Joyland: Queeres Film-Highlight aus Pakistan
Als erster Film aus Pakistan schaffte es „Joyland“ von Regisseur Saim Sadiq nach Cannes – und gewann den Jurypreis in der Kategorie „Un certain regard“ sowie die „Queer Palm“. In seinem Heimatland wurde das vielschichtige Drama über die Liebe zwischen einer trans Frau und einem verheirateten cis Mann zensiert und zeitweise verboten
Zwischen den hohen, eng gestellten Wohnhäusern von Lahore wirken die Attraktionen des Vergnügungsparks „Joyland“ beinahe wie Miniaturen: Gerade mal ein Stück des Riesenrads und die Spitzen einer Achterbahn lugen hervor. Bewegung, Freude und Lebendigkeit lassen sich hinter den monochrom graubraunen Mauern lediglich erahnen. Solche Einstellungen, die zugleich melancholisch und komisch wirken, geben die Stimmung von Saim Sadiqs Spielfilmdebüt „Joyland“ vor. Ähnlich klaustrophobisch, aber auch sinnlich und farbenfroh sind die Szenen im überfüllten Apartment der Familie Rana: Hier lebt Haider zusammen mit seiner Frau Mumtaz, seinem älteren Bruder, dessen Frau und mittlerweile vier Töchtern unter der Fuchtel des verwitweten Patriarchen, der im Rollstuhl sitzt. Die Anspannung ist hoch: Das Hoffen auf einen männlichen Erbe bleibt vergeblich, der Platz wird mit jedem neuen Kind nur knapper, die Klimaanlage ist kaputt und Haider seit Jahren arbeitslos. Während Mumtaz mit ihrer Arbeit im Kosmetiksalon das Geld nach Hause bringt, hilft Haider im Haushalt und versorgt die Nichten – eine für Haiders Vater untragbare Verkehrung der Geschlechterrollen.
Als Haider einen Job findet und Mumtaz nun statt seiner zu Hause bleiben muss, scheint endlich alles im Lot. Tatsächlich jedoch entfaltet sich das wahre Drama erst jetzt. Denn Haider ist kein „Theatermanager“, wie er seiner Familie erzählt, sondern arbeitet in einem Kabarett als Backgroundtänzer für die trans Frau Biba. Und die bringt ihm nicht nur bei, die Hüften zu lockern, sondern ruft überdies ein unerwartetes Begehren in ihm wach.
Statt sich nun aber voll und ganz auf die heimliche Romanze zwischen Haider und Biba zu konzentrieren und diese als queeren Befreiungsschlag – inklusive unwahrscheinlichem Happy End – zu feiern, wählt „Joyland“ einen weitaus komplexeren Weg.
Diva-Allüren und bitchy Tonfall
Zum einen ist Biba mit ihren Diva-Allüren und ihrem bitchy Tonfall („Nenn mich Madam!“) nicht unbedingt als Sympathieträgerin angelegt. Doch wird sie dadurch zugleich zu einer authentischen, vielschichtigen Figur, denn dank der Einblicke in die sexistische und transfeindliche pakistanische Gesellschaft wird auch nachvollziehbar, warum sie sich diesen harten Panzer zulegen musste. Ein weiterer Twist: Haider erwiest sich als keineswegs „zu straight“, um ihrer Liebe eine Chance zu geben – im Gegenteil.
Zum anderen verliert der Film auch Mumtaz und die veränderten Dynamiken im Gewebe der Familie Rana nie aus den Augen, sondern porträtiert die beiden Sphären gleichwertig. Tatsächlich beruht ein Großteil seines dramatischen Potenzials auf der Tragik seiner Frauenfiguren, deren Wert fast ausschließlich an ihrer Fähigkeit bemessen wird, für männliche Nachkommen zu sorgen.
Mit seiner poetischen Bildsprache ist „Joyland“ aber auch eine Liebeserklärung an Lahore. Vor allem beeindruckt der so unprätentiöse wie wirkungsvolle Einsatz von Licht- und Schatteneffekten: Mal fühlt man sich ins schummrig-warme Interieur eines Vermeer-Gemäldes versetzt, dann wieder ist eine Tanzszene ins kühle Weiß Dutzender Handylichter getaucht. Der erste Kuss zwischen Haider und Biba wirkt geradezu der Realität enthoben, einfach dadurch, dass über ihre Gesichter die leuchtend grünen Punkte eines billigen LED-Strahlers kreisen. In solchen Momenten blitzen die Sehnsüchte, Wünsche und Begierden der Figuren kurz auf und offenbaren eine innere Lebendigkeit, die sonst hinter den dicken Mauern der patriarchalen Ordnung, der religiösen Zwänge und Alltagsroutinen verborgen bleibt.
Joyland,
Pakistan 2022
Regie: Saim Sadiq.
Mit Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Kahn, Sarwat Gilani u.a.
Ab 09.11. im Kino
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