Hörspiel des Romans „1984“

Jannik Schümann: „Es ist wichtig, für seine Werte einzustehen"

19. Dez. 2024 Kevin Clarke
Bild: Audible
Jannik Schümann (Mitte) mit Cynthia Micas und Ronald Zehrfeld im Studio.

Jannik Schümann nutzt seinen Promi-Status immer wieder, um auf Themen hinzuweisen, die ihm wichtig sind. Aktuell ist er in einer aufwendigen Audible-Hörspielproduktion des Romans „1984“ als Hauptdarsteller dabei. SIEGESSÄULE traf ihn, um über die queerpolitische Relevanz des Stoffs zu sprechen

Was könnte ein heutiges queeres Publikum an einem Hörbuch nach dem George-Orwell-Roman aus dem Jahr 1949 interessieren? Am Ende geht es bei Orwell darum, dass man sich gegen ein Regime stellt, das viele Dinge unterdrückt. Natürlich adaptiert man die Situation als Leser immer auf sein eigenes Leben. Ich hatte hier eine Figur, die ein diktatorisches System stürzen möchte. Was die Frage aufwirft: Was würden wir als LGBTIQ*-Community heute tun, wenn ein Regime käme, das ein freies queeres Leben in Deutschland verbieten würde?

„Was würden wir als LGBTIQ*-Community heute tun, wenn ein Regime käme, das ein freies queeres Leben in Deutschland verbieten würde?"

Hast du von Orwell etwas gelernt für den Umgang mit solch einem Szenario? Na ja, am Ende wird der Protagonist ja leider gebrochen und gibt seine Ideale auf. Vielleicht ist das die Botschaft: Gebt eure Ideale nicht auf, kämpft weiter! Aber das Buch zeigt auch ganz klar die Gefahren eines solchen Regimes, das so mächtig ist, dass man sich am Ende ergibt, weil man einfach nicht mehr dagegen ankommt.

Es geht im Roman viel um „Wahrheit“: Wer entscheidet, was wahr ist? Das hat mich teils an Diskussionen in der LGBTIQ*-Community erinnert. Es ist total traurig, dass sich innerhalb einer marginalisierten größeren Gruppe die verschiedenen kleineren Gruppen gegeneinander ausspielen. Weil man ja eigentlich die Kraft aus der Masse schöpfen sollte und zusammen für das Gute kämpfen müsste. Das, was Orwell thematisiert, ist erschreckend: dass Wahrheiten neu geschaffen werden können. Mein absolutes Horrorzitat ist: „2 + 2 = 5.“ Horror, weil es einfach behauptet und dann von der Gesellschaft angenommen wird. Das zeigt, wie leicht Wahrheiten manipuliert oder Fake News gestreut werden können.

Stichwort Cancel Culture: Viele Leute in der queeren Community äußern sich am liebsten gar nicht mehr öffentlich. Man hat Angst, etwas falsch zu machen. Genau.

Du in deiner Position bist da noch krasser betroffen als andere, oder? Ja, da ist es manchmal einfacher, gar nichts zu sagen. Aber das erlebe ich nicht nur im queeren Kontext. Man wird vorsichtiger, weil es so viel Backfire gibt, dem man potenziell ausgesetzt ist, vor allem als Person des öffentlichen Lebens. Trotzdem ist es wichtig, für seine Werte einzustehen und sich nicht mundtot machen zu lassen, nur weil man Sorge hat, anzuecken.

„Wir als Schauspieler*innen und Personen in den Medien sollten uns auf jeden Fall äußern. Vor allem sollten wir uns gegen rechts äußern."

Im Vorfeld der US-Wahl haben sich viele Prominente aus der Welt des Showbusiness für eine*n der Kandidat*innen ausgesprochen. Würdest du sagen, es ist angesichts der Bundestagswahl, die in Deutschland bevorsteht, auch an dir, Wahlkampf für eine Partei zu machen? Also ich denke, wir als Schauspieler*innen und Personen in den Medien sollten uns auf jeden Fall dazu äußern. Vor allem sollten wir uns gegen rechts äußern, damit demnächst nicht die AfD regiert.

Darüber, was „rechts“ ist, wird derzeit viel gestritten. Das ist eine wahnsinnige Auslegungssache, ja.

Da sind wir wieder bei der Frage nach „Wahrheit“ und „Narrativen“. Und da haben wir den Kreis. (lacht)

Kürzlich hat Hape Kerkeling gesagt, er verlasse Berlin, weil er sich hier mit seinem Partner nicht mehr sicher fühle, auf der Straße rumzulaufen. Wie erlebst du das mit deinem Verlobten Felix? Ich kann es nachvollziehen, weil man auf dem Twitter-Account der Polizei andauernd lesen kann, welche homophoben Überfälle es gibt. Ich habe vier Jahre am Hermannplatz gewohnt, genau am Kottbusser Damm. Ich bin quasi jeden Tag dort langgelaufen, wo so viele Übergriffe stattfinden. Ich kann nur auf Holz klopfen, dass ich mich bislang nie verstecken musste und dass ich bisher noch keiner Gefahr ausgesetzt war, wenn ich mit Felix Hand in Hand durch die Straßen lief.

Woran liegt‘s? Scheiß Glück! Am Ende geht es oft darum, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein.

Seid ihr in Sorge, dass euch das passiert? Natürlich hat man die Sorge. Aber was ist die Alternative? Dass ich gar nicht mehr rausgehe und Felix‘ Hand in der Öffentlichkeit nicht halte? Das ist auch falsch.

Ihr könntet in einer Gated Community leben und mit Bodyguards rumlaufen? Auf gar keinen Fall. Nur weil man Angst vor etwas hat, wäre es der absolut falsche Weg, das zu unterdrücken.

Hast du in Berlin einen queeren Lieblingsort? Ach, ich war einfach die letzten Jahre so wenig zu Hause, dass ich ganz traurig bin, etliche meiner alten Lieblingsorte kaum noch zu besuchen. Tatsächlich besteht mein engster Freund*innenkreis nicht aus queeren Menschen. Okay, mein bester Freund ist homosexuell. (lacht) Aber die anderen drei Personen, die mir am nächsten stehen, sind Frauen und haben alle einen Partner und Kinder. Dadurch bewege ich mich gar nicht so viel in der Szene.

Wenn du es doch tust: stürzen sich dann alle auf dich? Tatsächlich hatte ich irgendwann keine Lust mehr, feiern zu gehen, nachdem „Die Mitte der Welt“ rausgekommen war. Danach konnte ich nicht mehr privat im SchwuZ sein. Wenn ich feiere, möchte ich ausgelassen sein, tanzen und mir keinen Kopf machen, ob mich jemand fotografiert. Ich habe kein Problem damit, wenn Leute mich ansprechen oder ein Foto mit mir machen möchten. Es freut mich sogar, diese Resonanz von Fans zu spüren. Aber irgendwann war mir das alles zu viel. Vor allem weil „Mitte der Welt“ ein so wichtiger Film für die Community war, war’s danach nicht mehr möglich, ‚normal‘ in der Szene unterwegs zu sein. Vielleicht habe ich es deswegen sein gelassen.

„Vor allem weil ,Mitte der Welt' ein so wichtiger Film für die Community war, war’s danach nicht mehr möglich, ‚normal‘ in der Szene unterwegs zu sein."

Wenn du die queere Partyszene in Berlin vergleichst mit anderen deutschen Städten, was ist anders? Im Vergleich ist alles andere für mich provinziell. Außer vielleicht Köln, das ist unser deutsches San Francisco.

Ist Berlin dann unser deutsches New York? Berlin ist einfach innerhalb Deutschlands die multikulturellste Stadt, die es gibt. Und ich hatte immer das Gefühl, sie hat wenig mit Deutschland zu tun. Natürlich steckt wahnsinnig viel deutsche Geschichte in der Stadt, aber von der Community ist das hier schon sehr international. Es ist trotzdem noch mal was anderes, wenn man in London queer ausgeht. Oder in New York. Da wird mir immer wieder klar, wie provinziell selbst Berlin ist. (lacht)

Wieso? Als ich im Sommer in London war, empfand ich alles noch bunter, noch größer, noch mehr.

Siehst du Berlin auf dem Weg dorthin? Ich weiß gar nicht, ob wir das erreichen müssen.

Wird es zu Weihnachten wieder neue „Sisi“-Folgen mit dir als Kaiser Franz Joseph bei RTL geben? Ja, Anfang Dezember kommt die vierte Staffel raus.

Bei RTL wird auch ein neues „Narrativ“ rund um Sisi in die Welt gesetzt, das mit der historisch überlieferten Wahrheit wenig zu tun hat. Am Ende wollen wir entertainen und haben keinen Disclaimer im Vorspann, dass die Serie historisch korrekt ist. Ich finde es wichtig, sich solche künstlerische Freiheit rauszunehmen. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Sisi-Formate, und sie haben alle ihre absolute Daseinsberechtigung mit jeweils anderen Schwerpunkten. Ich bin ein großer Fan unserer Serie, weil sie viele Leute anspricht – mit tollen Kostümen, toller Maske, Wahnsinnsbildern.

Es hat was von „Bridgerton“, wo britische Geschichte komplett fiktiv neu erzählt wird. Ebenso wie Ryan Murphy das in „Hollywood“ tut, dort als queere Utopie bzw. Revision einer homophoben Vergangenheit. Ich frage mich immer: Glauben junge Zuschauer*innen, dass es früher wirklich so war? Ich denke, man sollte smart genug sein zu begreifen, dass es Fiktion und nicht Dokumentation ist. Ich konsumiere gern Filme und Serien, in denen die Realität dargestellt wird. Aber ich will auch träumen können. Und ich möchte auch mal aus dem Alltag rauskommen. „Bridgerton“ schafft es auf so wunderbare Weise. Und alles, was Ryan Murphy macht, liebe ich sowieso.

Bild: Audible
Das Cover der Audible-Hörspielproduktion des Romans „1984“.

George Orwell: „1984“ (Audible Original)
mit Jannik Schümann, Cynthia Micas, Ronald Zehrfeld u. a.
jetzt erhältlich bei audible.de

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