Heidi Reichinnek: „Wer arm ist, ist nicht frei – und kann sich nicht selbstbestimmt entfalten“
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Heidi Reichinnek – das neue Gesicht der aufstrebenden Partei Die Linke. Sie ist 36 Jahre alt, derzeit Mitglied im Deutschen Bundestag und Spitzenkandidatin der Partei. Sie gilt als Glücksfall im Wahlkampf, als starke Stimme, die besonders viele junge Wähler*innen erreicht. Aber welche queerpolitischen Ziele verfolgt sie gemeinsam mit ihrer Partei im Bundestagswahlkampf 2025?
Nach dem Fall der Brandmauer gegen die AfD im Deutschen Bundestag und Heidi Reichinneks anschließenden, flammenden Rede gegen Friedrich Merz, gegen die Unions- und FDP-Fraktionen sowie gegen Faschismus, Hass und Hetze sprach die taz von ihr als die „neue Queen im Deutschen Bundestag”. Sie gilt als nahezu perfekter Ausgleich neben den „Silberlocken” Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow. SIEGESSÄULE-Autor Christoph R. Alms hat sie zum Interview getroffen
Heidi, du giltst insbesondere für jüngere Wähler*innen als Hoffnungsträgerin in diesem Bundestagswahlkampf. Können sich auch queere Menschen Hoffnung auf positive Veränderungen machen oder müssen sie Angst nach dem Fall der Brandmauer haben? Schockstarre ist jedenfalls keine Option. Noch sind die demokratischen Institutionen einigermaßen intakt und können Schutz bieten. Klar ist aber auch, dass der Zusammenhalt innerhalb der queeren Communitys wichtiger wird, genauso wie die Solidarität von Allies. Dass es Raum für positive Veränderungen gibt, hat die bundesweite „Wähl Liebe“-Kampagne der CSD-Bewegung gezeigt, die sich u.a. für eine Ergänzung des Diskriminierungsschutzes in Artikel 3 Grundgesetz einsetzt.
Seit Januar 2022 gibt es den ersten Queer-Beauftragten. Braucht es dieses Amt auch in einer künftigen Regierung? Ich schätze Sven Lehmann und die Zusammenarbeit mit ihm sehr. Es braucht aber zumindest erstmal eine klare Vorstellung davon, welche Aufgaben ein Queer-Beauftragter hat und wie viele Ressourcen ihm dafür zur Verfügung stehen. Sonst verkommt das Amt schnell zu einem Grüßaugust, der sich beim Anschneiden von Regenbogentorten fotografieren lässt und der primär als Pressesprecher der Bundesregierung auftritt. Es wäre außerdem hilfreich, wenn die Position in einem transparenten Verfahren aus der Mitte der queeren Communities heraus besetzt wird. Die Linke queer regt in ihrem Grundsatzprogramm an, auch alternative Formen demokratischer Repräsentation auszuprobieren, etwa gewählte Beiräte.
„Die Ergänzung des Diskriminierungsschutzes im Grundgesetz halte ich für eine unkontroverse Forderung. Dass es dazu bisher nicht kam, ist ein krasses Politikversagen.“
In der Legislaturperiode kam es nicht zu einer Änderung des Grundgesetztes, um queere Menschen explizit zu schützen, obwohl es eine demokratische Mehrheit gab. Wie bewertest du das? Die Ergänzung des Diskriminierungsschutzes im Grundgesetz halte ich für eine unkontroverse Forderung, auf die sich alle aufrechten Demokrat*innen verständigen können sollten. Dass es dazu bisher nicht kam, ist ein krasses Politikversagen. Wir haben vor einiger Zeit 75 Jahre Grundgesetz gefeiert, da ging die queere Initiative „Grundgesetz für alle“ wieder auf die Straße – das wäre ein guter Anlass gewesen. Jetzt lösen sich die nötigen Mehrheiten dafür zusehends in braunem Dunst auf. Die Linke und auch ich persönlich werden die Forderung auch weiter mit Tatkraft unterstützen, wie auch bereits in der Vergangenheit.
Die Community scheint besonders enttäuscht durch die weiterhin bestehende Diskriminierung von Regenbogenfamilien – insbesondere wegen der rechtlichen Benachteiligung durch das Abstammungsrecht. Wie ist deine Einschätzung dazu? Mein Personenplakat zur Bundestagswahl sagt klar: Wir kümmern uns um alle Familien und das schließt Regenbogenfamilien ganz selbstverständlich mit ein. Dass die Bundesregierung hier pennt, kritisieren wir seit vielen Jahren. Unser Wahlprogramm ist eindeutig: Das Abstammungsrecht muss so reformiert werden, dass niemand mehr diskriminiert wird, weder lesbische Frauen noch TIN Personen.
Was hältst du von politischen Forderungen, die sogenannte „Ehe für alle” wieder abzuschaffen? Diese Forderung ist völlig verrückt. Selbst in der CDU freuen sich mittlerweile einige darüber, dass es noch Leute wie uns gibt, die sich für die Institution Ehe interessieren. Queere Menschen davon auszuschließen ist grob diskriminierend.
„CDU/CSU waren nie zuverlässige Verbündete für die queeren Communitys, mittlerweile stellen sie eine Gefahr dar.“
Ähnliche Forderungen gibt es auch zum Selbstbestimmungsgesetz … Auch diese Forderung fügt sich ein in einen gesamtgesellschaftlichen reaktionären Rollback. Dass die Union das mittlerweile in ihrem Wahlprogramm stehen hat, ist ein Offenbarungseid. CDU/CSU waren nie zuverlässige Verbündete für die queeren Communitys, mittlerweile stellen sie eine Gefahr dar, wie ihnen auch der LSVD+ jüngst im Rahmen seiner Wahlprüfsteine attestiert hat. Auch Die Linke sieht Veränderungsbedarf hinsichtlich des Gesetzes. Allerdings wollen wir z.B. die Gesundheitsversorgung von trans, inter und nicht-binären Menschen gesetzlich regeln und absurde Regelungen, wie ein Verbot der Änderung des Geschlechtseintrags im Kriegsfall, streichen.
Welche weiteren queerpolitischen Vorhaben stehen im Fokus einer zukünftigen Gruppe oder gar Fraktion von Die Linke im Deutschen Bundestag – wenn ihr es wieder in das Parlament schafft? Unser Fokus liegt klar auf den sozialen Fragen. Wir wollen die materiellen Grundlagen queerer Emanzipation in den Fokus rücken. Wir wollen beispielsweise der Wohnungslosigkeit bei queeren Menschen den Kampf ansagen und dafür sorgen, dass eine geschlechtsaffirmative Gesundheitsversorgung allen Menschen niedrigschwellig zur Verfügung steht. Und wir wollen die Gesellschaft insgesamt verändern, sodass niemand in Armut leben muss. Deshalb setzen wir uns für einen Mietendeckel, die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und einen höheren Mindestlohn ein. Wer arm ist, ist nicht frei – und kann sich dementsprechend auch nicht selbstbestimmt entfalten.
Die Linke unterstützt die queeren Communitys in ihren Forderungen und trägt diese in die Parlamente.
„Beim Kampf gegen Hasskriminalität wollen wir einen Gegenpol zu einem Diskurs bilden, der einzig und allein auf Repression setzt.“
Beim Kampf gegen Hasskriminalität wollen wir einen Gegenpol zu einem Diskurs bilden, der einzig und allein auf Repression setzt. Es kann doch nicht die Lösung sein, queere Kneipenviertel mit Polizei vollzustellen. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Strategie, die patriarchale Denkweisen bekämpft und das bereits im Kindesalter; wir brauchen eine bessere finanzielle Ausstattung von queeren Selbsthilfe- und Beratungsstrukturen sowie Anti-Gewalt-Projekten.
Kurz und knapp nachgefragt: Regenbogenfahnen an Regierungsgebäuden – ja oder nein? Warum nicht?
Geschlechtergerechte Sprache mit Gendersternchen * – ja oder nein? Jede*r sollte so reden, wie er*sie möchte
Lieber eine vegane Currywurst mit Olaf Scholz oder einen Döner mit Alice Weidel? Da ich kein Fleisch und auch nicht mit rechten Hetzerinnen esse, bleibt wohl nur Olaf übrig.
Ein Küchengespräch mit Robert Habeck oder ein Politik-Talk mit Friedrich Merz? Ich würde gern mit Friedrich Merz über das Recht auf körperliche Selbstbestimmung oder Transfeindlichkeit sprechen.
Eher ein kühles Bier mit Markus Söder in den bayrischen Alpen oder einen (alkoholfreien) Cocktail mit Sven Lehmann nach einem CSD? Ich kenne Sven Lehmann schon länger, deswegen gern mit ihm.
Last but not least: Wie lautet Dein Wunsch an die (queeren) Wähler*innen? Bleibt kämpferisch und bleibt euch treu bei allem, was noch kommen mag! Uns habt ihr dabei immer an eurer Seite.
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