Ausstellung bis 28.04.

Josephine Baker in der Nationalgalerie: Nicht anständig genug?

19. März 2024 Manu Abdo und Kevin Clarke
Bild: George Hoyningen-Huene Estate Archives
Josephine Baker porträtiert vom schwulen Fotografen George Hoyningen-Huene 1929

Die US-amerikanische Künstlerin Kandis Williams hat zusammen mit dem Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, eine Ausstellung über die „Ikone“ Josephine Baker (1906–1975) zusammengestellt. Darin wird u. a. ihre Bedeutung als Vorreiterin des Feminismus, der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der Filmgeschichte gewürdigt. Ihr Status als Queer- und Bi+-Ikone spielt hingegen keine Rolle. Doch warum? SIEGESSÄULE hat bei den beiden Kurator*innen nachgehakt

Ihr zeigt Josephine Baker als Ikone in vielen Bereichen, allerdings nicht als Queer-Ikone. War sie eine? Kandis Williams: Sie ist eine Ikone der Inklusivität! In ihren Shows arbeitete sie mit vielen queeren Künstler*innen, z. B. mit Féral Benga, dem schwulen Schwarzen Tänzer, der genau wie sie später ein Vorkämpfer der US-Bürgerrechtsbewegung war. Sie verlässt die Ehe, in die sie sehr jung gedrängt wurde, sie lässt sich mit 15 von ihrem ersten Ehemann scheiden, sie sagt, sie will etwas anderes. Sie entscheidet selbst, was sie will – als Tänzerin, als Performerin, als Frau. Diese Weigerung, sich heteronormativen Erwartungen zu unterwerfen, macht sie für viele heute zu einer queeren Ikone. Sie lebte ihr Anderssein ein Leben lang radikal aus.

Klaus Biesenbach: Von Baker gibt es das berühmte Bild, auf dem sie einen Bananenrock trägt. All diese Bananen rund um ihre Hüfte – was für Assoziationen hat man da? Dieses Urbild von Josephine Baker zeigt eine empowerte Frau, die symbolische Phalli schüttelt. Sie bringt sie zum Tanzen und Schwingen. Ist das nicht das „Gayeste“, was man überhaupt machen kann?

„Sie schafft Verwandtschaft über Landes- und Gendergrenzen hinweg. Das sind gelebte Queer Values.“

In der Ausstellung ist ein Buch aus den 1950er-Jahren zu sehen, in dem es – auf dem Titel – um ihre „Regenbogenkinder“ geht. Ein erstaunlich moderner Begriff ... Williams: Dass sie so viele Kinder adoptierte und mit ihnen eine Wahlfamilie formte, ist ihrer Zeit meilenweit voraus und findet ein starkes Echo in heutigen Konzepten von Queer Identity. Sie schafft Verwandtschaft über Landes- und Gendergrenzen hinweg. Das sind gelebte Queer Values.

Biesenbach: Sie war unglaublich frei und sequenziell promiskuitiv. Für eine derart berühmte Frau, in jenen Jahren, war das unerhört. Sie sprach beim „March on Washington“ 1963 direkt vor Martin Luther King, beim Protest gegen Rassismus. Aber darüber wurde kaum berichtet. Warum? Man sieht aktuell im Netflix-Film „Rustin“, wie schwer es damals war, im Rahmen der US-Bürgerrechtsbewegung offen queer zu sein. Ihre Freizügigkeit war sicher auch ein Grund, warum man den Fokus nicht zu deutlich auf ihre Teilnahme legen wollte.

„White Supremacy und damit verbunden Respectability Politics überschatten bis heute die Beschäftigung mit Schwarzen Künstler*innen.“

Warum blendet ihr aber Bakers Queerness in der Ausstellung weitgehend aus? Williams: Wenn wir über Queerness in der Schwarzen Community reden, steht für uns viel mehr auf dem Spiel als bei weißer Queerness, die nicht mit diesem Erbe von Hypersexualisierung, Karikierung und Kolonialisierung kämpfen muss. Deshalb überschatten White Supremacy und damit verbunden Respectability Politics bis heute die Beschäftigung mit Schwarzen Künstler*innen. Wenn sie nicht als „anständig“ angesehen werden, besteht die Gefahr, dass sie unsere Community schädigen. Das ist ein Riesenproblem; es ist aber nicht unbedingt unsere Aufgabe, es zu lösen. Es ist wichtig, dass Nichtschwarze Menschen verstehen, wie wichtig dieses Thema ist. Denn fast alle öffentlichen Vertreter*innen unserer Community werden nach wie vor fetischisiert, kommerzialisiert, auf Unterhaltung reduziert. Wie wir performen, liefert oft unmittelbaren Anstoß für Gewalt gegen unsere Community. Und auch die Queer Community fetischisiert – nach wie vor – Schwarze und braune sowie indigene Menschen. Man stielt unsere Symbole (Gesten, Frisuren usw.), man kümmert sich nicht darum, uns zu schützen. Baker wird objektiviert, verflacht und entmenschlicht. Einige Beispiele zeigen wir in der Ausstellung.

Biesenbach: Wir zeigen diese Bilder, um zu demonstrieren, wie Baker solche Reduzierungen überwindet und darüber triumphiert.


Josephine Baker – Icon in Motion,
bis 28.04.,
Neue Nationalgalerie
smb.museum

Führungen durch die Ausstellung:
Sa, 23.03. ab 14:00 (Englisch)
So, 24.03. ab 14:00

Talk zur Ausstellung:
Do, 21.03. ab 17:00
Mehr Termine hier

Bild: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Ausstellungsansicht von „Josephine Baker. Icon in Motion“

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