Meinung

Kein Gender-Trouble mehr: Für eine neue deutsche Sprachreform

16. Jan. 2020 Joey Hansom

Das geschlechtsneutrale „they“ wird immer populärer. Jetzt ist es sogar zum Wort des Jahrzehnts gekürt worden. Leider existiert im Deutschen kein wirkliches Äquivalent. SIEGESSÄULE-Redakteur*in Joey Hansom kommentiert

Anfang des Jahres kürten die Sprachwissenschaftler*innen der American Dialect Society das Pronomen „they“ zum Wort des Jahrzehnts. Nur wenige Tage zuvor hatte auch Merriam-Webster, ein Verlag für Wörterbücher, erklärt, dass „they” ihr Wort des Jahres sei. Es wurde 2019 dreimal so oft nachgeschlagen wie noch im Vorjahr. Grund: seine zunehmende Beliebtheit als geschlechtsneutrale Alternative zu den Personalpronomen „he“ oder „she“. „They“ ist als Anrede für Individuen nicht neu – Shakespeare zum Beispiel setzte das Wort bereits als Singularpronomen ein. Erst im Verlauf der letzten zehn Jahre erlangte es aber seine jetzige Popularität unter Queers.

Als Berliner*in amerikanischer Herkunft spreche ich in meinem Freundeskreis meistens Englisch, und benutze dort seit anderthalb Jahren „they“ als Selbstbezeichnung. Das Problem: im Deutschen existiert kein wirkliches Äquivalent zu „they“. Ein Satz wie „das ist Joey, sie sind weder Frau noch Mann“ klingt für viele zu umständlich. Manche versuchen deshalb, Pronomen generell zu vermeiden, was aber zu ständigen Wiederholungen des eigenen Namens führt. Andere, etwa Berliner*in René_ Hornstein, kreieren neue deutsche Pronomen: „Wenn eine Person einen Namen lernen kann, kann sie auch ein Pronomen lernen,“ sagte em dazu im Interview mit dem Onlinemagazin jetzt.

Durchgesetzt hat sich aber bisher keine dieser Lösungen. Gender-Trouble erlebe ich entsprechend oft – nicht nur, wenn Leute über mich, sondern auch, wenn sie mit mir sprechen. Warum wird auf mein Geschlecht verwiesen, noch bevor man überhaupt meinen Namen nennt? Warum in Email-Anschreiben nicht lieber „Liebe*r Joey“ statt „Lieber Joey“ verwenden, oder warum nicht einfach „sehr geehrter Mensch Hansom“ statt „sehr geehrter Herr Hansom“?

Sprachen verändern sich ständig: so gab es zum Beispiel auch im englischen lange ein Äquivalent zum deutschen „Sie“ („thou“) – heute ist nur mehr das egalitärere „you“ üblich. Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, in der unsere Sprache – welche auch immer – nicht damit beginnt, uns in „Frau“ oder „Mann“ zu unterteilen. Neutrale Ausdrucksformen sind dabei ein guter Ausgangspunkt. Deutsche Universitäten haben sich dem Problem bereits angenommen und verwenden zum Beispiel „Studierende“, um Gruppen verschiedener Gender-Identitäten zu beschreiben. Auch in Schweden wurden sprachliche Änderungen bereits proaktiv umgesetzt und ein geschlechtsneutrales Pronomen („hen“) eingeführt, das vom Finnischen („hän“) inspiriert ist – eine Sprache übrigens, die wie Türkisch oder Ungarisch seit jeher schon geschlechtsneutrale Pronomen verwendet.

In Deutschland wurde in den letzten Jahren zumindest mal damit begonnen, auf gesetzlicher und bürokratischer Ebene die Bandbreite der Geschlechter anzuerkennen – die wesentlich mehr umfasst als nur „männlich“ oder „weiblich“. Die Sprache sollte dem nicht nachstehen. Vielleicht ist es Zeit für eine weitere deutsche Sprachreform. Nicht nur von oben, vom Duden herab – sondern von unten, von der Basis aus. Dazu braucht es die Bereitschaft zum Verlernen des Gewohnten, zum Fabulieren und neu Denken. Das könnte uns einiges abverlangen. Aber das ist auch gut so.

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