Coronakrise

Im Stresstest: Unterkunft für LGBTI*-Geflüchtete in Treptow

12. Mai 2020 Jeff Mannes
Unterkunft in Treptow

Die Corona-Maßnahmen stellen die Bewohner*innen der Unterkunft für LGBTI*-Geflüchtete in Berlin-Treptow vor große Herausforderungen. Wir sprachen mit einer Bewohnerin und mit der Leiterin der von der Schwulenberatung betriebenen Einrichtung

Die Unterkunft bietet 27 Wohnungen mit 122 Wohnplätzen. Laut Heimleiterin Antje Sanogo sind aktuell 85 davon belegt. Ausgelegt sind die Wohnungen für vier bis fünf Menschen. Bereits im Januar und im Februar waren einige der Bewohner*innen mit Fragen zur Ausbreitung des Coronavirus an sie herangetreten. „So richtig angekommen ist die Situation dann aber erst, als die Kontaktbeschränkungen kamen”, berichtet Sanogo. Dadurch änderte sich zum Beispiel die Essensausgabe, denn in der Kantine der Unterkunft darf nicht mehr gemeinsam gegessen werden.

Die Gesundheitsversorgung der Geflüchteten sei allerdings gesichert. „Die ersten 18 Monate ihres Aufenthalts hier bekommen sie laut Gesetz noch begrenzte medizinische Leistungen, die grob gesagt bei akuten Erkrankungen und zur Vermeidung der Verschlechterung chronischer Erkrankungen greifen”, erklärt Sanogo. „Das heißt, würde jetzt jemand im Heim an COVID-19 erkranken, dann wären die Kosten der Behandlung gedeckt. Nach 18 Monaten sind sie dann ganz normal gesetzlich krankenversichert.”

Bewohner*innen teilen sich oft zu zweit ein Schlafzimmer

Gesundheit ist das eine, das Zusammenleben unter diesen Umständen das andere. Oft teilen sich die Bewohner*innen zu zweit ein Schlafzimmer. Das ist in Zeiten, in denen man möglichst zu Hause bleiben soll und sich nicht so gut aus dem Weg gehen kann, eine besondere Herausforderung. „Wenn die Leute die ganze Woche lang jeden Tag aufeinanderhocken müssen, dann wird es natürlich anstrengend”, erzählt Sanogo. „Das führt zu Spannungen. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass die Bewohner*innen sich sehr solidarisch verhalten. Sie sind sehr kooperativ und verständnisvoll und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.”

Schließung von Sprachschulen

Ein Problem sei auch die Langeweile. „Jemand erzählte mir, er liege dauernd im Bett und schaue an die Decke.” Auch Bewohnerin Julie berichtet von ähnlichen Erfahrungen: „Der Alltag besteht nur noch aus Kochen, Essen, Filmeschauen und Schlafen. Vor Corona gingen wir regelmäßig in die Schule und lernten Deutsch, gingen feiern oder arbeiteten.” Die trans Frau Julie ist professionelle Tänzerin. Sie floh vor ihrer konservativen Familie aus Malaysia. Im Haus teilt sie sich eine Wohnung mit zwei anderen Personen. Sie versucht, sich jetzt die Zeit mit Bloggen und selbst gemachten Videos für YouTube zu vertreiben. „Trotzdem ist es schwer, ich fühle mich oft gestresst.” Vor dem Corona-Shutdown hat Julie Geld mit Performances in queeren Clubs verdient. Dieses Einkommen ist jetzt komplett weggebrochen.

„Jemand erzählte mir, er liege dauernd im Bett und schaue an die Decke.”

Auch die Schließung der Schulen, in denen Menschen mit Fluchterfahrungen Deutsch lernen können, erschwert die Situation. „Zeitweise hatte ich den Gedanken, ich hätte besser in ein englischsprachiges Land flüchten sollen. Mittlerweile geht es zwar besser, aber anfangs war es sehr schwer. Selbst wenn ich etwas auf Englisch gefragt habe, wurde mir hier oft auf Deutsch geantwortet. Und ich habe mir Mühe gegeben, aber ich war ganz neu hier, und es war alles andere als einfach.” Zumal es für Geflüchtete ohne oder mit eingeschränkten Deutschkenntnissen schwierig ist, die Nachrichten zu verfolgen. So können sie sich über die Corona-Maßnahmen in Deutschland oft nur über die Heimleitung informieren.

Psychische Belastungen

„Ein Schild wurde aufgestellt, das die Maßnahmen erklärt”, berichtet Julie. „Zwei Meter Abstand halten, keine Besuche. Außerdem wurden kostenlose Masken verteilt.“ Sorgen macht sich Heimleiterin Sanogo insbesondere um das psychische Wohlbefinden vieler Bewohner*innen. Durch ihre Fluchterfahrungen kämpfen viele mit psychischen Belastungen. Der Zugang zum psychiatrischen Versorgungssystem sei im Moment noch schwieriger als zuvor, denn es würden nur noch die „ganz harten Fälle” bearbeitet. „Unsere Sozialarbeiter*innen können aber nicht einschätzen, ab wann etwas ein Notfall ist.“ Und umso länger die Situation andauert, um so problematischer wird es.

„Die Geflüchteten haben aber vielleicht auch eine Kompetenz, die andere nicht haben” ,meint Sanogo. „Momentan muss man warten, bis sich die Situation verbessert. Und an das Warten sind sie gewöhnt, zum Beispiel auf eine Entscheidung des Asylverfahrens oder auf den Anerkennungsbescheid.” Julie bestätigt dementsprechend auch nüchtern: „Es ist sehr langweilig. Aber ich akzeptiere die Situation so, wie sie ist.”

Julie auf einem Balkon der Treptower Unterkunft

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