Gewalt gegen trans Mann: „Vielleicht sollten wir dich gleich erschießen“
Seit der Präsidentschaftswahl im August 2020 gehen hundertausende Menschen in Belarus auf die Straße. Sie protestieren gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko, werfen ihm Wahlbetrug vor und kämpfen für Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten. Die Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Demonstrant*innen vor: Zehntausende wurden verhaftet, viele gefoltert, einige sogar getötet. Queere Menschen waren von Anfang an Teil der Proteste und organisierten einen eigenen Block. Einer von ihnen ist der LGBTI*-Aktivist, Journalist und Musiker Zhenya. Er wurde im September diesen Jahres in Minsk verhaftet und nach drei Tagen wieder entlassen. SIEGESSÄULE sprach mit ihm über seine Haft und die Gewalt, die er dabei als trans Mann erlebt hat.
Zhenya, wie geht es dir, seitdem du aus der Haft entlassen wurdest? Miserabel. Ich versuche einfach, durchzukommen.
Wie kam es genau zu der Verhaftung? Ich wurde am 26. September verhaftet, als ich zum queeren Block des Frauenmarsches gehen wollte. Es passierte in der Minsker Innenstadt. Auf einmal kamen Leute in Uniformen und packten mich an den Armen. Sie brachten mich in einen Transporter, ein ziviles Fahrzeug ohne Kennzeichen. Ich war allein.
„Sie haben gelacht und mir erniedrigende Fragen gestellt."
Du bist queer und trans. Hast du aufgrund dessen besondere Gewalt erlebt? Zunächst haben die Securities mich als Frau verhaftet, weil sie mich so gelesen haben. Als sie meinen Ausweis überprüften, haben sie gelacht und mir erniedrigende Fragen gestellt. In meiner Tasche fanden sie dann die Regenbogenflagge und sagten: „Jetzt wissen wir, was für ein Mann du bist”. Sie filmten mich. Auf der Wache im Akrestina-Gefängnis sagten sie, solche Männer wie ich seien in diesem Land nicht erwünscht.
Das Akrestina-Gefängnis ist bekannt für Gewalt und Folter. Ja, aber sie haben mich nachts nach Zhodina ins Gefängnis gebracht. Wir saßen zu dritt in einer winzigen Box in einem Transporter, zwei andere Männer und ich. Die Box war nur einen Meter breit und anderthalb Meter hoch.
„Sie drohten mir auch mit sexueller Gewalt."
Wie wurdest du im Gefängnis in Zhodina behandelt? Bei der Ankunft im Gefängnis mussten wir uns alle vor einer Wand aufstellen. Die Sicherheitskräfte zeigten auf mich und sagten allen, was für eine schrecklich Person ich sei. Den genauen Wortlaut, den sie dabei benutzten, will ich nicht wiedergeben. Dann kamen die Inspektionen. Ich wurde gesondert inspiziert, die Tür des Zimmers war offen, Leute kamen rein. Sie haben mich gezwungen, mich auszuziehen und unaufhörlich meinen Körper kommentiert. Ich musste ewig lang gerade stehen, ohne mich zu bewegen. Ich weiß nicht wie lange, mindestens 40 Minuten. Ich wurde pausenlos lächerlich gemacht. Sie drohten mir auch mit sexueller Gewalt. Dann sagten sie: „Oder vielleicht sollten wir dich gleich in den Hof bringen und erschießen.”
Warst du allein in der Zelle? Ich war in einer eiskalten Einzelzelle und hatte nur einen dünnen Pulli an. Wir durften tagsüber nicht schlafen, nicht auf dem Bett liegen. Meinen Mantel habe ich nicht bekommen, nicht mal die Zahnbürste, die meine Mutter mir ins Gefängnis gebracht hat. Man sagte mir: „Wenn du ein normaler Mann sein willst, dann zeig mal deine Männlichkeit.” Ich habe gelernt, immer mal zehn Minuten zu schlafen. Sobald ich Schritte gehört habe, stand ich kerzengerade im Zimmer.
„Ich will zeigen, dass queere Menschen Teil der Proteste sind."
Wie waren die Tage und Wochen nach der Entlassung? Ich bin so ausgezehrt. Das einzige, was ich tun kann, ist, mit Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen zu sprechen. Ich weiß, dass mich das in Gefahr bringt. Ich habe Angst aus dem Haus zu gehen. Eine Freundin wurde verhaftet, als sie die Tür öffnete, um eine Pizzabestellung entgegenzunehmen.
Was bringt dich dazu weiterzumachen? Ich fühle mich oft schuldig, meine Geschichte zu erzählen, weil andere Schrecklicheres erlebt haben. Aber ich will zeigen, dass queere Menschen Teil der Proteste sind und eine spezifische Form von Gewalt erfahren. Es ist ohnehin schwer in Belarus, auf die Gewalt gegen Queers aufmerksam zu machen. Und zur Zeit werden unsere Geschichten komplett verschwiegen.
Interview: Muri Darida
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