LGBTIQ* in den sozialen Medien

Hassrede und Desinformation auf Meta: „Seht euch vor, ihr Freaks!“

20. März 2025 Sören Kittel, Paula Balov
Bild: Ivan Kuleshov
Hassrede und Desinformation regieren Social Media in den USA

Seit dem Amtsantritt Donald Trumps ist Hassrede gegen marginalisierte Minderheiten auf den Meta-Plattformen nicht mehr untersagt. Trotz öffentlicher Empörung nutzen viele LGBTIQ* nach wie vor Instagram, Facebook und WhatsApp auf ihren Smartphones. SIEGESSÄULE sprach mit zwei Social-Media-Aussteiger*innen

Neulich hat Gabriel Yoran noch einmal in seinem Facebook-Datensatz gestöbert. Der 46-jährige Berliner nennt das, was er dann manchmal empfindet, einen „soften Grusel“. Er scrollt sich durch den Datensatz wie durch ein altes Fotoalbum. Er erinnert sich an alte Konzerte, Kinofilme und an einen alten Secret Crush aus den frühen 2010er-Jahren. Yoran hat sich seinen Datensatz bestellt, weil er die Plattform nach fast 20 Jahren verlassen hat. Grund dafür ist die Rede von Mark Zuckerberg vom 7. Januar, in der er ankündigte, die Regeln für Hassrede zu lockern. Seit diesem Jahr ist in den USA das Posten rassistischer, sexistischer und queerfeindlicher Inhalte wieder erlaubt. Homo- und Transsexualität dürfen dezidiert als „Geisteskrankheit“ oder „nicht normal“ bezeichnet werden. Als Beispiele für Sätze, die jetzt wieder erlaubt seien, führt der Facebook-Gründer selbst an: „Frauen sind verrückt“ oder „Trans Menschen gibt es nicht“.

Wo bleibt der Aufschrei?

Kurz darauf postet Yoran seinen Abschied. „Da man sich also bei Meta entschieden hat, mich und meinesgleichen dem Mob zum Fraß vorzuwerfen“, schreibt er, „lösche ich meine Meta-Accounts.“ Er werde nicht nur Facebook verlassen, auch Instagram und WhatsApp. „Ich weiß, dass diese Plattformen für viele Unternehmen und publizistisch tätige Menschen quasi kritische Infrastruktur sind, und ich urteile nicht über die, die auf diesen Plattformen bleiben.“ Für ihn sei aber jetzt Schluss. Im Gespräch mit SIEGESSÄULE wird er deutlicher: „Ich habe mich gewundert, dass es nicht höhere Wellen geschlagen hat.“ Die meisten Medien berichteten vor allem über den Wegfall der Faktenchecks. „Dabei steckt in der Änderung für Hassrede etwas wirklich Bösartiges.“

„Die Community-Guidelines lesen die wenigsten und noch weniger Leute verstehen sie.“

Auch Willow (32), Butch-Lesbe, Handwerker*in und Aktivist*in aus Berlin, hat vor Kurzem Facebook verlassen und vermisst den medialen Aufschrei. „Ich habe in meinen Bemühungen um Aufklärung bemerkt, dass es unglaublich schwer ist, gerade älteren Menschen klarzumachen, was das Problem ist“, berichtet sie SIEGESSÄULE. „Die Community-Guidelines lesen die wenigsten und noch weniger Leute verstehen sie.“ Die Medien hätten hingegen mehr Möglichkeiten gehabt, darüber aufzuklären und eine breitere Zielgruppe zu erreichen – eine verpasste Chance. Willow spielte schon länger mit dem Gedanken, Facebook zu verlassen, aufgrund der lästigen Werbung und weil sie findet, dass die Art, wie Meta Daten sammelt, nicht legal sein sollte. Auch das Nutzungserlebnis habe sich zunehmend verschlechtert: Der Algorithmus priorisiert Beiträge, die starke Emotionen wie Wut und Ekel auslösen oder massenkompatibel sind wie lustige Tiervideos. Dagegen hätten Posts über komplexe politische Themen keine Chance.

„Es geht schon lange nicht mehr um private Posts für Freund*innen, Facebook will virale öffentliche Posts, die möglichst viel kommentiert werden, weil sie damit mehr Geld machen.“

„Es geht schon lange nicht mehr um private Posts für Freund*innen, Facebook will virale öffentliche Posts, die möglichst viel kommentiert werden, weil sie damit mehr Geld machen“, bringt Willow auf den Punkt. Dennoch habe sie gezögert, Facebook zu verlassen, in erster Linie aufgrund der queeren Community, zu der sie dort Kontakt pflegte. „Die Änderungen der Community-Standards haben mir dann den letzten Ruck gegeben.“ Seither nutzt sie Bluesky und den Messengerdienst Telegram, eine beliebte WhatsApp-Alternative. Obwohl sie die Kritik an der Lockerung der Hate-Speech-Policy teilt, betont sie: „Meta war auch vorher nie auf unserer Seite.“ Dem Großunternehmen wird schon länger vorgeworfen, Transfeindlichkeit zu tolerieren, Zensur, Fake News und Propaganda zu begünstigen. Trotzdem bedeute die jüngste Änderung, „dass in Zukunft transfeindliche Menschen es einfacher haben werden, Hass zu verbreiten, und weniger Konsequenzen dafür erfahren werden“, sagt Willow.

Gabriel Yoran hat nicht den Eindruck, dass es einen Exodus von Meta-Plattformen gibt. Viele Menschen kündigen an, ihren Facebook Account zu löschen. Jedoch sind diese Meldungen nur zu sehen, weil diejenigen ihre Accounts eben noch nicht gelöscht haben. Zu viele Kontakte würden sie damit verlieren. Doch schon unter diesen Kommentaren sind erste Hassreden zu finden, zum Beispiel solche: „Seht euch vor, ihr Freaks!“

Zwei Fakten machen noch Hoffnung. Zum einen deuten die ersten Wochen mit den neuen Regelungen an, dass sie alles andere als einfach umzusetzen sind: Warum soll es verboten bleiben, einige Minderheiten zu beleidigen, aber trans* Menschen als „Freaks“ zu diffamieren oder sich als „stolzen Rassisten“ zu bezeichnen ist erlaubt? Zum anderen gelten in Europa Gesetze wie das NetzDG, dem die neuen Regelungen klar widersprechen. Die EU-Kommission konnte sich Ende Januar mit mehreren Plattformen einigen, dass mindestens zwei Drittel aller gemeldeten Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden überprüft und notfalls gelöscht werden müssen.

Den Skandal sichtbar machen

In seiner Rede hatte Mark Zuckerberg der EU noch Zensur vorgeworfen. Der Facebook-Gründer versteht unter Meinungsfreiheit, dass Leute, die schreien, andere zum Verstummen bringen dürfen. So beschreibt es der Berliner Medienjournalist Stefan Niggemeier in einem Beitrag auf uebermedien.de. Er schließt daraus, dass es gerade jetzt wichtig sei, „standhaft zu sein, sich nicht vertreiben zu lassen, zu widersprechen, dagegenzuhalten – sichtbar bleiben und werden.“

„Wortmeldungen von Leuten, die sich dort verabschieden, halte ich für einen wichtigen Beitrag, den Skandal sichtbar und bekannt zu machen.“

Willow ist anderer Meinung: „Die Community ist nicht Facebook oder Instagram.“ Anstatt sich von Großkonzernen abhängig zu machen, plädiert sie dafür, lokale und dezentrale Strukturen zu stärken. Auch Niggemeier räumt ein: „Wortmeldungen von Leuten, die sich dort verabschieden, halte ich nicht nur persönlich für nachvollziehbar, sondern auch für einen wichtigen Beitrag, den Skandal sichtbar und bekannt zu machen.“ Genau wie Yoran und Willow findet er, dass zu wenig darüber gesprochen werde. Aber er wünscht sich, dass viele Leute das Gegenteil tun. „Weil ihre Sichtbarkeit auch wichtig ist für andere, die suchen, hadern, sich allein oder eingeschüchtert fühlen.“

Gabriel Yoran ist erst mal raus. X hat er schon vor Monaten verlassen, Instagram und Facebook waren im Januar dran. „Der Endgegner ist sicherlich für viele WhatsApp“, sagt er. Da sei eben die Hausgemeinschaft oder die Kita Gruppe. „Die Kartellbehörden hätten den Kauf durch Meta eigentlich nie bestätigen dürfen“, sagt er. EU-Behörden sollten sich auch darum kümmern, dass es nicht rechtens sein darf, Menschen in einem sozialen Netzwerk einzusperren. Dann nämlich könnten Nutzer*innen ihr Netzwerk einfach mitnehmen – in eine andere Kneipe, zu anderen Ufern oder einfach: an einen besseren Ort.

Bild: Ivan Kuleshov
„Die Community ist nicht Facebook oder Instagram.“

Service: Alternatives Internet

Social-Media-Plattformen voller Hass, Werbung und KI-Müll, Messengerdienste mit fragwürdigem Datenschutz, Streamingdienste, die immer teurer – und gleichzeitig schlechter im Service und im Programm – werden und Künstler*innen ausbeuten. Was tun gegen die sogenannte Enshittification des Internets? Alternativen suchen ist ein Anfang: Hier ist unser Gegenprogramm zu Instagram, X, WhatsApp, Spotify, Netflix und Co.

BeReal.
Die App ist keine Alternative zu Instagram, eher das Gegenteil: Statt sein Leben zu beschönigen, bekommt man täglich zur beliebigen Uhrzeit zwei Minuten Zeit, um ein Foto zu machen. Beide Smartphone-Kameras werden aktiviert, sodass ein Doppelbild, inklusive Selfie, entsteht. Ein Spaß für alle, die nicht zu eitel sind!

Bluesky
Die von früheren Twitter-Entwicklern kreierte Social-Media-Plattform gilt als vielversprechende X-Alternative. Pluspunkte sind die dezentralisierte Struktur, mehr Datenkontrolle und kein aufgezwungener Algorithmus. Vom textfokussierten Posting bis zum blauen Design ist Bluesky wie Twitter in den besten Tagen.

Element
Anders als Telegram oder Signal ist der Matrix-Messenger Element komplett dezentralisiert: Der Login basiert nur auf der E-Mail-Adresse. Es empfiehlt sich, ein neues Konto anzulegen und auf Login per Apple-ID oder Google-Account zu verzichten. Das Wichtigste: Es werden keine Daten an Dritte übermittelt!

Dropout
Warum für Netflix zahlen, wenn man einen Indie-TV-Channel unterstützen kann? Der Streamingdienst aus L.A., betrieben von liebenswerten Nerds (früher „College Humor“), punktet mit Comedy-, Game- und Kochshows und etlichen queeren Formaten wie „Monét‘s Slumber Party“ oder „Dungeons & Drag Queens“.

Bandcamp
Die Musik-Plattform gilt noch immer als bewährte Alternative zu Spotify. Hier finden sich so viele Underground-Bands und Newcomer, wie das Herz begehrt. Man kann Musik streamen, digital kaufen, aber auch Platten, CDs und Merch erwerben. Ungefähr 80 Prozent der Einnahmen gehen an die Künstler*innen.

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