Nachruf

Jens Dobler ist tot – ein Pionier der Grundlagenforschung

26. Sept. 2024 Karl-Heinz Steinle
Bild: Polizeihistorische Sammlung
Dobler verfasste Standardwerke zur Polizeigeschichte und arbeitete auch journalistisch dazu.

Der Historiker Jens Dobler ist gestorben. Mit ihm verliert die Forschung zur queeren (Berlin-)Geschichte und Polizeigeschichte eine gewichtige und originelle, immer verlässliche und nie polemische Stimme, die Diskussionen nicht gescheut hat. Auch für die SIEGESSÄULE war Jens Dobler ein wichtiger Autor und Themengeber. Sein Weggefährte Karl-Heinz Steinle, selbst Historiker, erinnert an ihn

1965 in Baden-Württemberg geboren, studierte Jens Dobler Erziehungswissenschaften, Psychologie und Neuere Geschichte und promovierte an der Technischen Universität über die Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei bis 1933. Von 2010 bis 2015 war er Archiv- und Bibliotheksleiter des Schwulen Museums, von 2015 bis 2022 leitete er die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium Berlin.

Rubrik „Der schwule Kriminalreport“

Dobler verfasste Standardwerke zur Polizeigeschichte und arbeitete auch journalistisch dazu. So schrieb er zum Beispiel auch für die SIEGESSÄULE jahrelang die Rubrik „Der schwule Kriminalreport“, über Gewalt und Überfälle gegen Schwule und Lesben, Fahndungen oder Warnungen vor Kriminalitätsschwerpunkten.

Seine wissenschaftliche Arbeit umfasst eine breite queere, auch aktuelle Themenpalette in unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Zwecke. Neben literarischen Wiederentdeckungen, wie dem Lesben-Roman „Der Liebe Lust und Leid von Frau zu Frau“ von 1895 oder „Männer zu verkaufen“ von 1930, erstellte er mit „Prolegomena zu Magnus Hirschfelds Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1899 bis 1923)“ ein enzyklopädisches Nachschlagewerk.

Regionale Grundlagenforschungen waren seine Ausstellungs- und Buchprojekte „Von anderen Ufern“ und „Verzaubert in Nord-Ost“ zur queeren Geschichte der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Weißensee, Prenzlauer Berg und Pankow. Fürs Schwule Museum entwickelte er erinnerungskulturelle Projekte und die Wanderausstellung „Lesbisch, jüdisch, schwul“. 2022 erschien sein absolut lesenswertes Buch „You have never seen a dancer like Voo Doo. Das unglaubliche Leben des Willy Pape“, das eine der faszinierendsten queeren Biografien des 20. Jahrhunderts vorstellt.

Bild: Polizeihistorische Sammlung

Ein durch Sammelleidenschaft geschärfter Spürsinn

Zuletzt arbeitete Jens Dobler an dem gewaltigen Forschungsprojekt „Die Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld in der NS-Zeit“, das er seit 2022 für die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft durchführte. In Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg recherchierte er mit seinem speziellen, durch die eigene Sammelleidenschaft geschärften Spürsinn Provenienz und Verbleib eines jedes Teils der Sammlung des Instituts für Sexualwissenschaft.

„Eine nachhaltige und großzügige Arbeitsweise, die typisch war für Jens.“

Darüber beleuchtet er aus einer ganz neuen Perspektive die Zerschlagung der weltweit ersten queeren Emanzipationsbewegung und fächert das komplexe internationale Geflecht im Kunst- und Bibliotheksbetrieb bis heute auf. Seine Recherchen rekonstruieren den Gesamtbestand dieser Sammlung und damit den damaligen State of the Art und das Gedächtnis der queeren Kultur: Das zeigt er auf und gibt es weiter – eine nachhaltige und großzügige Arbeitsweise, die typisch war für Jens.

Die Gespräche mit ihm habe ich immer sehr genossen. Sie waren so, wie auch seine Texte sind: fundiert, verständlich, zum Weiter-dran-Arbeiten und Darauf-Aufbauen. Danke sehr dafür Jens und bye bye!

Bücher von Jens Dobler (Auswahl):

„Das Polizeipräsidium am Molkenmarkt“

„Polizei und Homo­sexuelle in der Weimarer Republik“

„Schwule, Lesben, Polizei“

„You have never seen a dancer like Voo Doo“

Bild: Metropol Verlag
„Polizei und Homo­sexuelle in der Weimarer Republik“ erschien im April 2020

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