Homophobie in der katholischen Kirche: Bewegt sich was?
Nach der Aktion #OutInChurch, bei der sich 125 Katholik*innen aus Deutschland und Österreich als queer geoutet hatten, können gleichgeschlechtlich heiratende Angestellte in der katholischen Kirche nun darauf hoffen, ihren Job zu behalten. Kommt die Institution nun in Bewegung? SIEGESSÄULE sprach mit Veronika Gräwe vom Katholischen LSBT+ Komitee
Veronika, die Deutsche Bischofskonferenz will ihre „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ ändern. Eine gleichgeschlechtliche Ehe soll kein Grund mehr sein für eine Kündigung. Ist das eine Zeitenwende in der katholischen Kirche – oder nur ein kleines Zugeständnis?
Wir sehen das differenziert. Positiv ist, dass der Entwurf vorsieht, dass das Beziehungsleben nicht mehr arbeitsrechtlich bewertet werden soll. Sehr gut finden wir auch, dass die neue Grundordnung nicht mehr so stark darauf abzielt, wem aus welchen Gründen gekündigt werden kann – sondern auf welcher Grundlage wir in der Kirche gut zusammenarbeiten können! Die katholische Identität einer Einrichtung wird damit zur Leitungs- und Gemeinschaftsaufgabe und hängt nicht mehr daran, wie katholisch einzelne Mitarbeitende ihr Leben gestalten.
Was fehlt sonst noch aus eurer Sicht?
Bei Fragen zur geschlechtlichen Identität besteht noch Nachbesserungsbedarf. Im Entwurf heißt es zwar, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern gefördert werden soll und dass niemand aufgrund seines Geschlechts diskriminiert werden darf. Aber es ist nicht klar, ob der Begriff „Geschlecht“ auch trans, nicht binäre und inter Personen einschließt. Dabei wäre es superwichtig, sie mitzudenken. Es muss Gleichstellung für alle Geschlechter geben! Der Punkt ist auch deshalb wichtig, weil auch heterosexuelle cis Frauen in der Kirche noch erheblich diskriminiert werden.
„Hier brauchen wir eine Vernetzung von queeren Gruppen und den katholischen Frauenverbänden“
Hier brauchen wir eine Vernetzung von queeren Gruppen und den katholischen Frauenverbänden. Die kämpfen auch um Gleichstellung – zum Beispiel darum, dass es mehr weibliche Führungskräfte gibt. Es waren unter anderem die katholischen Frauen- und Jugendverbände, die sich gleich im Januar mit #OutInChurch solidarisiert haben.
In eurer ersten Stellungnahme habt ihr kritisiert, dass in der Grundordnung oft von „christlichen Werten“ die Rede ist. Das ist in einem katholischen Regelwerk doch nicht verwunderlich. Was stört euch daran?
Wir sehen mit Sorge, dass an vielen Stellen zum Beispiel sehr allgemein vom „christlichen Gottes- und Menschenbild“ die Rede ist. Das ist ein schwammiger Begriff. Es gibt nicht das EINE christliche Gottes- und Menschenbild, sondern viele verschiedene. Zumindest in der katholischen Theologie ist das Menschenbild sehr divers!
„In der katholischen Theologie ist das Menschenbild sehr divers!“
Entscheidend ist daher die Frage: Was verstehen die Autor*innen der Grundordnung darunter? Ein Beispiel: Was ist, wenn ich als trans Person mit der Transition beginne? Verstoße ich dann schon gegen das Menschenbild? Es ist superwichtig, diese Begriffe zu konkretisieren. Sonst öffnen wir neue Türen für Machtmissbrauch und Erpressung.
Es heißt, die Bischöfe möchten die neue Grundordnung schon im Juli in Kraft setzen. Stimmt das?
Das ist einer unserer Kritikpunkte: Es gibt keinen genauen Fahrplan. Und es ist nicht klar: Wer war bisher an der Überarbeitung beteiligt? Wie können Gruppen wie #OutInChurch Input geben? Wir hoffen sehr, dass sich da noch etwas tut. Es ist wichtig, Expert*innen einzubeziehen – aber gleichzeitig darf es kein endloses Reden und Vertrösten geben. Es muss was passieren! Wir achten darauf, dass nun kein Pinkwashing passiert: Alle sind bestürzt, hängen ein paar Regenbogenfahnen auf – aber sonst ändert sich nichts.
Wie viele Menschen sind denn bisher aufgrund der Grundordnung entlassen worden?
Das lässt sich schwer sagen. Einige Fälle sind im Zuge von #OutInChurch sichtbar geworden. Viel schlimmer aber war und ist die Ungewissheit. Deshalb ist es uns so wichtig, dass diese Frage allgemein geregelt und nicht mehr per Einzelfall entschieden wird. Viele Bischöfe haben ja in Reaktion auf unsere Aktion gesagt: „Die Betroffenen können doch jederzeit das Gespräch mit ihren Vorgesetzten suchen, mit ihrem Bischof.“
„...diese Einzelentscheidungen führen zu Rechtsunsicherheit“
Aber genau DAS soll nicht mehr sein – denn diese Einzelentscheidungen führen zu Rechtsunsicherheit. Sie öffnen ein Tor für Machtmissbrauch, es macht LSBTIQ*-Mitarbeiter*innen erpressbar. Oft ist es so: Wenn mir mein Bischof wohlgesonnen ist, dann ist alles in Ordnung. Aber wenn ein neuer Bischof kommt, muss ich mit einer Kündigung rechnen.
Wie geht es nun weiter mit #OutInChurch?
Uns geht es jetzt erst einmal um eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts. Darüber kann die Deutsche Bischofskonferenz entscheiden. Darüber hinaus unterstützen wir auch weiterhin die Anliegen der vielen LSBTIQ*-Gruppen innerhalb der Kirche: Wir fordern beispielsweise eine Änderung des Katechismus. Gleichgeschlechtliche Handlungen sollen nicht mehr als Sünde gelten!
„Gleichgeschlechtliche Handlungen sollen nicht mehr als Sünde gelten!“
Aber über den Katechismus wird im Vatikan entschieden. Unsere Änderungswünsche müssten die deutschen Bischöfe nach Rom tragen – genauso wie die vielen guten Texte, die beim Synodalen Weg, dem innerkirchlichen Reformprozess in Deutschland, gerade entstehen. Sie können die Situation queerer Katholik*innen verbessern, aber da ist bei vielem dann auch Rom gefragt.
Wird das passieren? Werden sich die deutschen Bischöfe beim Papst dafür einsetzen, dass queere Menschen in der katholischen Kirche nicht mehr ausgegrenzt werden?
Zumindest passiert gerade sehr viel. Dass queere Menschen zu ihrem Bischof gehen und offen mit ihm über ihre sexuelle Identität sprechen – das hätte es vor fünf Jahren noch nicht gegeben. Auf der anderen Seite ist noch so viel zu tun, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Weltkirche! In Ländern wie Ghana beispielsweise sieht es gerade eher nach einer Verschlechterung aus.
„In Deutschland – aber auch in der gesamten Weltkirche – fehlt noch so viel Wissen über LSBTIQ*!“
In Deutschland – aber auch in der gesamten Weltkirche – fehlt noch so viel Wissen über LSBTIQ*! Wir als Katholisches LSBT+Komitee arbeiten in Deutschland deshalb eng mit den Beauftragten für LSBTIQ*-Pastoral zusammen, die es in einigen Bistümern nun gibt. Das ist ein großer Schritt nach vorn, um die entsprechenden Kompetenzen zu vermitteln.
Wo zum Beispiel?
Die einzelnen Bistümer sind sehr unterschiedlich weit, wenn es darum geht, offen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu sein. Im Herbst wird es zum Beispiel eine Tagung zum Thema trans und inter in München geben. Hier hoffen wir auf einen Kompetenzerwerb bei kirchlichen Mitarbeitenden. Innerhalb der Kirche sind die katholischen Jugendverbände Vorreiter, wenn es um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt geht.
Und wie steht das Erzbistum Berlin da?
Bisher haben sich sieben Bistümer – von insgesamt 27 – dazu verpflichtet, ihre queeren Mitarbeiter*innen künftig nicht mehr zu entlassen, also vorerst die entsprechenden Teile der Grundordnung auszusetzen. Berlin gehört nicht dazu. Es gibt hier auch noch keine Ansprechpartner*innen für LSBTIQ*. Allerdings hat uns Erzbischof Heiner Koch versprochen, dass es sie künftig in den Pfarreien geben soll. Da tut sich also etwas und wir sind da in einem guten Austausch mit dem Erzbistum.
#OutInChurch läuft nun ein halbes Jahr. Wie sehr hat eure Aktion die Lage der queeren Angestellten bei der Katholischen Kirche verändert?
Wir hören oft von kirchlichen Mitarbeitenden, dass sie mit ihren Vorgesetzten, mit ihrem Bischof zum ersten Mal ohne Angst über ihre sexuelle Orientierung oder Identität sprechen konnten. Auch wenn das keinesfalls schon auf alle Bistümer zutrifft, ist das schon sehr, sehr gut! Schön ist auch, dass es nun mehr Leuten bewusst ist, dass wir ein Teil der Kirche sind. Die Coming-outs von #OutInChurch sind ja auch Glaubenszeugnisse.
„Die Coming-outs von #OutInChurch sind ja auch Glaubenszeugnisse.“
Viele haben mir gesagt, dass sie das berührt hat. Das fand ich spannend: Wir queeren Katholik*innen repräsentieren unsere Kirche positiv, auch gegenüber Menschen, die mit ihr nichts zu tun haben. Und auch innerhalb der Kirche gibt es nun ein größeres Bewusstsein für queere Personen. Ich war zum Beispiel Ende Mai auf dem Katholikentag in Stuttgart. Dort waren sehr viele Regenbogenfahnen zu sehen – manchmal habe ich mich wie auf dem CSD gefühlt! (lacht)
Veronika Gräwe lebt in Berlin und promoviert in katholischer Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main. Dort erforscht sie, wie LSBTIQ*-Jugendliche in Deutschland christliche Religion erleben. Die 31-Jährige engagiert sich bei der Ini Queer Cusanus, einem Netzwerk von Stipendiat*innen des katholischen Cusanuswerks, und ist Co-Sprecherin des Katholischen LSBT+ Komitees sowie Aktivistin bei #OutInChurch. Zudem ist sie Mitherausgeber*in des Sammelbands „#Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst" (Herder Verlag).
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