Kommentar zur Bundestagswahl

Keine Resignation: Survival-Guide für die Merz-Republik

26. Feb. 2025 Christian Bojidar Müller
Bild: Leonhard Lenz Creative Commons CC0 1.0 - Universal Public Domain Dedication (Public Domain)
Winter-CSD in Berlin am 15.02., Demo gegen Rechtsruck

Deutschland hat gewählt. Mit Friedrich Merz und seiner CDU in der Regierung sowie 20 Prozent für die AfD drohen düstere Zeiten für marginalisierte Gruppen. Das ist kein Grund zur Resignation, findet SIEGESSÄULE-Autor Christian Bojidar Müller. Ein Survival-Guide für die politisch aktive LGBTIQ*-Community

Deutschland erlebt den stärksten Rechtsruck seit dem zweiten Weltkrieg. Für knapp 50 Prozent der Bevölkerung scheinen Migrant*innen und Diversität die größten Probleme zu sein, glaubt man den Wahlkampfthemen der Gewinner-Parteien. Viele von uns würden am liebsten das Land verlassen, doch die bessere Frage ist: Wie holen wir es uns zurück?

Der Blick auf die schwarz-blaue Wahlkarte lässt keinen Zweifel: Für die LGBTIQ*-Community, BIPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte brechen düstere Zeiten an. 28 Prozent der Zweitstimmem gingen an Friedrich Merz und seine CDU, 20 Prozent an die AfD, 16 Prozent an die SPD, 12 Prozent an die Grünen. Immerhin überraschende 9 Prozent der Wähler*innen haben für die Linke abgestimmt. Ein schwacher Trost, denn selbst wenn die Brandmauer hält, bleibt die Realität bitter: Die größte Regierungs- und die größte Oppositionspartei liegen in Migrations- und Diversitätsfragen fast auf einer Linie, während die SPD Mehrheiten für die Regierungsfähigkeit sichern muss. So werden Inklusion und auch Klimapolitik in den nächsten Jahren bestenfalls Randthemen bleiben.

Rechtskonservative Einheitsfront

Dass die Partei um Olaf Scholz massive Schwierigkeiten hatte, die eigenen Werte durchzusetzen, haben sowohl die vergangene Legislaturperiode als auch der Wahlkampf gezeigt. Ob sie mit weniger Abgeordneten und Lars Klingbeil als neuen Fraktionsvorsitzenden das Selbstbestimmungsgesetz gegen die Pläne der CDU und AfD verteidigen kann, ist offen. Wie viel Schutz und Gleichstellung queerer Menschen es vom alten in den neuen Koalitionsplan schaffen wird, wird sich in den kommenden Tagen herausstellen. Der LSVD hat bereits eine Petition über die Plattform AllOut gestartet, um die Koalitionsparteien an ihre Verantwortung zu erinnern.

Die AfD ruft erwartungsgemäß „Wahlbetrug”, weil die CDU Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen Partei ablehnt – und ignoriert dabei, dass dies ein Wahlversprechen der Union war. Der Vorwurf der AfD: Wenn die Union mit der SPD koaliert, könne sie viele Wahlversprechen nicht halten. Die CDU griff schon vor der Wahl die Themen der AfD auf, übersetzte plumpen Populismus in Regierungssprache – und winkte mit Stimmen der AfD Anträge durchs Parlament.

Und jetzt zum Wochenstart nach der Bundestagswahl brachte die CDU eine Kleine Anfrage in den Bundestag ein, die gemeinnützige NGOs verunsichern will und offensichtlich suggeriert, zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Omas gegen Rechts, Correctiv oder Greenpeace würden eine steuerfinanzierte Kampagne gegen die CDU führen. Faktenchecks zufolge, erhalten die NGOs zweckgebundene Fördergelder und finanzieren damit keine Demonstrationen. Dieser Einschüchterungsversuch ist ein Vorgeschmack darauf, wie der rechte Kulturkampf unter Merz in den kommenden Jahren aussehen wird.

Wir brauchen ein gesellschaftliches Gegengewicht!

Das Wiederauferstehen der zerstrittenen Linken wirkt dazwischen wie ein Lichtblick. Doch zusammen mit den Grünen in der Opposition haben sie aktuell drei Sitze weniger als die AfD im Bundestag. Die Arbeit der progressiven Parteien wird dort also vor allem auf kritische Anfragen und Reden sowie den Aufbau eines gesellschaftlichen Gegengewichts zu den erstarkenden rechten Narrativen hinauslaufen.

Die Arbeit der progressiven Parteien wird vor allem auf kritische Anfragen und Reden sowie den Aufbau eines gesellschaftlichen Gegengewichts zu den erstarkenden rechten Narrativen hinauslaufen.

Kein Grund zur Resignation, im Gegenteil: Die AfD hat schließlich mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 bewiesen, dass selbst 10 Prozent reichen, um den politischen Diskurs zu dominieren, wenn man laut und sichtbar ist. Wo können linke, linksliberale und queere Bewegungen ihre Energie investieren?

Ein kurzer Survival-Guide für den kalten Merz

1) Alle zusammen gegen den Faschismus

Die Rechte hat längst verstanden, dass es nicht nur um Wahlen geht, sondern um langfristige Machtstrukturen. Demokratische Kräfte hingegen verzetteln sich oft in internen Kämpfen. Die Debatten selbst sind dabei nicht das Problem – sondern die Tatsache, dass sie oft nicht produktiv geführt werden. Rechte Bewegungen streiten auch, aber sie haben ein übergeordnetes Ziel: Macht. Auch linke Bewegungen müssen strategisch an Kernthemen zusammenarbeiten, statt sich an Einzelthemen zu spalten. Heidi Reichinnek und die Silberlocken haben vorgemacht, dass es möglich ist.

2) Narrative setzen statt nur reagieren

Die AfD zwingt uns in eine Endlosschleife der Reaktion. Es reicht nicht, ihre Lügen zu entlarven, sichtbar zu machen und die Propaganda dadurch immer wieder zu reproduzieren. Anstatt zu reagieren müssen wir als LGBTIQ*-Community in Zukunft mehr eigene Themen und positive Bilder setzen, den Diskurs aktiv prägen und rechte Narrative verdrängen.

Anstatt zu reagieren müssen wir als LGBTIQ*-Community in Zukunft mehr eigene Themen und positive Bilder setzen, den Diskurs aktiv prägen und rechte Narrative verdrängen.

3) Engagement an der Basis

Darüber hinaus braucht es auch gelebte Solidarität, mehr queere Graswurzelarbeit und ehrenamtliches Engagement an der Basis, wo viele Sozialarbeiter*innen überfordert sind. Jetzt, da die staatlichen Förderungen für viele queere und migrantische Projekte wegfallen oder gefährdet sind, ist der Zeitpunkt da, um zu beweisen, wie wichtig sie für uns als Zivilgesellschaft sind. Dabei helfen unabhängige Strukturen – ein Vorbild könnte das Netzwerk Polylux sein, das zivilgesellschaftliche Initiativen im Osten Deutschlands unterstützt.

4) Rechtsruck in Institutionen bekämpfen: Polizei, Verwaltung, Justiz

Rechte Politik wird nicht nur gewählt, sie verankert sich in Institutionen. Polizei, Bundeswehr, Justiz: Überall gibt es rechte Netzwerke. Diese sind nicht einfach „wegzudemonstrieren“. Wenn wirklich alle Cops irgendwann Bastards sind, haben wir ein massives Problem. Wir müssen einerseits queere und linke Präsenz in den staatlichen Institutionen fördern und andererseits diejenigen unterstützten, die investigative Recherchen betreiben und rechte Netzwerke aufdecken.

So werden wir die Verschärfungen für Migration und LGBTIQ*-Rechte vielleicht nicht gleich verhindern können. Aber wir können sie abfedern und langfristig rückgängig machen. Die AfD hat 12 Jahre gebraucht, um ihr verzerrtes Weltbild zu etablieren. Wie lange brauchen wir, um es wieder zu kippen?

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