„Eine gespaltene Gesellschaft ist per se nichts Schlimmes“
Mit „Ministerium der Träume“ legt Hengameh Yaghoobifarah einen Krimi vor, der Themen wie Rassismus, Queerness und Zugehörigkeit vereint. SIEGESSÄULE-Autor Florian Bade sprach mit Hengameh über den Roman, Verantwortung und Kritik aus der Szene
Nach mehreren Essays, deiner taz-Kolumne, der Mitarbeit beim Missy Magazine und einem Podcast erscheint jetzt dein erster Roman. Wie fühlt sich das an? Irgendwie unreal. Lange saß ich alleine an meinem Rechner daran und plötzlich ist es fertig. Die erste Idee war 2017 da. Aktive erste Schreibtage hatte ich aber erst 2019. Es ist einfach mein langfristigstes Projekt, was ich beendet habe, und es fühlt sich gut an, dass es jetzt raus ist.
Du stehst aktuell sehr im Rampenlicht und wirst häufig kritisiert. Wie gehst du damit um? Die Frage ist, was die Kritik ist? Wenn Leute etwas inhaltlich kritisieren, setze ich mich damit auseinander, wenn ich es angemessen finde. Wenn Rechte sich darüber beschweren, dass ich Deutsche mal als „Kartoffel” bezeichne, dann ist mir das egal. Aber wenn aus queeren und feministischen Kontexten Kritik kommt, dann beschäftigt mich das schon. Dann ist es aber auch abhängig davon, ob es konstruktive und wohlwollende Kritik ist. Die ist leichter zu verarbeiten als Beleidigungen.
Im Buch geht es um die lesbische Türsteherin Nasrin, die einen Migrationshintergrund hat und den Tod ihrer Schwester aufklären will. Hand aufs Herz, wie viel Hengameh findet sich in Nasrin wieder? Das Autobiografischste an dem Roman ist der gaze (englisch für Sichtweise/Blickwinkel, Anm. d. Red.), weil die Geschichte durch eine queere, migrantische Linse erzählt wird. Aber in puncto Background und Generation sind wir anders. Wenn man zu sehr davon ausgehen würde, dass viel von mir in Nasrin steckt, würde eine gewisse Allgemeingültigkeit verloren gehen. Denn die nonbinären und migrantischen Identitäten, die ich habe, sind keine Seltenheit.
Der Titel des Romans kam mir fast wie eine Anspielung auf das „Heimat-Ministerium” vor. Denn ein zentrales Thema ist das Finden dieser „Heimat“ in einer von strukturellem Rassismus geprägten Gesellschaft. Was verstehst du darunter? Das ist keine Anspielung. Aber zu deiner Frage: Heimat ist ein völkisches Konzept. Und Zuhause ist kein fixer Ort. Ich könnte nicht sagen, der Küchentisch von meiner besten Freundin oder das Sofa meiner Eltern. Das kann auch variieren, je nachdem, was man gerade braucht. Manchmal ist es eine Tanzfläche in einem queeren Club, manchmal Bett und Fernsehen. Was Zuhause ausmacht, ist, sich wohl und nicht self-conscious zu fühlen. Der Ort, wo man eine Jogginghose tragen kann, aber auch genauso willkommen ist, wenn man overdressed ist.
„Es klingt so hippiemäßig, aber man muss empathischer sein."
Nasrin darf ihre Queerness in Berlin endlich er- und ausleben, aber kämpft auch mit ihrer Depression. So sagt sie im Buch: „Dass Liebe nicht wehtun muss, weiß ich schon, aber ich kenne keine Liebe ohne Schmerz.” Ist es für queere Menschen schwieriger, Liebe ohne Schmerz zu finden? Ich denke schon, weil queere Liebe ja auch häufig mit schmerzhaften Erfahrungen sanktioniert wird. Ein Kuss auf der Straße bedeutet für ein cis Heteropaar was anderes als für ein queeres Paar, was damit rechnen kann, angegriffen zu werden. Auch manche proqueere Slogans greifen da nicht am richtigen Spot an. Zum Beispiel: „Lieb doch, wen du willst“. Das Problem ist ja nicht, dass ich nicht liebe, wen ich will, sondern dass ich dafür bestraft werde, dass ich es tue. Es wird viel zu wenig über homo-, queer- und transfeindliche Strukturen gesprochen und viel mehr über die Frage des sich Trauens. Leute würden sich bestimmt mehr trauen, wenn sie nicht teils um ihr Leben fürchten müssten.
Rassismus und Polizeiversagen von Mikroaggression bis Racial Profiling ziehen sich auch durch deinen Roman. Was muss die Polizei lernen? Man kann über reformistische Ansätze der Polizei sprechen. Ich persönlich denke aber, dass die Institution als solche so abgefuckt ist, dass es keine große Veränderung bringen wird, wenn man nur kosmetische Feinheiten verändert.
Und der Alman (Stereotyp des spießigen Deutschen, Anm. d. Red.)? Der Alman an sich, kann ich nicht sagen, es gibt ja sehr sweete Almans. Aber allgemein müssen Leute von dem Punkt wegkommen, wo es nur darum geht, recht zu haben oder die eigenen Entscheidungen als die einzig validen darzustellen. Es klingt so hippiemäßig, aber man muss empathischer sein. Und sich auch politisch informieren. Das gilt nicht nur für den Alman, sondern für alle privilegierten Menschen, die zum Beispiel straight oder cis sind. Um in einer Gesellschaft Verantwortung füreinander übernehmen zu können, müssen wir wissen, was gerade schiefläuft, die Missstände benennen und dementsprechend handeln. Gerade in Zeiten von Corona, wo es zur privaten und politischen Vereinsamung kommt.
„Kolumnen haben es in sich, dass sie polemisch sind und auch wehtun. “
Es scheint, dass die Gesellschaft durch Corona gerade auseinanderzubrechen droht. Wie können wir uns wieder zusammenraufen? Eine gespaltene Gesellschaft ist per se nicht etwas Schlimmes. Eine Gesellschaft ist nun mal heterogen. Die Frage ist natürlich dann eher, wo liegt der Dissens? Sprechen wir über Menschenfeindlichkeit oder sprechen wir über Haltungen zu Themen des sozialen Miteinanders, die vielleicht wehtun, aber niemanden umbringen? Letztere müssen nicht besiegt werden. Das gilt auch für die queere Community. Man kann streiten und davon auch gerne viel. Aber die Frage der Handlungsfähigkeit stellt sich mir und daran müssen wir arbeiten.
Was denkst du? Ist deine aufstachelnde, provokante Art zu schreiben zielführend, um diesen Lernprozess und das Zusammenwachsen voranzutreiben? Die provokanteren Texte sind meine Kolumnen. Kolumnen haben es im Genre in sich, dass sie polemisch sind, satirische Überspitzungen mit sich bringen und auch wehtun. Leute, die schon mit mir im Panel gesessen und gestritten haben, merken aber sehr schnell, dass mein Kolumnen-Ich nicht das private Ich ist. Ich würde nicht sagen, dass meine Kolumne ein Peacemaker-Ort ist. Aber das sollte auch nicht der Anspruch daran sein.
What’s next? Ich arbeite an meinem Podcast „Auf eine Tüte“ und hoffentlich finden meine Lesungen ab Mai statt. Aber sonst will ich vor allem ein bisschen mehr Chillen und die Dynamiken, diese Aufreger, die Social Media mit sich bringen, nicht mitmachen.
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