Hassrede auf TikTok und Co.

Jung, christlich, rechtsradikal: Queerfeindliche Influencer*innen

9. Okt. 2023 Lea Siebarth
Bild: Canva

Auf TikTok, Instagram und YouTube macht sich eine neue Welle rechtsoffener Influencer*innen bemerkbar, die gegen die LGBTIQ*-Community hetzt. Die reißerische Rhetorik und die manipulativen Tricks dieser Accounts sind effektiv und besorgniserregend. SIEGESSÄULE-Autorin Lea Siebarth hat sich zwei Beispiele genauer angeschaut

Sie inszenieren sich als schlagfertig, ehrlich und nahbar, zeigen Gesellschaftskritik mit einem Augenzwinkern und gehen „mit Humor gegen den Zeitgeist“. Der Content der neuen Generation politisch rechter Influencer*innen auf Instagram, TikTok und YouTube ist durchdacht und vorsichtig kuratiert. Sie zeigen ihrem Zielpublikum eine gekonnt verdrehte Realität: eine Welt, die von Klima-Hysteriker*innen und „LGBTQ“ kontrolliert wird. In der es mutig ist, offen zu sagen, dass es nur zwei Geschlechter gibt. In der das Vertreten „traditioneller“ Werte als nicht-linienkonform gilt und deshalb der ständigen Gefahr von Zensur ausgesetzt ist. Das Narrativ ist: Wir sind die Rebellen. Das System ist gegen uns.

„Rechte Influencer*innen zeigen ihrem Zielpublikum eine verdrehte Realität, die von Klima-Hysteriker*innen und 'LGBTQ' kontrolliert wird.“

Es ist ein Narrativ, das bei näherer Betrachtung und kritischer Beleuchtung auseinanderfällt – von der Absurdität der Aussagen verglichen mit der Lebensrealität queerer Personen in Deutschland mal ganz abgesehen. Spätestens die Mitte-Umfrage hat bestätigt, dass rechtsextreme Meinungen und Rhetorik fest in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Mutige Grenzgänger*innen gegen ein gewalttätiges Unterdrückungssystem? Wohl kaum. Dennoch finden Creator*innen wie „eingollan“ und „Ketzer der Neuzeit“ immer mehr Anklang und Reichweite.

Manipulative Interview-Zusammenschnitte

„Eingollan“ ist jung und Schauspielstudentin. Sie hat einen alten VW-Bus, den sie „Gunnar“ getauft hat und der auch gerne als nostalgisches Symbol für das, was Klimaaktivist*innen zerstören wollen, eingesetzt wird. In ihren Videos zeigt sich „eingollan“ als neugierig und offen. Dazu füllt sie ihren Feed mit Straßeninterviews und Umfragen – zum Beispiel zu LGBTIQ*-Belangen. Es fällt allerdings schwer, ihre Straßeninterviews ernst zu nehmen. Es ist oft weniger ein Interview, als eine Vorführung von Menschen, die überrumpelt, provoziert oder mit Nonsens-Fragen konfrontiert wurden und dementsprechend reagieren. In einigen Videos benutzt „eingollan“ die wohlwollenden Antworten ihrer Interviewpartner*innen, um einen queerfeindlichen Punkt rüberzubringen, wie bei einem Interview über Drag-Lesungen für Kinder. Die Videos zeigen oftmals emotionale Menschen, wütende Menschen, planlose Menschen – aus dem Kontext gerissen und passend zusammengeschnitten. Musikalische Untermalung, Kamerazoom und eine Grimasse Richtung Publikum und fertig ist das Straßentheater: „Schaut euch das an. Das ist es, was schiefläuft in der Welt. Wollt ihr euch wirklich von solchen Leuten etwas sagen lassen?“

Bild: Screenshot Twitter/x.com
Queerfeindlicher Tweet von „Ketzer der Neuzeit“

„Ketzer der Neuzeit“ nimmt eine deutlichere politische Position ein, beklagt die Intoleranz der „woken Linken“ gegenüber rechtem Gedankengut und den Verlust ‚gottgegebener Werte‘. Auch sein Content besteht haupsächlich aus in seinem Sinne zusammengeschnittenen Straßeninterviews mit Clickbait-Vorschaubild. Dazu gibt's Gespräche mit anderen rechtskonservativen Creator*innen mit dem ein oder anderen Tweet gegen die vermeintlich „woke queere Gesellschaft“ und ihre absurden Ansichten. Ein großer Teil seiner Ansichten bezieht er auf das Christentum und warnt davor, wie die Zukunft auf diese Zeit unserer Gesellschaft zurückblicken wird.

Leichter Einstieg in rechtsradikale Ideologien

Es ist effektiver und affektiver Content – alle Menschen, deren Meinung sie nicht teilen werden als lächerlich dargestellt, ihre Meinungen und Ansichten entwertet. Es sind Inhalte, die besonders Menschen erreichen und emotionalisieren sollen, die sich weder mit diesen Themen auseinandersetzen wollen, noch direkt davon betroffen sind. Ein gelungener erster Schritt in Richtung rechtsradikaler Politisierung. „Eingollan“ positioniert sich selbst nicht offen politisch, aber das braucht sie auch nicht. Sie stellt ja nur Fragen. Sie macht sich ja nur Sorgen. Vor allem um den Verlust von gesellschaftlichen Werten. Um die Kinder, die in einer Gesellschaft aufwachsen, die durch die Abwesenheit von klaren Geschlechtern und Geschlechterrollen „durcheinandergebracht“ worden ist. Um Kinder, die bereits im Kindergarten mit LGBTIQ-Themen in Berührung gebracht und somit natürlich „zu früh sexualisiert“ werden.

„Die Influencer*innen schaffen es, Content zu produzieren, der auf den ersten Blick mainstream-tauglich wirkt.“

Es ist das klassische „Denkt auch mal jemand an die Kinder“-Argument, und nicht das Einzige, was an rechtskonservativen Populismus erinnert. Dennoch schaffen Influencer*innen wie „eingollan“ und „Ketzer der Neuzeit“ es, Content zu produzieren, der auf den ersten Blick mainstream-tauglich wirkt. Verschwörungstheoretische Ansätze werden ebenso in rational klingende Argumentation miteingeflochten, wie antifeministisches Gedankengut und Verleugnung des Klimawandels.

Der Algorhitmus belohnt Aufregung

Queerfeindlichkeit auf Instagram und TikTok sind nichts neues. Wenn Selbstversuche und Studien eines gezeigt haben, dann ist es, wie schnell man auf sozialen Medien mit rechtem Gedankengut in Berührung kommt. Der allgegenwärtige Algorhitmus liebt das Engagement, das Inhalte dieser Art generieren. Die Art und Weise wie rechtsoffene und rechtspolitische Influencer*innen ihre Inhalte aufbereiten bedeutet, dass sie nicht nur ein größeres Publikum erreichen, sondern auch überzeugen können.

„Die Art und Weise wie rechtspolitische Influencer*innen ihre Inhalte aufbereiten bedeutet, dass sie nicht nur ein größeres Publikum erreichen, sondern auch überzeugen können.“

Das Narrativ der Unterdrückten kommt gut an, manipulativ zusammengeschnittene Videos fungieren als Belege und die parasoziale Beziehung mit ihrem Publikum sorgt dafür, dass wenige Aussagen in Frage gestellt werden. Auch werden durch eine überzogene und teilweise einfach falsche Darstellung derzeitiger gesellschaftlicher Entwicklungen Bedrohungen geschaffen, die so nicht existieren. Kritisch hinterfragt werden, soll das allerdings nicht. Klar, Propaganda machen ja nur die anderen.

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