Alpen-Alptraum von Tilman Singers

Horrorfilm mit Hunter Schafer: Cuckoo

20. Aug. 2024 Axel Schock
Bild: Felix Dickinson Courtesy of NEON
In „Cuckoo“ kämpft die einsame 17-jährige Gretchen (Hunter Schafer) um ihr Leben.

Tilman Singers erste internationale Produktion „Cuckoo“ ist ein schamlos kruder, skurriler wie stilvoller Horrorfilm – und bietet der trans Schauspielerin Hunter Schafer eine perfekte Plattform, sich erstmals in einer Hauptrolle zu beweisen

Ziemlich trist und abgewohnt wirkt dieses Resort am Fuße der bayrischen Alpen. Kein Wunder, dass Gretchen alles andere als erfreut ist, dass sie hier in dieser Abgeschiedenheit nun mit ihrem Vater und dessen neuer Familie leben soll. Ohnehin hat es die 17-Jährige nicht leicht. Sie vermisst ihr früheres Leben in den USA, vor allem aber ihre verstorbene Mutter, der sie immer noch Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlässt. Das Verhältnis zum Vater hingegen ist alles andere als herzlich. Die siebenjährige Stiefschwester Alma (Mila Lieu) spricht nicht, hat gelegentlich epileptische Anfälle und gibt Gretchen auch deshalb kaum die Möglichkeit, sich als erwünschtes Mitglied dieser Familie zu fühlen.

Warum aber hat Gretchens Vater (Marton Csókás) überhaupt diesen Job im Hotel Alpschatten angenommen? Was verbindet ihn mit dem Leiter, dem schmierig-anbiedernden Geschäftsführer König (Dan Stevens)? Weshalb finanziert dieser Hotelbetreiber ein Krankenhaus mit angeschlossener Forschungsabteilung? Warum müssen sich die weiblichen Hotelgäste allenthalben unvermittelt übergeben? Und wer ist diese ominöse Kapuzenfrau, die Gretchen immer wieder verfolgt und überfällt?

Schwangerschaftsexperimente und lesbische Romanze

Schon innerhalb der ersten Filmminuten reihen sich so viele Merkwürdigkeiten aneinander, dass man sich die Frage stellt: Wie will der Filmemacher Tilman Singer diese vielen Fäden am Ende zu einem schlüssigen Ende zusammenführen? Die Geschichte wird aber im Laufe des Films noch weit abgedrehter, absurder – und unlogischer. Verraten sei nur so viel: Es geht um Fortpflanzungs- und Schwangerschaftsexperimente und einen wiederbelebten deutschen Wahn, nämlich den perfekten Menschen zu züchten. Der Filmtitel „Cuckoo“ steht also nicht nur für den englischen Begriff „verrückt“, sondern auch für den Kuckuck und seine Vorliebe, den eigenen Nachwuchs anderen Vögeln unterzuschieben.

Singers erster internationaler Langfilm ist auf verstörende Weise durchgeknallt. Der 1988 geborene deutsche Regisseur kombiniert hier, wie schon in seinem vielbeachteten Debüt „Luz“, hemmungslos und mit viel Fantasie Versatzstücke aus der Geschichte des Horrorfilms. Das beginnt mit einem markanten Sound-Design, gepaart mit billig wirkendem 80er-Jahre-Electro-Pop. Zugleich steckt „Cuckoo“ voller Reminiszenzen an David Lynch und David Cronenberg, aber auch an billige Horrormovies.

„Mir wurden tonnenweise trans* Rollen angeboten, aber ich will die einfach nicht mehr spielen.“

Zusammengehalten wird dieser eklektizistische wie surreale Albtraum in der deutschen Waldeinsamkeit von der Präsenz der Hunter Schafer. Seit ihrer Rolle in der Serie „Euphoria“ hat sich Hunter international als Darstellerin etablieren können. Die inzwischen 25-jährige Allrounderin ist aber auch Model, Queer-Aktivistin, Musikvideoregisseurin (u. a. für Anohni and the Johnsons) und nicht zuletzt auch eine weltweit beachtete trans* Persönlichkeit. Doch sie hat erklärtermaßen keine Lust mehr, sich darauf reduzieren zu lassen. „Mir wurden tonnenweise trans* Rollen angeboten, aber ich will die einfach nicht mehr spielen“, sagte sie neulich in einem Interview mit GQ. Was queere Charaktere jedoch nicht prinzipiell ausschließt. In „Cuckoo“ verfällt Gretchen einer Französin (gespielt von Àstrid Bergès-Frisbey), mit der es dann auch schnell zur Sache geht.

Doch viel Zeit für eine romantische Lovestory lässt Tilman Singer dem Frauenpaar nicht. Gretchen muss nicht nur um ihr Leben kämpfen, sondern auch gegen Wahnvorstellungen, Verschwörungen und eine Zeitschleife. Hunter Schafer bewältigt diese physisch wie psychologisch gleichermaßen herausfordernde Rolle mit Bravour und trägt diesen Horrortrip fast im Alleingang. Zugleich empfiehlt sie sich damit als künftige Action-Heldin. Womöglich war „Cuckoo“ sogar ausschlaggebend, dass sie für die geplante „Blade Runner“-Serie besetzt wurde.

Cuckoo, D/USA 2024
Regie und Buch: Tilman Singer.
Mit: Hunter Schafer, Dan Stevens, Jessica Henwick, Marton Csókás, Mila Lieu u. a. Kinostart: 29.08.

Folge uns auf Instagram

#Cuckoo#Horrorfilm#Hunter Schafer#Lesbische Liebe#Film#Filmpremiere

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.