„Ich bin der höchste Schwule der Welt“: Ausstellung von Isa Genzken

Anlässlich ihres 75. Geburtstags feiert die Neue Nationalgalerie in Berlin eine der ganz Großen der deutschen Kunstszene. Unter dem Titel „Isa Genzken. 75/75“ präsentiert sie eine handverlesene Auswahl aus dem beeindruckenden Œuvre von Isa Genzken
„Ich wollte schon immer den Mut haben, total verrückte, unmögliche und auch falsche Dinge zu tun.“ So beschreibt Isa Genzken selbst ihre unkonventionelle Lebenseinstellung. Sie mündete in einem vielgestaltigen Werk, das zur Zeit die ikonische Halle der Neuen Nationalgalerie füllt. Die Ausstellung „Isa Genzken. 75/75“ feiert ihren 75. Geburtstag mit 75 ausgewählten Kunstobjekten. Betritt man die Halle, liegt ihr ganzes Schaffen ausgebreitet vor einem: links die minimalistischen Frühwerke, rechts davon Skulpturen, die über die Zeit immer konkreter, verspielter und erzählerischer werden.
Die früheste Arbeit ist ein rotes Ellipsoid von 1977, das in selbstgenügsamer Abstraktion auf dem Boden ruht. Es ist der Beginn eines komplexen Lebenswerkes, das sich in ständiger Bewegung und Veränderung befindet und immer neue Wege einschlägt. Die Weltempfänger aus den 80er-Jahren, abstrakte Betonblöcke, ausgestattet mit einer Antenne, bilden eine erste Brücke in ihr späteres Schaffen. Die Skulpturen werden von nun an immer kommunikativer, bis sie den Betrachter*innen im Spätwerk geradezu entgegenschreien – so wie ihre verwahrlosten Kleinkinder-Puppen von 2006, die unter zerfetzten Sonnenschirmen dahinvegetieren.
„Wenn man um meine Werke herumgeht und auf das Szenario achtet, taucht immer wieder etwas anderes auf, und man kann immer etwas Neues entdecken.“
„Es gibt da eine besondere Präsenz, die einem in jeder einzelnen ihrer Arbeiten entgegenschlägt“, so der Direktor der Neuen Nationalgalerie und Mitkurator der Ausstellung, Klaus Biesenbach, gegenüber SIEGESSÄULE: „Ihr eigenes Menschsein, ihr Leben, ihre Zerbrechlichkeit.“ Spätestens seit der Beginn des neuen Jahrhunderts verwendet Genzken immer häufiger Objekte aus ihrem Alltag, die sie in ihren Skulpturen im Prozess des „Samplings“ einbaut. Oft türmen sich ihre Arbeiten dabei zu Säulen oder Stelen auf. „Wenn man um meine Werke herumgeht und auf das Szenario achtet, taucht immer wieder etwas anderes auf, und man kann immer etwas Neues entdecken und damit sympathisieren“, so Genzken. Ihre Arbeiten werden im Verlauf der Zeit dabei immer freier.
Einflüsse schwuler Kultur
Der wachsende Hang zum Abseitigen, zu Trash und Camp weist sie dem wachen Auge als „Straight Ally“ aus. Hier zeigt sich deutlich auch der Einfluss der schwulen Kultur, in die Genzken – insbesondere nach der Trennung vom Malerfürsten Gerhard Richter – immer tiefer eintaucht. Sowohl in New York als auch in Berlin, ihren beiden Lieblingsstädten, war sie in der Szene ein gern gesehener Gast. So tanzte sie schon in den späten 80er-Jahren die Nächte in der New Yorker Sound Factory durch. Und von ihrer Schöneberger Wohnung schlenderte sie regelmäßig zum Frühstück in die Blue Boy Bar im Bermuda-Dreieck.
„In meinem Leben habe ich mich immer mit dem Fließenden beschäftigt und mich gegen das Starre gewehrt.“
Die inzwischen international gefeierte Künstlerin wurde so auch zur einer Schwulen-Ikone. Eine wechselseitige Faszination, die sich bei Genzken bis zur Identifikation steigerte: „Ich bin der höchste Schwule der Welt“, so sagte sie von sich selbst, eine der Werkserien nannte sie „Schwules Baby“. Selbst ein möglicher Kitsch-Verdacht schreckt Genzken nun nicht mehr: Vor der Neuen Nationalgalerie reckt sich ihre acht Meter hohe „Pink Rose“ dem Berliner Himmel entgegen.
Immer wieder schuf sie so Kunstwerke, die sich jeder Kategorisierung verweigern, uns anders auf die Welt blicken lassen und Gegebenes hinterfragen. Oder in Genzkens eigenen Worten: „In meinem Leben habe ich mich immer mit dem Fließenden beschäftigt und mich gegen das Starre gewehrt. Das war automatisch – ich musste nie darüber nachdenken.“ Leider macht es ihr Gesundheitszustand unwahrscheinlich, dass sie ihre eigene Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie noch selbst in Augenschein nehmen kann. Klaus Biesenbach aber bleibt hoffnungsfroh: „Vielleicht hat sie ja noch einmal einen luziden Tag, an dem sie dann hier sein kann.“
„Isa Genzken. 75/75“, noch bis 27.11.,
So, Di, Mi, Fr und Sa 10:00–18:00, Do 10:00–20:00,
Neue Nationalgalerie, Potsdamerstr. 50, Mitte

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