Haushaltskürzungen: Welche queeren Projekte und Spielorte sind betroffen?
Die geplanten Einsparungen des Berliner Senats treffen vor allem die queere Kultur- und Jugendarbeit hart. Wer ist betroffen – und wie können Berliner*innen helfen?
Der Berliner Senat will drei Milliarden Euro im Landeshaushalt einsparen (SIEGESSÄULE berichtete). Am vergangenen Dienstag gab er bekannt, in welchen Bereichen gekürzt werden soll, unter anderem: Umwelt, Sozial- und Jugendarbeit sowie Kultur. Von den drastischen Haushaltskürzungen sind auch zahlreiche queere Projekte und für die LGBTIQ*-Community relevante Berliner Kultureinrichtungen betroffen. Seit Wochen warnen Kultur- und Sozialarbeiter*innen bereits vor Insolvenz, Einschränkungen im Angebot, dem Verlust von Arbeitsplätzen sowie essenziellen sozialen Strukturen. Eine häufige Kritik: Die Kürzungspläne des Senats seien eine Gefahr für Diversität, Inklusion, Demokratie und Bildung.
Kultur
Vor allem im Berliner Kulturbetrieb herrscht große Verunsicherung: Rund 130 Millionen Euro aus dem Kulturetat sollen gestrichen werden. Das entspricht etwa 12 Prozent der gesamten Ausgaben.
Betroffen sind unter anderem große Bühnen wie das Deutsche Theater (3 Millionen), das Berliner Ensemble (1,75 Millionen), die Schaubühne (1,8 Millionen), die Volksbühne (2 Millionen) und die Stiftung Oper (15 Millionen). Darüber hinaus werden Förderungen in der freien Szene und für Atelierräume Bildender Künstler*innen massiv eingekürzt – derzeit sind rund 300 Ateliers und Arbeitsräume in Berlin bedroht.
Die Komische Oper, die der LGBTIQ*-Community seit langer Zeit sehr verbunden ist, verliert 2025 geplante Sanierungsmittel von 10 Millionen Euro für das Stammhaus in der Behrenstraße. „Dies geschah trotz einer öffentlichen Zusage von Kultursenator Joe Chialo und Bürgermeister Kai Wegner, die Sanierung fortzusetzen,“ schreibt die Spielstätte in einer Pressemitteilung. Neben dem Baustopp sollen im nächsten Jahr zusätzlich noch 9 Prozent im laufenden Betrieb gekürzt werden, was für die Komische Oper eine „doppelte Katastrophe“ darstellt.
„Der Baustopp geschah trotz einer öffentlichen Zusage von Kultursenator Joe Chialo und Bürgermeister Kai Wegner, die Sanierung fortzusetzen.“
Auch kleinere Kultureinrichtungen und -Initiativen sind betroffen: Das Projekt König ist aus dem Dragking-Kollektiv Venus Boys erwachsen und organisiert seit einigen Jahren Dragking-Workshops, Shows und realisierte kürzlich ein Festival. Bislang wurde das Angebot über den Projektfonds Kulturelle Bildung finanziert, doch ab März fällt diese Förderung weg.
Diversität abgeschafft?
Es steht außer Frage, dass die Kürzungsmaßmahmen den gesamten Berliner Kulturbetrieb hart treffen. Besonders bedroht sind allerdings Projekte in den Bereichen Inklusion und Diversität.
Das liegt daran, dass der Diversitätsfonds, die Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung und das Förderprogramm Diversitätsoffensive gestrichen werden. Über diese Maßnahmen wurden in der Vergangenheit beispielsweise behinderte Künstler*innen gefördert sowie Projekte, die Barrieren in der Kulturlandschaft abbauen.
Durch Kürzungen in diesem Bereich ist unter anderem die Zukunft des No Limits Disability & Performing Arts Festivals (u.a. am HAU) in Gefahr. „Die generellen Kürzungen bei Theatern bedeuten, dass Barrierefreiheitsmaßnahmen für Kulturschaffende und Publikum wegfallen werden,“ kritisieren die Festival-Betreibenden.
„Die generellen Kürzungen bei Theatern bedeuten, dass Barrierefreiheitsmaßnahmen für Kulturschaffende und Publikum wegfallen werden.“
Das queerfeministische Theaterhaus Sophiensæle teilt diese Kritik: „Nicht nur Diversität und Inklusion werden niedergemäht, sondern es wird auch eine konservative Kulturpolitik umgesetzt, die keine pluralistische Gesellschaft will.“
Postmigrantisch-queere Spaces bedroht
Das queere, postkoloniale und postmigrantische Kulturzentrum Oyoun in Neukölln verliert im kommenden Jahr Zuschüsse in Höhe von 1,07 Millionen Euro. Die Existenz des Zentrums ist schon länger bedroht, aufgrund eines andauernden Streits mit dem Kultursenat um einen umstrittenen Antisemitismusvorwurf.
Eine weitere intersektionale Kultur-Initiative in Neukölln ist das Projekt Berlin Mondiale, das vor allem für migrantisierte und geflüchtete Menschen Kulturangebote realisiert – häufig in Verbindung mit LGBTIQ*-Perspektiven. Das Projekt hat sämtliche Fördermittel verloren. „Das bedeutet: Null Euro für unsere dezentrale Kulturarbeit, die kulturelle Teilhabe in sozial benachteiligten Nachbarschaften ermöglicht hat,“ fasst die Initiative auf Instagram zusammen.
Mit Sinema Transtopia im Wedding ist ein weiterer queerer und postmigrantischer Kulturort in seiner Existenz bedroht. Das Kino, das unter anderem das Soura Film Festival 2024 beherbergte und einen Film zum diesjährigen Xposed-Filmfestival präsentierte, hat seine sämtlichen Fördermittel verloren. „Ohne Finanzierung können wir unsere Archivarbeit, die vernachlässigte Perspektiven der deutschen Filmgeschichte sichtbar macht, nicht fortsetzen,“ schreiben die Kino-Betreibenden auf Instagram und appellieren an Unterstützer*innen, ihren offenen Brief zu unterzeichnen. Die Archivarbeit ist nur einer von vielen Punkten, die ohne Förderung nicht mehr möglich seien.
„Ohne Finanzierung können wir unsere Archivarbeit, die vernachlässigte Perspektiven der deutschen Filmgeschichte sichtbar macht, nicht fortsetzen.“
Im gleichen Bezirk befindet sich auch die Galerie Savvy Contemporary, die sich schwerpunktmäßig mit queeren, postmigrantischen und BIPoC-Perspektiven auseinandersetzt. Finanziert wurde die Kultureinrichtung bislang aus einem gemeinsamen Fördertopf, unter anderem mit der Galerie Silent Green. Die geplanten Kürzungen von 50 Prozent bedrohen nun das Fortbestehen der Kulturbetriebe.
Freie Jugendarbeit
Neben den massiven Kürzungen im Kulturbereich sind auch soziale LGBTIQ*-Projekte, insbesondere im Bereich der Jugendarbeit bedroht: Der Etat für freie Jugendarbeit wird um 7 Millionen Euro gekürzt.
Betroffen ist unter anderem das Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V. – seit über 30 Jahren die erste Anlaufstelle für LGBTIQ*-Jugendliche und queere Bildungsarbeit. Auf Instagram schreibt das Lambda-Team: „Nach derzeitigem Kenntnisstand wird die Finanzierung unseres Jugendzentrums komplett gestrichen.“ Konkret bedeuten die Mittelkürzungen, „dass Zufluchtsorte für queere Jugendliche, wichtige Arbeit mit Kids, Teens und Angehörigen und Beratungsangebote wegbrechen.“
Dazu zählt auch das Projekt Queer@school, das queere Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit in Form von Workshops an Berliner Schulen anbietet. Für den einzigen queeren Jugendverband ist das ein Skandal: Vor allem in Zeiten des Rechtsrucks und steigender Hasskriminalität seien Safer Spaces für queere Jugendliche essentiell, kritisiert das Netwerk.
Die Qu:alle – Die queere Jugendfreizeiteinrichtung in Spandau, ein Projekt des Trägers Trialog Jugendhilfe gGmbH, droht aufgrund der bevorstehenden Mittelkürzung die Schließung. „In diesen Zeiten bei der queeren Jugendarbeit so rigoros den Rotstift anzusetzen, wäre ein klares Statement gegen die queere Community,“ schreiben Trialog-Geschäftsführerin Beate Aydt-Abadian und Bereichsleiter Malte Mühlsteff in einer Pressemitteilung.
„Der Wegfall der Anlaufstellen für queere junge Menschen in den Randbezirken von Berlin ist ein Rückschritt.“
Das gut besuchte Jugendzentrum sei ein Indiz dafür, wie wichtig die Stärkung queerer Sichtbarkeit in den Randbezirken sei. „Der Wegfall der Anlaufstellen für queere junge Menschen in den Randbezirken von Berlin ist ein Rückschritt,“ so die Kritik. Auch andere queere Jugendeinrichtungen, beispielsweise in Pankow, Treptow und Neukölln, sind von den Kürzungen betroffen.
Unsichere Zukunft für Wohnhilfen
Die Wohnraumberatungsstelle QueerHome ist voerst nicht von Kürzungen betroffen, macht sich jedoch Sorgen um die Zukunft, da anderen Projekten im Bereich Soziale Wohnhilfen ab 2025 Kürzungen drohen. Die teilweise im LGBTIQ*-Aktionsplan der IGSV verankerten und geplanten Verbesserungen wie spezielle Angebote für LGBTIQ* in Wohnungsnot, sichere Unterkünfte und Beschwerdestellen auszubauen, könnten durch die Haushaltskürzungen gefährdet sein. Auch das Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden, rücke damit in weite Ferne. „Ein solches Sparprogramm ignoriert die aktuelle Lebensrealität und Auswirkungen auf den Alltag aller Menschen in Wohnungsnot,“ schreibt Kathrin* Schultz von QueerHome und fordert: „Statt Kürzungen: Zeitnahe und konsequente Umsetzung der IGSV!“
Was tun?
Viele der betroffenen Akteur*innen appellieren an Berliner*innen, selbst aktiv zu werden und beispielsweise die Abgeordneten von SPD und CDU direkt anzuschreiben. Unter den Hashtags #Unkürzbar und #BerlinIstKultur werden in den Sozialen Medien Spendenlinks, offene Briefe und Demo-Aufrufe geteilt. Mehr Infos: berlinistkultur.de
Heute überreichten zudem die Initiator*innen des Deutschen Bühnenvereins – Landesverband Berlin die Petition „Berliner Kultur in der Haushaltskrise schützen“ mit über 100.000 Unterschriften an Kultursenator Joe Chialo (CDU) im Berliner Abgeordnetenhaus. Dieser wurde insbesondere für sein fehlendes Engagement für den Erhalt der Berliner Kulturlandschaft kritisiert. Nun erklärte er im Kulturausschuss am 25. November, dass noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen wurden und der Prozess noch nicht abgeschlossen sei.
Protest gegen Stefan Evers auf der Christmas Avenue
Mehrere queere Initiativen haben am Montagabend des 25. November auf der Eröffnung des queeren Weihnachtsmarktes Christmas Avenue gegen die Sparpläne des Berliner Senats protestiert. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sollte dort die Eröffnungsrede halten. Als Evers die Bühne betrat, wurde er mit Buhrufen und Sprechchören empfangen, schließlich wurde ein Transparent auf der Bühne entrollt, auf dem die Koalition von CDU und SPD aufgefordert wurde, die geplanten Kürzungen vor allem in der queeren Jugendarbeit zurückzunehmen. An den Protesten waren laut Tagesspiegel u. a. Vertreter*innen des Jugendnetzwerks Lambda beteiligt.
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Als anzeigenfinanziertes Stadtmagazin sind auch wir indirekt von den Haushaltskürzungen betroffen: Es ist damit zu rechnen, dass viele Kultureinrichtungen im nächsten Jahr ihr Werbe-Budget drastisch einkürzen müssen und sich die Berliner Sparpolitik auch auf unsere Medienpartnerschaften und Auslagestellen auswirken wird.
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