Kai Wegner: „Wir werden Queerfeindlichkeit konsequent bekämpfen"
Seit Ende April hat Berlin mit Kai Wegner einen neuen Regierenden Bürgermeister: Nach mehr als 20 Jahren wird das Berliner Abgeordnetenhaus wieder von einem CDU-Politiker angeführt. Einer Partei, die aufgrund queerfeindlicher Positionen in diesem Jahr vom CSD München und vom CSD Hamburg ausgeschlossen wurde. Zur Berliner Pride Season gab sich Wegner hingegen Mühe, besonders communitynah zu erscheinen. SIEGESSÄULE-Verlegerin Gudrun Fertig traf den Regierenden Bürgermeister zum Interview
Herr Wegner, Sie haben im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Stadt der Vielfalt” ein ambitioniertes Programm gegen Diskriminierung vorgelegt: vom Kampf gegen Frauenarmut, Unterstützung für queere Geflüchtete bis zum Abbau von Islamfeindlichkeit. Wie wollen Sie das schaffen? Berlin ist nicht nur die Stadt der Freiheit, sondern auch der Toleranz und der Vielfalt. Deshalb haben wir uns in diesem Bereich viel vorgenommen. Wir erleben in Berlin immer mehr Gewalt gegen Frauen, die häusliche Gewalt ist in Corona-Zeiten sehr stark gestiegen. Wir erleben auch Hasskriminalität und Angriffe von Rechtsextremen. Das passt nicht in unsere Stadt und hier müssen wir etwas tun. Wir leiten schon erste Maßnahmen ein, zum Beispiel durch einen Queer-Beauftragten.
„Berlin wird ein sicherer Hafen sein.“
Sie haben mitbekommen, dass in Uganda LGBTIQ* und Aktivist*innen durch ein neues Gesetz bedroht sind. Wird Berlin anbieten, queere Geflüchtete aus Uganda aufzunehmen? Das ist unfassbar, was in Uganda beschlossen wurde. Bisher beklagen wir die Diskriminierung von Homosexuellen in einigen osteuropäischen Ländern. Aber die Entwicklung in Uganda, auch einige Vorgänge in den Vereinigten Staaten schockieren mich sehr. Ich habe es schon beim Schwul-Lesbischen Stadtfest gesagt, und dazu stehe ich: Menschen aus Uganda, deren Leben bedroht sind, sind in Berlin willkommen. Berlin wird ein sicherer Hafen sein, und wir werden sehen, wie wir das rechtlich absichern können.
Sie erwähnen die USA. So ähnlich wie Gouverneur DeSantis in Florida hat sich auch Martin Huber, Generalsekretär der CSU, geäußert, der vor Kinderbuchlesungen mit Dragqueens gewarnt und damit aus meiner Sicht gegen queere Menschen gehetzt hat. Was sagen Sie dazu? Berlin ist in dieser Hinsicht schlicht und ergreifend weiter. Und das ist auch gut so. Natürlich müssen wir, wenn wir über Hassgewalt sprechen, auch über Prävention in den Schulen, Kitas und der beruflichen Bildung sprechen. Ich bin für Prävention und Aufklärung, um Homophobie konsequent entgegenzuwirken.
„Ich rufe keinen Kulturkampf aus.“
Ist es die Strategie der Union, zur Eindämmung der AfD queerfeindliche Positionen einzunehmen und den Gender-Kulturkampf zu befördern? Ich rufe keinen Kulturkampf aus, sondern ich will durch gute Arbeit die Menschen überzeugen, wieder Vertrauen in die politische Mitte zu bekommen. Es ist bekannt, dass ich kein großer Fan der Gendersprache bin. Aber wenn jemand mit mir so spricht, ist das für mich total okay. Wenn umgekehrt viele Menschen sagen, das ist nicht meins, dann ist das auch in Ordnung. Ich persönlich sage etwa „Berlinerinnen und Berliner“. Ich plädiere dafür, bei der Gendersprache ein bisschen liberaler und entspannter aufeinander zuzugehen.
Zurück zur „Stadt der Vielfalt”. Einige hat das überrascht, dass sich so viel im Koalitionsvertrag dazu findet. Was mich wiederum überrascht, dass das so viele überrascht.
„Einer der größten Schätze Berlins ist die Vielfalt der Stadt.“
Unter anderem deswegen, weil Sie ja im Wahlkampf für die Abschaffung des Landesantidiskriminierungsgesetzes geworben haben. Mich überrascht das tatsächlich, weil ich seit über vier Jahren Landesvorsitzender der Berliner CDU bin. Von Beginn an habe ich gesagt: Eine der größten Chancen Berlins und einer der größten Schätze Berlins ist die Vielfalt der Stadt. Das macht Berlin aus.
Und das Landesantidiskriminierungsgesetz widerspricht dieser Vielfalt? Sie spielen auf eine Aussage an, die aus dem Wahlkampf 2021 stammt. Damals hatte insbesondere die Berliner Polizei vor einem Bürokratiemonster gewarnt, das schädlich für die Kriminalitätsbekämpfung sei. Inzwischen wissen wir, dass dieses Gesetz im täglichen Arbeiten kein Problem ist. Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag nicht darauf bestanden, dass das Gesetz wieder abgeschafft wird.
Würden Sie auch heute noch unterstützen, dass die CDU-Fraktion nach den Vornamen der Tatverdächtigen bei den Silvester-Krawallen fragte? Die Bundesinnenministerin hat die Herkunft der Täter genannt. Meiner Meinung nach ist es entscheidend, dass wir sowohl Opferkreise als auch Täterkreise benennen. Nur dann schaffen wir es, das richtige Präventionsangebot zu machen. Das sind zwei Seiten einer Medaille.
„Wir müssen Täter und Opfer benennen.“
Die alte Regierung hat 20 Millionen Euro versprochen für Prävention gegen Jugendgewalt. Werden Sie die einsetzen? Wir haben im Haushalt beschlossen, 20 Millionen Euro in diesem und 70 Millionen Euro im nächsten Jahr für den Kampf gegen Jugendgewalt einzusetzen. Diese Arbeit, etwa aufsuchende Arbeit mit den Jugendlichen oder Streetwork-Projekte, werden wir jetzt beginnen und vorantreiben. Auch Familienarbeit ist wichtig. Neben der Prävention brauchen wir einen starken Staat und eine starke Justiz. Wenn Straftaten begangen werden, muss die Strafe auf dem Fuße folgen. Deswegen verstärken wir auch die Staatsanwaltschaften, gerade im Bereich der Jugendgruppengewalt.
Zu den Berliner Freibädern und den Krawallen, die es dort gab: Carsten Linnemann, neuer Generalsekretär der CDU, hat davon gesprochen, Jugendliche mit Migrationshintergrund seien dort die Gewalttäter. Und Familien würden darunter leiden. Nun sind ja dort auch sehr viele Familien mit Migrationshintergrund. Das hätte er auch erwähnen können. Wir müssen Täter und Opfer benennen. Ich war selbst kürzlich im Prinzenbad in Kreuzberg. Viele Frauen und Kinder mit Migrationshintergrund haben mir gesagt, dass sie unter den gewalttätigen Auseinandersetzungen leiden. Eine Dame berichtete mir, dass sie nur noch vormittags ins Prinzenbad kommt, weil sie nachmittags nicht mehr unbelästigt oben ohne schwimmen gehen kann. Wir müssen unsere Bäder sicher machen – für diese Menschen und vor allem für Familien, die sich in den Sommerferien keinen Urlaub leisten können und unsere Berliner Schwimmbäder besuchen wollen.
„Wir haben die vielfältigste Polizei in ganz Deutschland.“
Werden Sie auch bei rechten Straftaten genauer hinsehen? Es gibt immer noch Kieze, wo queere Menschen sagen, ich würde da nicht hinziehen und wo People of Color sagen, ich würde dort nicht hinziehen. Eine Straftat ist eine Straftat. Wenn jemand angegriffen wird und eine Faust ins Gesicht bekommt, fragt das Opfer nicht: War es jetzt eine linke, eine rechte Faust? Aber für die Prävention ist es schon wichtig zu wissen, was die Motivation hinter dem Angriff ist. Klar ist: Jede antisemitische, jede rechte Straftat in Berlin ist absolut inakzeptabel. Wir werden Rechtsextremismus, Linksextremismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit konsequent bekämpfen.
Sehen Sie auch einen immer noch vorhandenen strukturellen Rassismus, der dazu beiträgt, dass Menschen mit Namen, die nicht mehrheitsdeutsch klingen, schwieriger eine Wohnung bekommen? Schwieriger eine Arbeit bekommen? Solche Vorfälle gibt es leider viel zu häufig. Wir müssen dem entgegenwirken, gerade in einer Stadt der Vielfalt. In vielen Bereichen ist uns das schon gelungen, so haben wir die vielfältigste Polizei in ganz Deutschland. Mehr als jeder dritte Berliner Polizist hat mittlerweile Migrationshintergrund. Mich macht das stolz. Das ist der Weg, den wir weitergehen müssen.
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