Her mit dem Geld!
Der Wiederanfang nach Corona muss für die queere Bewegung in Deutschland auch finanziell zum Neustart werden. Die erfolgreichen Spendenaktionen der letzten Wochen haben gezeigt, dass das funktionieren kann. Jetzt braucht es einen Mentalitätswechsel, findet Dirk Ludigs
Am Ende waren selbst jene verwundert und vom Erfolg überrascht, die in höchster Not um Beistand gebeten hatten. Im Angesicht der großen Krise riefen Mitte April viele Institutionen zum Spenden auf – und das wurde zum durchschlagenden Erfolg! Zigtausende Einzelspenden summierten sich alleine für die Siegessäule auf über 200.000 Euro, was den Fortbestand des queeren Magazins (und Verbreiterin dieser Kolumne) bis auf weiteres sichert. Auch die Akademie Waldschlösschen bei Göttingen übertraf in kürzester Zeit ihr Spendenziel von 75.000 Euro und kann erstmal, wenn auch unter Corona-Bedingungen, weitermachen. Und das Berliner SchwuZ hätte ohne Spenden schon Ende April den Laden für immer dichtmachen müssen.
Natürlich waren die letzten Wochen auch eine Ausnahmesituation und die ist auch noch lange nicht vorbei. Dennoch lohnt es sich festzuhalten: Das ewige Mantra, die queere Community habe kein Geld, stimmt so ganz offensichtlich nicht. Die Kohle ist vorhanden, sie ist nur sehr ungleich verteilt, so wie im Rest der Gesellschaft auch. Wer hat, der hatte nur bisher kein übergroßes Bedürfnis davon abzugeben und wurde beruhigenderweise auch nicht danach gefragt.
Queere Institutionen sind chronisch unterfinanziert
Chronisch unterfinanziert sind hierzulande die queeren Institutionen, egal ob im Selbsthilfe- oder Gesundheitssektor, in der Wissenschaft oder in der Kultur. Gleichzeitig liegt die Staatsquote enorm hoch. Beispiel Deutsche Aidshilfe: 2018 hatte der Dachverband ein Jahresbudget von knapp über acht Millionen €. Der Anteil der Spenden inklusive der Nachlässe lag – bei einem bundesweiten Verband – mit etwas über 635.000 € bei gerade mal 7,9 Prozent. Und das sieht überall ähnlich aus. Es scheint, queere Menschen geben für ziemlich alles ihr Geld lieber aus, als für ihre eigene Infrastruktur.
Größere Unabhängigkeit von staatlichen Geldern
Natürlich will ich den Staat aus seiner Pflicht, historisch benachteiligte Gruppen finanziell zu fördern, auf keinen Fall entlassen. Im Gegenteil, der kann da ruhig noch was draufsatteln! Aber trotzdem halte ich eine so hohe Abhängigkeit vom Staat aus mindestens zwei Gründen für ungesund.
Der erste: Er macht die queere Community angreifbar. Der Thüringer Sündenfall ist, auch wenn es einem anders vorkommt, noch kein halbes Jahr her. Sollte der Wind einmal von der anderen Richtung wehen, stünde die queere Bewegung institutionell in Deutschland schnell vor dem Aus. Dass ihnen die Finanzierung von LSBTTIQ* ein Dorn im Auge ist, daran lassen die christliche und völkische Rechte, die AfD und die konservativen Teile der CDU/CSU keine Zweifel aufkommen.
Der zweite: Staatliche Finanzierung folgt dem Satz „Wer hat, dem wird gegeben“. Gefördert wird, wer die Klaviatur des Gefördert-Werdens am besten beherrscht. Darum erhält, wir kennen die Litanei, die Schwulenberatung ein Vielfaches des Budgets der Lesbenberatung. Das System der Staatsfinanzierung neigt auf Dauer zur Sklerose.
Queers brauchen ein neues Konsumverhalten
Wir sollten den Schub der letzten Wochen darum nutzen und mit geballter Kraft für einen Mentalitäts- und Kulturwechsel sorgen. Wir brauchen zum Beispiel dringend einen Fonds, um die steigenden juristischen Kosten im Kampf gegen die neue und alte Rechte finanziell zu stemmen. Wir müssen innerhalb der Community Wege finden, zum Beispiel über einen spendenbasierten Strukturfonds, wie besonders marginalisierte Gruppen innerhalb des Regenbogens an mehr Geld kommen. Wir brauchen eine viel offensivere Kultur des Fundraisings. Vor allem aber müssen Queers eine Mentalität entwickeln, die finanzielle Zukunft der eigenen Läden langfristig in den Blick zu nehmen und das eigene Konsumverhalten danach auszurichten.
Vorstand Birgit Bosold vom Schwulen Museum schätzt fürs eigene Haus: Würde nur jede zehnte queere Person in Berlin einmal pro Jahr das Museum zum ermäßigten Preis besuchen, wäre der bisherige Haushaltsposten aus Ticketeinnahmen schon erreicht. Tatsache ist aber, dass über 80 Prozent der Besucher*innen gar nicht aus Berlin kommen. In den nächsten Jahren wird eine Welle von Erbschaften und Nachlässen queerer Menschen übers Land rollen. Wie viel davon bleibt bei queerer Infrastruktur hängen? Rainer Marbach, Vorstand der Stiftung der Akademie Waldschlösschen weiß zu berichten, dass diese weltweit einzigartige queere Bildungsinstitution in den vierzig Jahren ihrer Existenz nicht ein einziges Mal mit einer Erbschaft bedacht wurde.
Ab sofort gibt es keine Ausreden mehr! Stellen wir unsere Infrastruktur endlich langfristig auf vernünftige finanzielle Beine: Staatsknete, weil wir sie uns verdient haben! Spenden, Mitgliedsbeitrage, Erbschaften und Eintrittsgelder, weil wir uns das wert sind!
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