Inviting-in, eine antirassistische Alternative zum Coming-out?
Heute ist der 11. Oktober, der internationale Coming-out Day. Zu diesem Anlass kritisiert Zuher Jazmati, Publizist, Podcaster von „BBQ – der BlackBrownQueere Podcast“ und Partyveranstalter der queer-arabischen Party „Adira“, typisch westliche Coming-out-Narrative und stellt das aus postmigrantischen und BIPoC-Communitys stammende Alternativkonzept „Inviting-in“ vor
Es ist eine der ersten Fragen, die mir vor allem weiße Menschen stellen, wenn ich von meiner Queerness spreche: „Wissen das deine Eltern?“ Hinter dieser Frage stecken oft Ressentiments und die Vorannahme, dass ein queerer Deutsch-Syrer mit muslimischem Glauben mit Sicherheit eine dramatische Geschichte haben muss, nach dem Motto: „Die armen arabischen Queers. Die haben es wegen ihrer Kultur und Religion immer noch sehr schwer.“ Diese neugierigen Menschen erwarten aber nicht nur tragische Coming-out-Storys. Eine Erfolgsgeschichte, bei der die Ausnahme die Regel bestätigen darf, kommt auch gut an. In den Coming-out-Erzählungen steckt ein Problem, das nur viel zu selten von weißen Menschen hinterfragt wird: der koloniale Blick auf Coming-outs.
„Der koloniale Blick auf Coming-outs wird selten hinterfragt.“
Weißen Menschen, die mich fragen: „Bist du geoutet?“, würde ich am liebsten mit der Gegenfrage „Bist du Antirassist?“ antworten. Denn genau da liegt das Problem in westlich-weißen LGBTIQ*-Kontexten: Coming-outs gelten oft als Rituale der Befreiung. Sie sollen als Beweis dafür gelten, dass sich nicht weiße und migrantisierte Queers von den religiösen oder kulturellen Zwängen ihrer Herkunftsfamilien befreit und losgelöst haben.
Es sei erwähnt, dass Coming-outs eine wichtige emanzipatorische Praxis sind und waren, vor allem auch von queeren Aktivist*innen of Color, die gegen queerfeindliche Unterdrückung in westlichen Demokratien gekämpft haben. Queerfeindliche Gesetze wurden aber auch durch die christlich-koloniale Mission der Europäer in ehemals kolonisierten Gebieten umgesetzt, wie beispielsweise im Libanon. Während sich Queers aus ehemals kolonisierten Gebieten von diesen Gesetzen zu (re-)emanzipieren versuchen, werden sie im Westen mit der Erwartungshaltung weißer Menschen konfrontiert, „out and proud“ zu sein.
„Coming-Outs gelten als Beweis dafür, dass sich nicht weiße und migrantisierte Queers von religiösen oder kulturellen Zwängen losgelöst haben.“
Der Schwarze Aktivist Darnell Moore und Sekneh Hammoud-Becket, eine Australierin mit libanesisch-muslimischen Wurzeln, haben eine Alternative zum traditionellen Coming-out entwickelt: „Inviting-in“. Statt sich dem Urteil anderer beim Coming-out zu stellen, haben queere Menschen nun die Macht und Wahl, selbst zu entscheiden, wem sie ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität offenbaren möchten. Dies ähnelt auf den ersten Blick dem herkömmlichen Coming-out, aber der entscheidende Unterschied liegt in der Haltung und Beziehungsebene. Beim „Inviting-in“ wird die eigene Sexualität und geschlechtliche Identität als etwas betrachtet, das geteilt werden kann, aber nicht zwingend muss.
Es handelt sich um eine bewusste Einladung an bestimmte Personen, zuzuhören. Dies geschieht nicht aus einer Position der Verteidigung heraus wie häufig beim Coming-out, sondern aus der Wertschätzung der eigenen queeren Identität und des Gegenübers. Die Art und Weise, wie vor allem familiäre Coming-outs in westlichen Ländern verhandelt werden, erinnert an ein Regelbuch: Je nachdem, ob dem gefolgt wird oder nicht, wirst du als emanzipierte oder bemitleidenswerte queere Person gesehen.
Alternativen zu Coming-outs können einen wichtigen Teil zur Dekolonisierung und Entmachtung weiß-dominierter Queerness beitragen. Und darin steckt eine gewaltige Kraft!
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