Goodbye to Berlin: The Irrepressibles im Interview
Das britische Musikprojekt The Irrepressibles um Mastermind Jamie Irrepressible vollzog in den letzten zehn Jahren einen musikalischen Wandel vom barocken Kammerpop hin zu einem elektronisch-experimentellen Sound. Das nun erschienene dritte Album „Superheroes“, das Jamie zum Großteil in Berlin schrieb, ist der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung. Wir baten ihn zum Interview
Jamie, es hat acht Jahre gedauert, bis nun endlich das neue Irrepressibles-Album erscheint. Eine lange Zeit. Ich habe ja in der Zwischenzeit einiges veröffentlicht. Drei „Nudes“-EPs in 2014, jede in einem anderen musikalischen Genre, mit denen ich viel auf Tour war. Dann hab ich ein Album mit Röyksopp gemacht, mit dem wir auch live unterwegs waren, plus eine Zusammenarbeit mit ionnalee von iamamiwhoami. Aber, ja, die Platte brauchte eine ganze Weile, bis sie fertig war.
Ich erinnere mich, dass du bereits über sie gesprochen hast, als du noch hier in Berlin gelebt hast. Warum hast du die Stadt 2016 verlassen? Dafür gab es ein paar Gründe. Einer war, dass eine für mich sehr wichtige Beziehung zerbrach. Wenn man wegen der Liebe in eine andere Stadt zieht und die Beziehung dann zu Ende geht, bleibt ihr Geist überall in dieser Stadt. Ich musste also weg aus Berlin. Der andere Grund war, dass ich gerne wieder näher bei meiner Familie sein wollte. Deshalb zog ich zurück nach Nordengland.
Du bist mitten in den großen Brexit-Debatten zurück nach Großbritannien gegangen. Wie nimmst du die politische Richtung wahr, die das Land gerade nimmt? UK ist ein ziemliches Durcheinander. Wir haben eine rechte Regierung, angeführt von einem Rassisten, es gibt eine Akzeptanz für rechte Positionen und xenophobe Ansichten, auch in den britischen Medien. Diesen krassen Ansichten, die eigentlich von einer Minderheit ausgehen, wurde eine riesige Plattform gegeben, und sie mutierten so zu einem Monster. Die Black-Rights-Bewegung hilft gerade sehr dabei, diese Dinge zu hinterfragen. Wir sind an einem Punkt des möglichen Wandels. Die britische Gesellschaft beginnt, white supremacy zu hinterfragen, befasst sich mit ihrem Rassismus der Vergangenheit und der Gegenwart. Außerdem haben wir einen kraftvollen linksliberalen Oppositionsführer. Ich bin hoffnungsvoll.
Um zur Musik zu kommen: Dein neues Album ist ein Fantasy-Konzeptalbum über eine schwule Liebe in Berlin. Im Endeffekt eine sehr persönliche Geschichte, die deinem Leben sehr nahe ist. Warum hast du die Story in einen Fantasiekontext verlegt? Wolltest du verschleiern, wie nah dir die Songs eigentlich sind? Nein. Bei dieser „Fantasy-Welt“ geht es um etwas anderes. Als LGBTI*-Menschen haben wir viele Traumata, die wir in unserem Leben angesammelt haben. Oft gibt es keine Orte des Trostes oder Role Models, also flüchten wir in eine Fantasiewelt. Wenn zwei LGBTI*-Personen sich verlieben, ist diese Fantasiewelt also in beiden vorhanden. Es geht darum, sich an diesem Ort zu treffen und jeweils das innere Kind des anderen kennenzulernen. Mein Exfreund und ich entdeckten unsere gemeinsame Liebe zu Michael Endes „Unendlicher Geschichte“. (lacht) Diese Gemeinsamkeit wurde zu einer Art Startpunkt für das Album.
Magst du auch den Film? Ja. Ich liebe ihn! Er ist so tiefsinnig und voller Bedeutung. Ich leide an Depressionen und Angststörungen und der Film behandelt Elemente davon. Er war ein großer Einfluss auf die Platte. Mit dem Album wollte ich eine Klanglandschaft erschaffen, die zu der Welt des Films passt, der visuell sehr von 70er-Jahre-Prog inspiriert ist, und sie mit meinen Eindrücken von Berlin verbinden. So gibt es Jazz-Elemente, Hip-Hop, Elemente von Krautrock und früher Electronica auf der Platte.
Der Titel der Platte ist „Superheroes“. Das steht ein bisschen im Gegensatz zu den Texten, die dich eher verwundbar zeigen. Warum hast du dich für diesen Titel entschieden? Beim Titel der Platte geht es um Empowerment für LGBTI*-Personen. Wir wachsen oft ohne Vorbilder in unserem unmittelbaren Umfeld auf, sind eine unterdrückte Gruppe, Außenseiter. Es geht um die Idee, dass wir uns gegenseitig Vorbilder und Held*innen sind und dass wir, wenn wir uns verlieben, jeweils zum Superhero des anderen werden. Meine Partner waren schon immer meine Vorbilder. Der Titel bezieht sich auch auf Bowies „,Heroes‘“ – ein Song, der mit der Idee einer verbotenen Liebe im Schatten der Mauer spielt. Mein Ex und ich überquerten fast täglich die Brücke zwischen Ost- und Westberlin. Als uns die Nachricht von der Öffnung der Ehe in den USA erreichte, küssten wir uns auf dieser Brücke. Der Titel bringt für mich auf verschiedenen Ebenen Vergangenheit und Zukunft zusammen.
Es ist zwar ein Klischee, aber auch musikalisch scheint die Platte Einflüsse Berlins zu tragen: Sie ist eher düster, elektronisch und manchmal sehr experimentell. Würdest du dem zustimmen? Total. Die zwei größten Einflüsse auf meine Kunst sind mein Wohnort und mein Partner zu der jeweiligen Zeit. Auf der neuen Platte geht es entsprechend um Berlin und die Person, in die ich dort verliebt war. Ich erschuf das Album, während ich verliebt war, und ich musste es fertigstellen, als die Beziehung vorbei war. Da schloss sich ein Kreis.
War das hart für dich? Es war sehr schwer, ja.
Aber am Ende hast du mit dieser Platte eine Zeitkapsel erschaffen. Ganz genau das ist sie! Ich bin stark, aber ich bin auch sehr verwundbar und emotional. Ich musste also eine Zeitkapsel erschaffen, um diese Phase meines Lebens loslassen zu können. Die Songs behandeln auf eine persönliche Art viele Aspekte homosexueller Erfahrung von Leben und Liebe – von Ekstase bis Verlust. Ich hoffe, die Leute können dazu eine Verbindung aufbauen. Ich wollte mit meiner Musik immer schon unsere Geschichten erzählen. Ich tue das zwar von meinem schwulen, cis männlichen Standpunkt aus, aber ich bin froh, Teil einer heute sehr kraftvollen und vielfältigen Gruppe von LGBTI*-Stimmen in der Musik zu sein. Es ist eine aufregende Zeit für unsere Bewegung.
Der Song „Dominance“ klingt ein bisschen wie ‘ne kinky Party im Berghain. Für viele Queers ist ja Berlin ein Ort der sexuellen Befreiung. Hattest du selbst Berührungen mit diesen Seiten der Stadt? Ich hab die meiste Zeit meines Lebens in London gelebt, habe also alles schon mal gesehen. Ha! Aber manches in Berlin ist ein bisschen zu wild für mich. (lacht) Ich wollte, dass der Song irgendwie kerlig klingt. Einer der größten Einflüsse auf den Track ist Tom of Finland. Aber auch Nine Inch Nails, The Knife und Einstürzende Neubauten. Als ich noch in Berlin lebte, hab ich mit meinem Exfreund in all den einschlägigen schwulen Orten geflyert. Ich habe dabei viel gesehen, besonders was die diversen Fetischkulturen betrifft. Das hat mich auch beeinflusst. Aber „Dominance“ ist weniger klinisch, sondern handelt vielmehr vom impulsiven schwulen Wunsch danach, einen anderen Mann zu dominieren.
Leider sind wir schon am Ende des Gesprächs. Klassische letzte Frage, die gerade im Moment etwas obsolet klingt: Wird es Liveshows mit der Platte geben? Ja, natürlich. Für mich ist die Priorität allerdings immer, Musik zu machen. Und wenn Menschen zu meinen Songs eine Verbindung aufbauen können, habe ich quasi schon gewonnen. Das ist der Grund, warum ich das alles mache. Das Projekt war nie ein Ego-Ding für mich. Auch wenn ich mich früher für die Bühne sehr stark aufgetakelt habe. Das entstand mehr aus einer „Warum nicht?“-Haltung heraus. Ich bekam übrigens erst mal keinen Plattenvertrag, weil ich so aufgedonnert war. Da kamen Leute von den Plattenfirmen zu meinen Konzerten und dachten nur: „What the fuck is he wearing?“ (lacht) Mir war das scheißegal. Irgendwann habe ich mich dann verändert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich auf der Bühne jemanden darstellte, der ich nicht wirklich bin. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin etwas nervös gerade, ob den Leuten die Platte gefällt, und bin froh, dass die Vorab-Singles schon mal gut angekommen sind. Im kommenden Jahr werden wir auf jeden Fall in Deutschland ein paar Konzerte geben. Aber im Geiste bin ich ohnehin schon beim vierten Album, das wir gerade vorbereiten.
The Irrepressibles: Superheroes
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