Generation PrEP: Umgang mit HIV und Safer Sex
Seit fast einem Jahrzehnt gibt es schon die PrEP, die vor allem in der schwulen Community als Meilenstein sexueller Selbstbestimmung gilt. Wie hat sie das (Safer) Sexverhalten junger Menschen verändert und wie geht die neue „Generation PrEP“ mit Versorgungsengpässen um?
In Europa benutzen seit 2014 deutlich weniger Jugendliche Kondome, heißt es in einer Pressemitteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 29. August 2024. Konkret heißt das: Bei männlichen Jugendlichen sank der Kondomgebrauch von 70 (2014) auf 61 Prozent (2022), bei weiblichen Jugendlichen im selben Zeitraum von 63 auf 57 Prozent. Diese Entwicklung setze junge Menschen einem erheblichen Risiko für sexuell übertragbare Infektionen und ungewollte Schwangerschaften aus und weise auf „erhebliche Lücken“ in der Sexualaufklärung sowie beim Zugang zu Verhütungsmethoden hin. „Eine altersgerechte, umfassende Sexualaufklärung wird in vielen Ländern nach wie vor vernachlässigt“, erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge. „Dort, wo sie angeboten wird, gerät sie zunehmend unter die falsche Prämisse, dass sie zu sexuellem Verhalten ermutigt.“ In Wahrheit führe die Aufklärung junger Menschen mit dem richtigen Wissen zur richtigen Zeit jedoch zu verantwortungsbewussten Entscheidungen. Spiegeln diese Zahlen wider, wie sich Safer-Sex-Praktiken bei männlich sozialisierten, jungen queeren Menschen in Berlin verändert haben?
Dabei ist zu bedenken, dass es sich hier um junge queere Erwachsene in einer Großstadt handelt und die Bedingungen daher anders sind als in dem WHO-Bericht. Zum einen hat die WHO Safer Sex bei Teenagern unabhängig von der sexuellen Identität untersucht. Zum anderen bietet Safer Sex 3.0 für junge Queers mit der PrEP und Schutz durch Therapie Möglichkeiten, auch ohne Kondome sichereren Sex zu haben. Diese Methoden schützen vor HIV-Übertragungen und gelten deshalb unter anderem laut der Deutschen Aidshilfe als Safer Sex. Diese Unterscheidung ist wichtig, da erstens Schwangerschaften für viele männlich sozialisierten Queers kein Risiko darstellen, zweitens STI auch mit Kondom übertragen werden können, sodass Kondome allein ohne regelmäßige Tests keine zuverlässige Schutzmethode sind, und drittens eine HIV-Infektion als nicht heilbar gilt – weshalb viele ihre Safer-Sex-Maßnahmen auf die Prävention einer HIV-Infektion fokussieren. „Mir ist bewusst, dass es auch noch andere Geschlechtskrankheiten gibt“, erklärt Yan (20), der 2024 von Luxemburg nach Berlin zog. „Aber die PrEP hat mich von der Angst vor HIV befreit.“
Emanzipation schwuler Sexualität
Yan kombiniert die PrEP gelegentlich mit Kondomen, dennoch ist die Einnahme für ihn so wichtig, dass er auf Sex verzichtet, wenn er sie einmal vergessen hat. Der PrEP wird oft nachgesagt, schwule Sexualität emanzipiert zu haben und von der jahrzehntelangen Angst der Aids-Krise zu befreien. „Durch die PrEP verschwand das Damoklesschwert des HI-Virus“, meint die Internistin Heike Gillmann. „Sie war für viele schwule Männer eine sexuelle Revolution, eine Befreiung – ähnlich wie die Anti-Baby-Pille damals für viele Frauen.“
„Sie war für viele schwule Männer eine sexuelle Revolution, eine Befreiung – ähnlich wie die Anti-Baby-Pille damals für viele Frauen.“
Sie betont: „Ich will hier natürlich nicht mögliche Schwangerschaften mit dem HIV-Risiko vergleichen. Aber Sex ohne Sorge und Schuldgefühl ist eben nicht nur gut für den Sex, sondern für das gesamte Wohlbefinden.“ Dass diese Befreiung selbst jüngere Generationen betrifft, die die 80er- und 90er-Jahre der Aids Krise nicht miterlebt haben, zeigt, wie tief HIV und Aids noch immer die Psyche schwuler, bisexueller und queerer Sexualität prägen. Auch Ali (Name geändert, 26) nutzte früher die PrEP. Ursprünglich aus Pakistan, lebt er seit 10 Jahren in Deutschland. Seit dem PrEP-Engpass Anfang 2024 verlässt er sich jedoch fast ausschließlich auf Kondome. „Es war unglaublich schwierig, einen Termin und anschließend die PrEP zu bekommen. Ich arbeite viel und es war zeitlich nicht machbar.“ Laut Heike Gillmann, die in einer infektiologischen Praxis im Nollendorfkiez arbeitet, ist der Gebrauch von Kondomen allerdings stark zurückgegangen.“ 75 bis 80 Prozent ihrer Patient*innen gehören zur queeren Community. „Wir haben hier in der Praxis Schöneberg ein Gefäß mit Kondomen. Heute nimmt kaum jemand eins heraus.“ Doch das heißt nicht, dass sich weniger Menschen schützen: „Gerade junge queere Männer sind gut aufgeklärt, besonders über die PrEP. Selbst wer vom Land in die Großstadt zieht und dann zu uns kommt, zeigt oft durch gezielte Fragen ein überdurchschnittliches Wissen.” Häufig fragen die Patient*innen dann nach den Risiken anderer STI. „Ich finde es wichtig, dass jeder drei Dinge versteht“, sagt Gillmann. „Erstens: Die PrEP schützt nur vor einer HIV-Infektion. Man kann sich zum Beispiel bei oralem Sex mit einer STI infizieren, da dort meist auf Kondome verzichtet wird. Aber eine realistische Risikoabwägung ohne Panik ist angebracht, denn zweitens: Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die meisten STI-Infektionen in der Regel gut behandeln und heilen. Drittens: Bei Symptomen oder entsprechenden Hinweisen von Sexualkontakten sollte man sich testen lassen.“ Gillmann fragt außerdem nach, ob die Patient*innen gegen Hepatitis A und B geimpft sind und führt neben regelmäßigen STI-Tests auch Impfungen durch.
„Mir fällt auch auf, dass man in der queeren Community oft mehr aufeinander achtet.“
„Mir fällt auch auf, dass man in der queeren Community oft mehr aufeinander achtet“, kommentiert sie. So informieren viele ihre letzten Sexualpartner*innen, wenn sie eine STI-Diagnose erhalten. Trotzdem betont Gillmann, dass nicht nur queere Männer die PrEP nehmen. Es gibt durchaus auch Frauen, für die die PrEP als Schutz vor HIV infrage kommt.
Fehlende Aufklärung in der Gesamtbevölkerung
Das Aufklärungsniveau in der queeren Community sei ihrer Erfahrung nach höher als in der allgemeinen Bevölkerung. „Bei manchen heterosexuellen Patient*innen bin ich erstaunt, wie gering das Bewusstsein für sexuell übertragbare Infektionen ist“, sagt Gillmann. „Es kam schon vor, dass ein junger Mann zu mir in die Praxis kam und erzählte, dass er im Urlaub Sex mit einer Frau hatte und meinte, sie hätte aber ganz ‚gesund ausgesehen‘, weswegen sie kein Kondom benutzt hätten.
Ali erinnert sich, dass es in der Schule kaum sexuelle Aufklärung gab. „Was man lernt, kommt von Freund*innen oder dem Internet. Wer Biologie in der Schule belegt, lernt noch etwas über menschliche Fortpflanzung und Verhütung. Ohne Biologieunterricht fehlt selbst dieses Basiswissen.“ Yan hatte hingegen in Luxemburg bereits in der sechsten Klasse erste Sexualaufklärung. In der achten Klasse gab es noch mal die Basics, inklusive des Klassikers: Kondome über Bananen ziehen. Darüber hinaus erhielt er in der Schule keine tiefer gehende Aufklärung. Einige seiner Freund*innen hatten jedoch in der zwölften Klasse umfassendere Workshops, die von externen Pädagog*innen geleitet wurden. „Sie erhielten ausführliche Informationen über HIV und Aids.“
In Pakistan sind Kondome in Apotheken und Drogerien erhältlich, erzählt Ali. Allerdings muss man meist an der Kasse danach fragen. Werbung für Kondome zielt meist auf Schwangerschaftsverhütung ab, weniger auf den Schutz vor HIV oder STIs. „Erst in Deutschland lernte ich, welche Rolle Kondome beim Schutz vor HIV und STI spielen.“ Auch Yan musste in Luxemburg jemanden direkt um Kondome bitten. „Ich lebte im Internat und verstand mich gut mit den Pädagog*innen. Ich empfand keine Scham, sie um Kondome zu bitten, und mir wurden auch nie unangemessene Fragen gestellt. Ich weiß aber, dass es vielen unangenehm sein kann.“ In Luxemburg gibt es Organisationen, die Kondome verteilen, und Kondomautomaten an vielen Schulen – „auch wenn sie oft nicht funktionieren“, so Yan. In Berlin komme man laut Yan wesentlich leichter an Kondome. Allerdings fügt Ali hinzu: „Ich würde mir wünschen, dass der Zugang zur PrEP einfacher wird.“
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