Abschied

Jörg Litwinschuh-Barthel verlässt die Magnus Hirschfeld Stiftung

25. Juni 2021 as
Bild: BMH / Sabine Hauf
Jörg Litwinschuh-Barthel

Der Geschäftsführende Vorstand Jörg Litwinschuh-Barthel gab heute bei einem Festakt bekannt, dass er sich nicht für eine dritte Amtszeit bewerbe. Zuvor hatte es deutliche Kritk daran gegeben, dass seine Stelle vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz überhaupt neu ausgeschrieben wurde

Mit einem zweistündigen Festakt feierte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld am 25.06. ihr zehnjähriges Bestehen. In seiner Eröffnungsrede gab der Geschäftsführende Vorstand Jörg Litwinschuh-Barthel bekannt, dass er sich nicht für eine dritte Amtszeit beworben habe. Im November werde er nach zehn Jahren aus der Stiftung ausscheiden. Er betonte jedoch, dass er der Institution „für immer eng verbunden" bleibe.

Würdigung der jahrelangen Arbeit als Vorstand

Die SPDqueer hatte zuvor in einer Pressemitteilung die wichtige Arbeit Litwinschuh-Barthels und seiner Mitarbeiter*innen gewürdigt. Darin heißt es, er habe die Stiftung zu einer der wichtigsten Institutionen für die Belange von LGBTIQ* in Deutschland entwickelt und ihr breite Anerkennung in der Community verschafft. „Wichtige gesetzgeberische Prozesse wurden fachlich begleitet und wie die Rehabiliterung der nach §175 verurteilten Homosexuellen, erfolgreich unterstützt. Mit Projekten wie dem Archiv der anderen Erinnerungen wird ein herausragender Beitrag zur Bewahrung und Aufarbeitung queerer Geschichte geleistet und mit den Hirschfeld-Lectures ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Queer Studies in Deutschland. Mit der Initiative Fußball für Vielfalt, hat die Stiftung es geschafft, den DFB und die Profiligen für das Thema Homo- und Transfeindlichkeit im Fußball zu sensibilisieren."

Michael Kauch, der Bundesvorsitzende der Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL) betonte anlässlich des Festaktes die Rolle der Stiftung bei dem Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen: „Eine neue Dimension der Anerkennung bedeutete die Beauftragung der Stiftung durch das Bundesgesundheitsministerium, mit zwei Fachgutachten zu sogenannten ,Konversionstherapien' den Erkenntnisstand zu Handlungsoptionen aufzuarbeiten. Dies floss konkret in die Gesetzgebung auf Bundesebene ein." Dies sei laut Kauch „durch die herausragende Leitung der Stiftung durch ihren Vorstand Jörg Litwinschuh-Barthel Realität geworden."

Kritik an der Neuausschreibung der Stelle

Im Vorfeld wurde allerdings deutliche Kritik an dem zuständigen SPD-geführten Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) geübt, weil es die Stelle überhaupt neu ausgeschrieben hatte anstatt den Vertrag von Litwinschuh-Barthel für eine dritte Amtszeit zu verlängern. Gemäß der Satzung gab es für die Neuausschreibung weder eine Notwendigkeit noch habe das Kuratorium eine Empfehlung abgegeben. Dieser überraschende Schritt habe laut einer Pressemitteilung der SPDqueer vom Mai im Kuratorium der Stiftung und in der Community für Verwunderung und Unverständnis gesorgt. Der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht warf die SPDqueer vor, diese Entscheidung willkürlich getroffen zu haben. Sie habe dabei „ausdrücklich gegen den Rat und die Wünsche aus der LSBTIQ*-Community gehandelt. Wir finden es befremdlich, dass so sensible Entscheidungen nicht in Abstimmung mit den unmittelbar betroffenen Personen und Institutionen abgestimmt werden."

Das Online-Portal queer.de mutmaßte, dass das Ministerium „auch Interesse an einem weniger eigenwilligen und durchsetzungsstarken Chef der Hirschfeld-Stiftung" habe. „Litwinschuh-Barthels Pochen auf die Unabhängigkeit der Einrichtung sorgte in den vergangenen Jahren mehrfach für Spannungen mit der Hausleitung." Weiteren Vermutungen zufolge sei ein Grund für die Neuausschreibung, das „insbesondere die in den SPD-geführten Bundesministerien angestrebte Frauenförderung auch bei den bundesnahen Institutionen glaubhaft" durchgesetzt werden solle. Gegenüber queer.de hatte das BMJV seine Entscheidung lediglich damit begründet, dass es nach zehn Jahren wieder an der Zeit für einen offenen Wettbewerb um die Stelle sei, an dem sich der aktuelle Vorstand beteiligen könne.

Jörg Litwinschuh-Barthel hatte sich zu dem Verfahren der Auswahl des Vorstands der Stiftung bisher nicht äußern wollen. Gegenüber SIEGESSÄULE sagte er heute: „Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht meint es wohl ernst mit der Frauenförderung. Das kann ich nur gutheißen." Auf die Frage nach zukünftigen Projekten und Aufgaben konnte er im Moment noch keine Antwort geben.

Eröffnungsrede von Jörg Litwinschuh-Barthel

An dieser Stelle dokumentieren wir die Rede von Jörg Litwinschuh-Barthel zu 10 Jahren Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wurde im Oktober 2011 unter der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP von der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz, errichtet. Am 10. November überreichte mir die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Ernennungsurkunde zum Vorstand der Stiftung. Es gab damals noch keine Räumlichkeiten, geschweige denn eine Geschäftsstelle oder Liegenschaft, es waren noch keine Mitarbeiter_innen genehmigt, es gab kein Bildungs- und Forschungsprogramm; kein einziges Projekt. Das Kuratorium und der Fachbeirat hatten sich noch nicht konstituiert, und das Gründungsvermögen in Höhe von zehn Millionen Euro musste noch vor Jahresende beim Bundesministerium der Finanzen angefordert werden. Es war fast wie die „Stunde Null“. Und es war eine aufregende Zeit, intensive Jahre, in denen ich gefühlt sieben Tage die Woche und zwölf Stunden täglich für die Stiftung im Einsatz war.

Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, eine Bundesstiftung aufzubauen und eine Institution in den Gründungs- und Aufbaujahren maßgeblich zu prägen. Dafür bin ich dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dafür bin ich allen dankbar, die für die Errichtung der Stiftung und für die Erinnerung an Magnus Hirschfeld zuvor jahrzehntelang gekämpft haben. Die Nationalsozialisten wollten Magnus Hirschfelds wegweisendes Erbe aus dem kollektiven Gedächtnis tilgen. Fast wäre es dieser barbarischen Diktatur gelungen. Es sollte uns zugleich Mahnung sein, dass Errungenschaften der Zivilgesellschaft nicht selbstverständlich sind. Wir müssen daran erinnern, wie hart sie erkämpft wurden und uns stets bewusst sein, dass wir sie auch in Zukunft verteidigen müssen.

Das Bundesjustizministerium hatte anlässlich der Errichtung der Stiftung eine gute Satzung erarbeitet, auf deren Grundlage in den vergangenen Jahren insgesamt 28 Mitarbeiter_innen der Stiftung – Festangestellte und studentische Hilfskräfte – eine Bildungs- und Forschungsstiftung etablierten, die – und das kann ich selbstbewusst sagen – hochgeschätzt wird. Die jeweilige Bundesjustizministerin, der jeweilige -minister, hatten sich in den vergangenen Jahren entschieden, den Kuratoriumsvorsitz selbst zu übernehmen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht in einer Bundesstiftung. Es war und es ist gerade in Zeiten wie diesen, wo sich Wissenschaftsfeindlichkeit und Desinformation verbreiten, wo unsere Demokratie wieder in Gefahr ist, ein wichtiges Signal, wie ernst die Bundesregierung den Auftrag unserer Stiftung nimmt, an die Geschichte durch Bildung und Forschung zu erinnern, Diskriminierungen abzubauen und Sichtbarkeit, Teilhabe und Akzeptanz zu fördern. Frau Richterin am Bundesverfassungsgericht Susanne Baer wird in Ihrer Rede sicher darauf eingehen.

Mein Dank gilt den vier Kuratoriumsvorsitzenden, die uns förderten und auch forderten: Bundesminister_innnen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Heiko Maas, Katharina Barley und Christine Lambrecht. Danken möchte ich den jeweils zuständigen Mitarbeiter_innen in den Abteilungen und Referaten im Bundesjustiz-, im Finanz-, Familien- und Gesundheitsministerium und im Bundesministerium für Bildung und Forschung, den jeweiligen Haushaltsauschüssen des Deutschen Bundestages, die durch Drittmittelförderungen, die Aufstockung des Stiftungsvermögens und seit 2017 durch die institutionelle Förderung des Bundes ein nachhaltiges Arbeiten und den Ausbau unserer Stiftung erst ermöglichten.

Der Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht: Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erforscht die Diskriminierung, Repression und Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ*) seit der nationalsozialistischen Diktatur bis in die Gegenwart. Für unsere vielfältigen Forschungs- und Bildungsprojekte haben wir eine fachliche Zusammenarbeit mit starken Partner_innen aufbauen können – wie z.B. mit dem Institut für Zeitgeschichte München—Berlin, der Universität Stuttgart, der Freien Universität Berlin, der Universität Vechta, der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft – um nur einige zu nennen. Und Landesregierungen und Kommunen z.B. in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Berlin, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen haben unsere gemeinsamen Projekte und unsere Hirschfeld-Tage finanziert bzw. einen Teil der Kosten getragen. Das ist ein weiteres bedeutendes Signal in die Zivilgesellschaft hinein, wie wichtig Bund und Ländern die Aufarbeitung von Unrecht, die Demokratieförderung und die Stärkung der Akzeptanz von LSBTIQ* sind.

Unsere Stiftung trägt dazu bei, LSBTIQ*-Lebensweisen und -welten sichtbar zu machen, Teilhabe und rechtliche Gleichstellung zu ermöglichen. Hier sind wir in den letzten zehn Jahren entscheidende Schritte vorangekommen. Unsere Kuratoriumsvorsitzende Christine Lambrecht wird in ihrer Festrede sicher darauf eingehen.

Mit den vielfältigen Archiv-, Bildungs-, Forschungsprojekten der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, unseren Studien und Fachtagen, unseren Publikationen und unserer eigenen Fördertätigkeit haben wir Maßstäbe gesetzt. Mehr als eine halbe Million Euro haben wir an Fördermitteln an externe Projekte vergeben.

In unserer Antidiskriminierungsarbeit scheuten wir, scheute ich persönlich auch keinen Konflikt, wenn es darum geht, Homo- und Trans*feindlichkeit konkret zu benennen. Hier sind uns Magnus Hirschfelds Leben und Werk und das seiner Mitstreiter_innen ein Vorbild. Schon vor knapp 125 Jahren haben mutige Menschen die erste Emanzipationsbewegung gegründet, und in den folgenden Jahrzehnten konnten sie bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten ihre unermüdliche Emanzipations-, Forschungs- und Bildungsarbeit über Sexualitäten, über Homo- und Bisexualität, über Geschlecht, sexuelle Identität, aber auch zu Rassismus in die ganze Welt tragen. Erst heute wird wieder deutlich, wie groß der Einfluss des schwulen, jüdischen Artes, Sexualwissenschaftlers und Sozialdemokraten Magnus Hirschfeld und seinem großen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Netzwerk war. Hier gilt es weiter zu forschen.

Im vergangenen Jahrzehnt ist viel erreicht worden. Doch Homo- und Trans*feindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus nehmen wieder zu bzw. werden wieder offen geäußert. Und es werden erneut „Schuldige“ gesucht: Öfters hört man wieder: „Deutschland hat sich Homophobie und Judenhass durch Einwanderung importiert.“ Dem kann ich nur entgegen: Wer diese Narrative verbreitet, die Deutschen hätten noch nie ein Problem mit Antisemitismus und mit Homofeindlichkeit gehabt, der* oder die* liegt falsch. Unser Grundgesetz ist DER Maßstab für die Einhaltung der Menschenrechte: Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit muss konsequent auf allen Ebenen entgegentreten werden. Im Social-Media-Zeitalter brauchen wir neue Dialogformen und weitere Bündnispartner_innen z.B. in den Religions- und Glaubensgemeinschaften, in der Wirtschaft und bei den Gewerkschaften, in den großen Stiftungen unseres Landes, im Sport und beim Ehrenamt, in den christlichen, muslimischen und jüdischen Gemeinden und auch in der Wissenschaft.

Denn wissenschaftliche Erkenntnisse werden wieder in Frage gestellt, ja unverholen selbst im Deutschen Bundestag geleugnet. Und manche Bürger_in fordert: Jetzt sei es „doch mal gut mit der Antidiskriminierung. Die haben doch die Homoehe.“ und meint „Hat unser Land keine anderen Sorgen?“. Die Grenzen zwischen persönlicher Meinung und ideologischer Menschenfeindlichkeit verschwimmen zusehends. Hier müssen wir alle noch stärker aufklären, informieren, richtig- und klarstellen.

Es gibt ein großes Vertrauen in unsere Stiftung. Davon habe ich fast zehn Jahre lang gezehrt. Es gibt aber auch – und dies zurecht – eine sehr hohe Erwartungshaltung an uns. Eines sollte klar sein oder klar werden: Die großen Aufgaben, die an unsere Stiftung gestellt werden, werden nicht weniger. Immer mehr Institutionen und Journalist_innen fragen nach Zahlen, Daten, Fakten, bei uns an; wollen Analysen, Bestandsaufnahmen und Einschätzungen von uns haben. Zugleich wächst die Notwendigkeit, in den sozialen Medien zu informieren und mitzudiskutieren und auch Hassrede und Falschbehauptungen entgegenzuwirken. Schließlich ist es eine zentrale Aufgabe unserer Stiftung, in die Mehrheitsgesellschaft zu wirken. Wir wollen diesen Auftrag auch weiterhin in vollem Umfang erfüllen. Dazu bedarf es einer adäquaten Personalausstattung und einer angemessenen Finanzierung durch den Bund. Die Zinseinnahmen aus der Vermögensanlage sinken. Die Inflation steigt wieder deutlich an. Wir haben die Verpflichtung aus unserer Satzung, dass Vermögen unserer Stiftung für zukünftige Generationen zu erhalten. Hier trägt die Stifterin eine hohe Verantwortung, ihre Stiftung gemäß des Auftrages auszustatten und auch mit anderen Bundesstiftungen gleich zu behandeln.

Zehn Jahre Bundesstiftung Magnus Hirschfeld – das sind zehn Jahre herausragender Einsatz für die Gleichstellung von LSBTIQ* und gegen Diskriminierung.

Neben meinem großartigen Team und allen Mitgliedern des Kuratoriums und des Fachbeirats in den vergangenen Jahren würde ich gerne vielen weiteren Personen namentlich und persönlich danken. Dafür fehlt heute die Zeit. Ich werde meine Dankworte veröffentlichen und all denen danken, die mich als Vorstand der Stiftung in besonderer Art und Weise unterstützt oder/und mit ihren Impulsen und Feedbacks geprägt haben.

Ich habe mich nicht für eine dritte Amtszeit beworben. Im Herbst scheide ich nach zehn Jahren aus der Stiftung aus. Daher möchte ich aus Anlass des Stiftungsjubiläums die Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiter_innen der letzten neun Jahre in den drei Referaten, der Verwaltung und die Assistenz der Geschäftsführung, den Mitgliedern des Kuratoriums und des Fachbeirats, den Kooperationspartner_innen, Spender_innen, Drittmittelgeber_innen, dem Förderkreis der BMH e.V. und last but not least den Mitarbeiter_innen in den Fachreferaten im Bundesministerium der Justiz und im Bundesministerium der Finanzen von ganzem Herzen danken! Der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld werde ich für immer eng verbunden bleiben.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich zwei Frauen zitieren: Zum einen die Großnichte von Magnus Hirschfeld – Ruth Gabriele Cohen; zum anderen die New Yorker Historikerin Dagmar Herzog, die die Festrede zum 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld am 18. Mai 2018 im Haus der Kulturen der Welt hier in Berlin hielt, dort wo einst sein weltberühmtes Institut für Sexualwissenschaft stand. Ruth und ihre Familie waren eigens von Australien, Dagmar eigens aus New York nach Berlin angereist:

„From Australia, I extend my greetings to all the guests on this Jubilee Day. Our family is very proud of the worldwide heritage that our forefather Magnus Hirschfeld left us. Thank you for preserving it. Your research and anti-discrimination foundation is very important, especially in this day and age.” (Ruth Gabriele Cohen).

„Wir haben Magnus Hirschfeld als Vorbild weiterhin dringendst nötig.“
(Prof. Dr. Dagmar Herzog).

In diesem Sinne wünsche ich eine gelungene Jubiläumsfeier und der Stiftung für die Zukunft viel Erfolg und alles Gute!

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