Kommentar

Heteronormativ und angepasst: Weihnachten zu Hause

21. Dez. 2023 Manuela Kay
Bild: canva

Zu den Weihnachtstagen wird es leer in Berlin. Man fährt „nach Hause“. Zurück bleiben jene, die keine Familie oder keinen Bock darauf haben. Doch die werden immer weniger. Die viel gerühmte „Community“ taugt an Weihnachten wohl nicht als Zuhause, bemerkt Manuela Kay

Es mutet schon merkwürdig an, dass so viele Menschen in Berlin rund um die doch angeblich so verhassten Weihnachtsfeiertage immer wieder fragen: Fährst du Weihnachten nach Hause? Oder man bekommt die Antwort „Ich fahre nach Hause“ auf die Frage, ob man an den zumeist freien Tagen Zeit zusammen verbringen möchte. Zuhause? Ist das nicht angeblich dort, wo man sich wohlfühlt? „Home is where the heart is“ heißt es so treffend auf Englisch. In der queeren Community wird doch immer wieder betont, dass die Wahlfamilie das höchste Gut sei. Zudem rühmt man sich eines alternativen Lebensstils. Doch an den altmodischen und auch noch christlichen Feiertagen wird dann zu den Eltern beziehungsweise zur Erbfamilie gefahren.

Mit anderen Worten: in Berlin einen auf alternativ und untergrundig, queer und unangepasst machen, aber an Weihnachten brav bei Mutti unterm Baum sitzen und für einen Tag sogar das Veganer-Dasein zugunsten der Weihnachtsgans ablegen? Das ist bigott und scheinheilig. Nach der Rückkehr aus der Provinz wird dann schön über die Familie abgelästert, wie homophob und nervig alle sind. An der Weihnachtstafel wird dieser Ärger allerdings zugunsten von Harmonie und der Gier nach den Geschenken runtergeschluckt.

Es gab eine Zeit, da waren viele Szenebars und Clubs an Heiligabend und den Weihnachtsfeiertagen geöffnet und auch voll. Das ist heute nicht mehr so. Denn die Rückbesinnung auf Klein- oder Blutsfamilie mitsamt der ungeliebten Verwandtschaft außerhalb Berlins hat dazu geführt, dass queere Menschen zumeist die konventionelle und nicht queere Variante wählen. Also genau so die Tage verbringen, wie alle vermeintlich Heteronormativen auch.

Es wird nicht queerer, wenn man angetraute gleichgeschlechtliche Ehepartner*innen mit zu Mutti nimmt. Oder die Kinder der Regenbogenfamilie mitfeiern. Denn mit Ausnahme der Tatsache, dass ein (Eltern-)Paar vielleicht gleichgeschlechtlich ist, stellt sich alles genauso dar, wie es sich die christlichen Kirchen wünschen. Und es macht eine queere Ausgehkultur an den „Feiertagen“ schlicht überflüssig und zerstört diese letztlich.

„Wenn es um Familienfeiertage geht, sind wir kein Stück besser als die Heterogesellschaft."

Gearscht sind jene, die keine Familie haben oder keine (mehr) wollen oder auch vergeblich noch immer auf der Suche nach einem alternativen Lifestyle sind, den sie in der LGBTIQ*-Community immer weniger vorfinden.

Wer Weihnachten keine Partnerschaft, keine Familie hat, kann ja – genau wie die Single-Heteros – bei der Telefonseelsorge anrufen oder schlicht vor dem Fernseher bleiben.

Wenn es um Familienfeiertage geht, sind wir – die LGBTIQ*-Community – kein Stück besser als die Heterogesellschaft. Wir haben kaum oder gar keine Alternativen zu bieten. Dass die Szene bei Weihnachten und der unreflektierten, spießigen Familienfeierei drum herum so widerspruchslos mitzieht, ist nicht weniger als ein Armutszeugnis!

Bild: Manuela Kay
SIEGESSÄULE-Verlegerin Manuela Kay

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