Fotoserie

In der Ukraine gefeiert, in Russland gehasst: Queer-Aktivist Frank Wilde im Interview

26. Aug. 2022 Florian Bade
Bild: Răzvan Lucian Bugnariu
Frank Wilde mit dem Soul of Stonewall Award beim Berliner CSD

Mit seiner Fahrstuhl-Fotoserie auf Instagram rückte der Berliner Stylist und Queer-Aktivist Frank Peter Wilde in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Mit einer deutlich queeren Ästhetik setzen sich die auf Foto festgehaltenen Inszenierungen mit der Ukraine und dem russischen Angriffskrieg auseinander. In der Ukraine selbst hat das begeisterte Reaktionen hervorgerufen. Mittlerweile ist er aber auch ins Visier der russischen Propaganda geraten. Wir sprachen mit Frank, der zum Berliner CSD den Soul of Stonewall Award für sein Lebenswerk überreicht bekam, über sein Engagement für die Ukraine

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat deine Fotoserie im Fahrstuhl international sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Mithilfe von glamourösen Outfits solidarisierst du dich auf den Fotos mit der Ukraine. Wie kam es dazu? Diese Fotoserie mache ich bereits seit zwölf Jahren. Jeder kennt dieses Verhalten aus Fahrstühlen: du zupfst dich im Spiegel nochmal zurecht, machst so eine Look-Kontrolle, um zu sehen, ob du gut aussiehst. Ich fand es ganz witzig, das als eine Art Tagebuch anzulegen. Es war anfangs ganz persönlich, aber dann habe ich diese Fotos auch für politische Sachen genutzt. 2016 habe ich für die 49 Opfer des Attentats auf den Pulse Club in Orlando 49 Bilder kreiert. Oder auch in der Flüchtlingskrise, gegen die Missbrauchsskandale in der Kirche und gegen den Brexit habe ich mich laut und vehement positioniert. Der Grundtenor von meiner Arbeit ist immer humanistisch, weltbürgerlich und frei. Ich weiß um den Impact von aussagekräftigen Fotos und wie man Verführung, Sexiness und Glamour nutzen kann, um Politisches zu kommunizieren. So kann man die Leute mitnehmen und ihnen die Augen öffnen.

Was sind deine Beweggründe, dich für die Ukraine zu engagieren? Als queere Person sich nicht mit der Ukraine zu solidarisieren, finde ich geradezu absurd. Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche und alter KGB-Buddy von Putin, hat den Krieg öffentlich in seinen Predigten damit gerechtfertigt, dass die arme Ukraine von den zahlreichen Gay Paraden befreit werden muss, die das Land seiner Ansicht nach bedrohen. Der Grund dafür ist, dass die orthodoxe Kirche in der Ukraine sich von der russisch-orthodoxen Kirche losgelöst hat und dies für letztere einen Macht- und Territorialverlust bedeutet. Für mich war dieses Engagement also keine Entscheidung a la: „Ach jetzt mach ich mal ein bisschen Ukraine”, sondern es war für mich eine Selbstverständlichkeit.

„Im Gegensatz zu Deutschland kamen aus der Ukraine keine homophoben Kommentare."

Du warst bereits in der ukrainischen Vogue oder in der Elle vertreten. Wie hast du die Resonanz aus der Ukraine wahrgenommen? Im Gegensatz zu Deutschland kamen aus der Ukraine keine homophoben Kommentare. Das widerspricht dem Narrativ der homophoben Ukraine. Mag sein, dass es auch in der Ukraine einen bestimmten Teil der Bevölkerung gibt, der LGBTIQ*-feindlich ist. Aber die Reaktionen auf mein Profil und meine Bilder waren andere. Ich arbeite eng mit Selenskyis Regierungsorganisation United 24 zusammen, die mit Demna Gvasalia von Balenciaga kollaborieren. Ich bekomme sogar Nachrichten von den Kämpfern des Asow-Regiments, die sich bei mir bedanken. Ein Soldat hat mir einen Schlüsselanhänger geschickt aus einer Patrone. Das hat mich sehr bewegt. Wenn du Bilder von den ukrainischen Soldat*innen siehst, die Leute, die in den Schlammgräben schlafen, auf dem nassen Boden und die ihr Land verteidigen … und dann sehen sie meine Bilder und sind dankbar, vielleicht revidieren einige sogar ihre Meinung über queere Menschen … Das ist für mich höchst emotional! Es gibt auch heterosexuelle Familienväter, die als Hommage meine Posen nachstellen. Ein Berater von Selenskyjs Regierungskreis hat auf einer Charity Auktion, wo ich meine Bilder zur Verfügung gestellt habe, ein Bild gekauft, wo ich blutüberströmt als Frau mit einem Baby zu sehen bin. Das Geld, was er dafür ausgegeben hat, dient der Finanzierung des Wiederaufbaus der zerstörten Städte.

Dir wird auch unterstellt, dass du Profit und „Fame" aus dieser Art des Aktivismus ziehst. Das ist absoluter Blödsinn! Ich habe keinen Pfennig mit der Ukraine verdient! Im Gegenteil, ich unterstütze sie, indem ich zum Beispiel von ukrainischen Designer*innen kaufe, auch um die kulturelle Vielfalt dieses Landes zu zeigen. Ich lade ukrainische Künstler*innen ein, um ihnen eine Plattform zu bieten, um sie und ihr faszinierendes Land zu empowern. Dass ich auf Kosten der Ukraine irgendwie mein Ego aufpimpe, ist eine dreiste Unterstellung. Alle meine Einnahmen gehen zu 100% an die Ukraine und ich habe keinen einzigen gekauften Follower. Ich mache das, was ich schon immer mache und richtig finde.

„Sie haben im russischen Propaganda-Fernsehen einen ganzen Beitrag gebracht, wo sie sich über mich lustig machen."

Und die Reaktionen von russischer Seite? Ich bin inzwischen auch ins Visier der russischen Propaganda geraten. Sie haben im russischen Propaganda-Fernsehen einen ganzen Beitrag gebracht, wo sie sich über mich lustig machen und versuchen, mit der Aussage zu diffamieren: „Schaut euch die Ukraine an. Von solchen Leuten kriegen die Unterstützung. Versteht ihr jetzt, warum wir die bekämpfen müssen?" Es war Gaybashing von vorne bis hinten. Es zeigt vor allem, dass Russland ein ganz enormes Problem mit Homophobie hat. Und es zeigt auch, wie groß die Verzweiflung dort ist, wenn man es für nötig empfindet, eine Hexenjagd auf eine Privatperson zu veranstalten.

Fühlst du dich dadurch bedroht? Ich kriege zwar Hass- und Drohmails, aber die sind meistens von russischen Bots, die dann wüste Beschimpfungen schreiben. Es gibt keine konkreten Morddrohungen. Aber ich werde mich jetzt auch nicht verstecken. Ich bin 59 Jahre alt und wenn jemand findet, ich bin eine so wichtige und hassenswerte Person … Meine Güte, ich hatte ein tolles Leben. You are not going to stop me!

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