Harte Schule: Junge Queers auf dem Weg zum Job
Fernab der Heteronormativität zu leben ist eine Herausforderung – gerade für queere Jugendliche und junge Erwachsene auf dem prägenden Weg von der Schule in den Beruf. Mit welchen Problemen sie konfrontiert sind und welche Erfahrungen sie auf ihrem Bildungsweg machen, fragte SIEGESSÄULE u. a. das Projekt „qu:ib – queer im Beruf“ und junge Queers vom Theater X
Auch wenn die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTI* tendenziell zunimmt, ist für viele queere Jugendliche und jungen Erwachsenen der Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt noch erschwert. Den Support von LGBTI* während der Schul-, Ausbildungs- und Berufszeit hat sich deshalb das Spandauer Projekt „qu:ib – queer im Beruf“ auf die Fahnen geschrieben.
Unter der Trägerschaft der Trialog Jugendhilfe gGmbH, finanziert vom Bezirksamt Spandau, bieten Sozialarbeiter*innen seit einem halben Jahr in ihrem Bezirk Berufsorientierung für queere Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren an. Als deutschlandweit erstes und einziges Projekt in diesem Bereich berät das Team bei Fragen wie: Was habe ich für Möglichkeiten nach der Schule? Wie will ich meine trans* Identität in Beruf und Ausbildung thematisieren? Sie helfen aber auch mit bürokratischem Know-how, der Vermittlung an queerfreundliche Unternehmen und beraten bei Problemen in der Schule oder an der Arbeitsstelle.
Doppelter Stress
Als Teil der Leitung von qu:ib unterstreicht Jane Rieck die Notwendigkeit, queeren Jugendlichen Kraft und Support zu geben: „Ihnen fällt der Übergang von der Schule in Beruf und Ausbildung mitunter schwerer als anderen. Das hat damit zu tun, dass sie besondere Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen zu bewältigen haben. Zum Beispiel wenn mit dem inneren und äußeren Coming-out gekämpft werden muss oder das Elternhaus nicht genügend Akzeptanz und Rückhalt für den Umgang mit struktureller Diskriminierung geben kann oder will.“
„Ich habe gesehen, wie andere queere Schüler sowohl von Mitschüler*innen als auch vom Lehrpersonal massiv gemobbt worden sind.“
Sam, 27 Jahre alt und nicht binäre BIPoC-Person aus Berlin, erinnert sich an die Schulzeit: „In der Schule hatte ich Angst, mich mit meiner Sexualität und meiner Genderidentität auseinanderzusetzen. Ich habe gesehen, wie andere queere Schüler sowohl von Mitschüler*innen als auch vom Lehrpersonal massiv gemobbt worden sind. Und da ich mit meiner Hautfarbe bereits negativ aufgefallen bin, wollte ich keine zusätzliche Zielscheibe auf dem Rücken haben.“ Ein Kampf, der auch nach der Schule noch nicht vorbei war. Erst als Praktikant*in, dann als Sachbearbeiter*in war Sam für einen schwulen Anwalt tätig: „Er gewann die meisten Fälle, bekam aber nur wenige vom Richter zugewiesen, weil er schwul war. Sowohl Richter als auch Kollegen haben öfter negative bzw. homophobe Äußerungen gemacht und der Anwalt musste sich einfach viel mehr als seine Partner in der Kanzlei beweisen.“ Sam, damals noch ungeoutet, wurde es irgendwann zu viel: „Ich konnte dem Druck nicht mehr standhalten, wollte mein wahres Ich ausleben und habe gekündigt. Und siehe da – meine Panikattacken sind weniger geworden.“
Abhängigkeit von der Familie
Was Sam beschreibt, ist kein Einzelfall, sondern für viele junge Queers Alltag. Aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zur Lebenssituation von homosexuellen Jugendlichen aus dem Jahr 2018 geht hervor, dass die Hälfte der Befragten diskriminierende verbale Angriffe erlebt. Ein Drittel klagte über Ausgrenzung und jede*r Zehnte sogar über körperliche Gewalt.
Besonders schwierig wird es für sie, wenn der Support durch die eigene Familie wegfällt. Stuart B. Cameron, Gründer der LGBTI*-Berufsmesse Sticks and Stones, ist Experte in Sachen Förderung von LGBTI*-Personen und -Netzwerken. Er hebt die wirtschaftliche Abhängigkeit der Jugendlichen von der Herkunftsfamilie hervor: „Wenn die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität der Jugendlichen vonseiten der Eltern schlecht aufgenommen wird und es zu Problemen kommt, dann hat das Auswirkungen auf die Ausbildungschancen dieser LGBT+. Das Risiko, obdachlos zu werden etwa, ist für LGBT+-Jugendliche deutlich höher als für heterosexuelle Gleichaltrige.“ Die Zahlen sind schwindelerregend und schwanken hier je nach Studie zwischen einem zwei- bis vierfach erhöhten Risiko für queere Jugendliche, auf der Straße zu landen.
Brüche in der Biografie: Wie lässt sich das verhindern?
Und so kommt es auch vor, dass viele die Schule abbrechen. Zumal es in diesem Kontext oft keine Unterstützung bei queerfeindlichen Situationen gibt und sich Betroffene durch das Fernbleiben vom Unterricht diesen entziehen wollen, wie Jane Rieck von qu:ib erzählt. „Dadurch entstehen Brüche in der Bildungsbiografie, die in unserer Beratungsarbeit kreativ aufgegriffen werden.“
Dass es allerdings auch anders gehen kann, zeigen die Erfahrungen von Ismael, 18 Jahre alt und kurz vor dem Abitur stehend. Ismael beschreibt sich selbst als „irgendwas zwischen transmännlich und androgyn … oder beides oder gar nichts von beidem … das wird sich hoffentlich noch rausstellen”. Zusammen mit Sam engagiert sich Ismael beim Theater X in Moabit, in dem Perspektiven marginalisierter Jugendlicher im Zentrum stehen. Dort gibt es eine Sensibilität für die Probleme junger Queers und Unterstützung beim Prozess des Erwachsenwerdens. Ismael ist aber vor allem einer Lehrerin dankbar, die u. a. in einer Vielfalts-AG Ismaels Prozess der Identitätsfindung unterstützend begleitet hat. Aber auch die positiven Reaktionen von Mitschüler*innen waren wichtig. „Ein paar Mitschüler, mit denen ich eigentlich gar nichts zu tun hatte, kamen auf mich zu und haben nach meinem Pronomen gefragt oder mir gesagt, dass sie das voll mutig finden. Das hat mir echt Power gegeben.”
Transfeindliche Kommentare, die es auch gab, konnte Ismael so leichter ignorieren. Auf Initiative der Lehrerin und Ismael soll die Schule auch bald genderneutrale Toiletten bekommen.
„Es ist ein wichtiger Bestandteil, sich zu connecten, nicht nur für den eigenen Seelenfrieden, sondern auch für die Gesellschaft.”
Ismael ist dementsprechend mit der Berufsberatung und dem -coaching an der Schule zufrieden. Sam hätte sich über eine Berufsberatung wie qu:ib allerdings gefreut: „Es hört sich so an, als würde dieses Angebot zu mehr Sichtbarkeit führen, dieses Alleinsein-Gefühl würde schwinden. Man weiß dann, es gibt mehr Leute wie mich. Es ist ein wichtiger Bestandteil, sich zu connecten, nicht nur für den eigenen Seelenfrieden, sondern auch für die Gesellschaft. Das führt zu Normalität.“ Inzwischen studiert Sam Kulturwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und meint: „Die Dozent*innen und Kommiliton*innen gehen sensibel mit dem Thema um. Sie sind sehr bedacht, die richtigen Pronomen zu benutzen, checken meist ihre Privilegien und sind gewillt, sich in dem Thema weiterzubilden.“
Das durch die Corona-Krise bisher noch wenig frequentierte qu:ib-Projekt ist zurzeit leider auf Jugendliche aus Spandau begrenzt. „Die Idee ist aber, dass wir Impulsgeber*in sind, sodass in anderen Berliner Bezirken oder auch deutschlandweit ähnliche Projekte initiiert werden”, hofft Jane Rieck.
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