aufhänger des Shitstorms gegen die Schwulenberatung und eure Kitas waren Vorwürfe, dass euer Vorstandsmitglied Dr. Rüdiger Lautmann Pädophilie verharmlose. Er hatte in den 1990er-Jahren eine soziologische Studie mit dem Titel „Die Lust am Kind“ veröffentlicht.
Marcel: Fakt ist, dass Rüdiger Lautmann nie mit der inhaltlichen Arbeit der Schwulenberatung Berlin befasst war und mit dem geplanten Kita-Projekt nichts zu tun hatte. Dennoch ist er am 6. Oktober von seinem Posten als Vorstand im Trägerverein Psychosoziales Zentrum für Schwule e. V. zurückgetreten, um weiteren Schaden von der Schwulenberatung Berlin gGmbH und ihren Projekten abzuwenden. Wir diskutieren momentan innerhalb des Vorstandes den genauen Aufarbeitungsauftrag und beginnen dann mit unserer angekündigten Analyse. Dabei geht es insbesondere um die Schnittstelle zwischen der Schwulenberatung Berlin gGmbH und dem Psychosozialen Zentrum für Schwule e. V. Die Rolle dieser Schnittstelle müssen wir klären. Diese Analyse soll zu der Eröffnung des Lebensortes Vielfalt am Südkreuz abgeschlossen sein.
Welche Bedeutung hat das Kita-Projekt für die Schwulenberatung Berlin? Marcel: Eine große Bedeutung! Mit Ausnahme unser Trans*- und Inter*-Beratung richten sich alle unsere jetzigen Projekte an Erwachsene. Man wird aber nicht mit 18 schwul, lesbisch oder trans*. Das ist man schon von Geburt an, und daher finden wir es wichtig, dass die Kinder, die in unsere Kita gehen, sehen und erleben, dass es mehr als nur die Heterowelt gibt. Und sollten sich manche dieser Kinder später in ihrem Leben als schwul, lesbisch oder trans* definieren wollen oder Menschen aus der Community zum Partner oder in ihrem Umfeld haben, wird ihnen der Umgang damit leichterfallen, weil sie bereits in ihrer Kindheit gesehen haben, dass es kein Problem ist.
Was ist das Besondere an euren Kitas?
Jörg: Weniger als man denken würde. Wir haben das Rad nicht neu erfunden. Aber wir sind deutschlandweit der erste queere Träger, der eine Kita betreibt, und die Besonderheit, die daran gekoppelt ist, ist die Zusammensetzung der Mitarbeitendenschaft. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir bei der Auswahl von Spiel- und Lehrmaterialien gezielt darauf schauen, dass nicht nur heteronormative Lebenswelten und Rollenbilder repräsentiert werden. Wir werden auf ausgeglichene Materialien achten, die den Betrachter*innen die Möglichkeit geben, einen Rundumblick über die vielfältigen und verschiedenen Lebensweisen zu bekommen. Und dazu gehört ja nicht nur LSBTI*, sondern auch vieles andere, wie beispielsweise Person of Color oder vielleicht eine Person mit einem Handicap zu sein.
Wie kommt es, dass ihr gleich zwei Kitas betreiben werdet?
Marcel: Eine ist in dem Standort mit drin, die zweite direkt nebenan. Wand an Wand mit dem Lebensort Vielfalt baut die Gewobag einen großen Gebäudekomplex mit Hunderten von Wohnungen. Und da ist auch eine Kindertagesstätte vorgesehen, die wir mitbetreiben werden. Es sind zwei Kitas, aber wir betrachten sie als eine Einrichtung, mit einem großen Team. Die eine heißt “Gelb-grüne Panther”, die zweite “Rosarote Tiger”. Zwei Namen, die sich schön zusammenfügen lassen, gleichzeitig aber zwei verschiedene Einrichtungen benennen. Aber in Bezug auf ihre Leitung und ihr Konzept sind sie identisch. Eine hat 45 Plätze, die andere 48. Insgesamt haben wir somit 93 Plätze.
Die Eröffnung des Lebensortes Vielfalt am Südkreuz war für den 1. Januar 2023 geplant, hat sich nun aber verzögert. Was sind die Gründe dafür?
Marcel: Das Haus befindet sich jetzt in der Endphase, aber wir hatten im Zuge des Baus mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen, weswegen sich die Eröffnung des ganzen Gebäudes und damit natürlich auch die Eröffnung der Kita nun vermutlich bis in das erste Halbjahr 2023 verzögert. Ich hoffe, dass es im Mai 2023 so weit sein wird.
Können Rechtspopulisten die Eröffnung der Kitas noch gefährden?
Jörg: Nein, wir halten an unserem Plan fest. Zwar hat z. B. die Jugendorganisation der AfD gegen uns gehetzt und sogar eine Demo organisiert, aber der Zuspruch, den wir von der Gegenseite erfahren, ist viel größer. Niemand der 70 Eltern, deren Kinder auf der Kita-Warteliste stehen, hat sein Kind deswegen von der Liste nehmen lassen. Der Bedarf, die Nachfrage und die Unterstützung aus der Nachbarschaft und vonseiten der Politik und des Landes Berlin sind da.
Infos unter:
schwulenberatungberlin.de/angebote/lebensort-vielfalt-am-suedkreuz/
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