Rave-Demo „A100 wegbassen“: Gegen das queere Clubsterben
Berlin preist sich als kulturelle Hauptstadt Europas, doch queere Kulturräume sind akut bedroht: von Gentrifizierung und neoliberalem Ausverkauf der Stadt zu der um sich greifenden Verarmung. Das Clubsterben und damit verbundene Verschwinden queerer Spaces zieht sich durch Berlin, mitunter Schuld ist die geplante Autobahn A100, gegen die es am 13.09. eine Rave-Demo gibt – SIEGESSÄULE-Autorin Jara Nassar kommentiert
Die queere Szene in Berlin ist überdurchschnittlich international, Schwarz, Indigen und von nicht-europäischem Hintergrund und somit auch überdurchschnittlich von grassierender Polizeigewalt, der rassistisch aufgepeitschten Migrationsdebatte und der Normalisierung rechter Ideologien betroffen. All dies spielt sich bereits im Alltag ab, während eine weitere Bedrohung bald ganz konkret über queere Räume schwappen könnte: die Asphaltwelle namens A100.
Doch betroffene Gruppen lassen sich die Zerstörung wichtiger Kulturräume für eine klima- und menschenungerechte Verkehrsplanung nicht kampflos gefallen. Diesen Freitag, den 13. September, findet zum dritten Mal die Demo „A100 Wegbassen“ statt, organisiert von einem breiten Bündnis aus Clubs, Klimaaktivist*innen und sozialen Organisationen wie der Bürgerinitiative A100.
Der Hintergrund der A100
Die A100 wurde in den Nachkriegsjahren als Fiebertraum deutscher Automobilenthusiasten entworfen. Siebzig Jahre später will zum Glück niemand mehr mitten durch den Weddinger Sprengelkiez oder das Tempelhofer Feld eine Autobahn bauen, doch der Ausbau der Ringautobahn wird trotz breiten Widerstandes weitergeführt.
Wenn die A100 wie geplant im Teilabschnitt 16 und 17 bis zur Storkower Straße ausgebaut wird, frisst sie dabei Grünflächen, Teile einer Schule für Menschen mit körperlichen Behinderungen, Fahrradwege, eine Notübernachtung für Wohnungslose, Wohnhäuser und Kleingärten. Aber nicht nur das, es bedeutet auch das Aus für sechs Clubs: Wilde Renate, Oxi, Else, Void, about blank, und Club Ost. Für weitere Bars und Kultureinrichtungen würde der Ausbau der Autobahn gravierende Folgen haben und deren Zukunft in Frage stellen – darunter das Kulturzentrum Villa Kuriosum und die Jugendzentren Linse und Elok.
Zudem wird mit dem Ausbau das Verkehrsproblem, welches angeblich versucht wird zu lösen, nur verschlimmert. Es ist lang empirisch bewiesen, dass mehr Autostraßen mehr Autoverkehr schaffen. Dieses Phänomen ist bekannt als generierte Nachfrage: wird mehr von einem Gut geschaffen, wird mehr davon konsumiert. Werden also mehr Autostraßen gebaut, nehmen mehr Menschen das Auto, da es einfacher, zeitsparender, und bequemer erscheint. Baut man hingegen mehr Fahrradwege und öffentlichen Nahverkehr, benutzen mehr Menschen die klima- und kinderfreundlicheren Fahrzeuge.
Dieser Umschwung, weg vom motorisierten Individualverkehr und hin zum öffentlichen Nahverkehr, ist angesichts der Klimakatastrophe dringend notwendig. Eigentlich könnte Berlin als eine Art Vorbild gesehen werden, da Berlin schon heute im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten die niedrigste Autorate umgerechnet auf die Bevölkerung hat. Doch anstatt öffentlichen Nahverkehr weiter auszubauen setzen Stadt und Land lieber auf den Klimakiller Auto.
Aussterben queerer Spaces
Für queere Menschen bedeuten Clubs und selbstverwaltete Kulturorte mehr als Party: Sie sind ein Ort der Selbstentwicklung und -entfaltung, sowie für viele ein Arbeitsplatz. Die Lohnarbeit im Nachtleben ist zwar chronisch unterbezahlt, doch bietet sie für viele Menschen den Einstieg in die Berliner Kulturszene. Und wenn diese Orte aufgrund von Unterfinanzierung schließen müssen, sind besonders mehrfachdiskriminierte und internationale, queere Menschen betroffen.
„Wir sind uns bewusst, dass ein inklusives Nachtleben bereits oft schon am Eintrittspreis scheitert,“ schreibt Jessica von der Wilden Renate gegenüber SIEGESSÄULE. Der Club befindet sich in einem ehemaligen Mietshaus und wurde gerade mal vor einer Woche im Rahmen des „Tag der Clubkultur“ neben anderen Kulturstätten für ihren Beitrag und Engagement in der Clubszene ausgezeichnet. Doch Ende 2025 muss die Renate das Gebäude räumen, da der Mietpreis nicht mehr zu tragen ist. Die Zukunft ist ungewiss.
„Das Clubsterben in Berlin erreicht wieder neue Dimensionen.“
In den letzten Jahren mussten schon mehrere Berliner Clubs ihre Türen schließen. Zwei Drittel der verbliebenen Kulturstetten schätzen ihre wirtschaftliche Entwicklung für das nächste Jahr schlecht bis sehr schlecht. Dieser Mangel an Geld schafft Unsicherheit und verhindert notwendige Investitionen, zum Beispiel in Umbau und Sanierung. Die Clubcommission schlägt Alarm: „Das Clubsterben in Berlin erreicht wieder neue Dimensionen.“
Diese Probleme nagen nicht erst seit dem Einbruch der Clubkultur während der Coronapandemie an Kunstschaffenden und Institutionen: Eine chronische Unterfinanzierung und eine Politik, die auf einzelne Leuchtturmprojekte fokussiert ist, anstatt die breite Basis zu stärken, sind die Hautprobleme.
Der Kultursenator Joe Chialo ist Teil des Problems. Er sorgt trotz seiner kurzen Amtszeit schon für großes Aufsehen: dem migrantisch-queeren Kulturzentrum Oyoun entzieht er trotz interner Warnungen aus den eigenen Reihen die Fördermittel – basierend auf fragwürdigen Antisemitismusvorwürfen. An der Neuausschreibung des Kulturstandorts sieht man wo die Prioritäten Chialos liegen: Das Konzept, nachdem der Senat sucht, ist dem Oyoun erstaunlich ähnlich ist. Der größte Unterschied? Es fehlt der queere Aspekt.
Über 95 Prozent der kulturellen Förderung Berlins geht an nur 70 dauerhaft institutionell geförderte Häuser. Die freie Szene, in der sich die meisten queeren Künstler*innen bewegen, muss sich mit den übrigen 5 Prozent begnügen. In den meisten Fällen ist diese Förderung projektbasiert. Das bedeutet, dass Künstler*innen viel Zeit mit Bewerbungen und Abrechnungen verbringen müssen und dabei keine Planungssicherheit haben, die ihnen erlauben würde, längerfristige Lebensentscheidungen zu treffen.
Demonstrieren für die Berliner Club- und Kulturszene
Zum dritten Mal organisiert das zivilgesellschaftliche Bündnis aus Klimaaktivist:innen, stadtpolitischen Initiativen und Menschen aus der Berliner Club- und Kulturszene die Rave-Demo gegen den Ausbau der A100. Zudem gibt es eine Fahrradzubringerdemo, die von der queerfeministischen Gruppe Queermany organisiert wird. In ihrer Pressemitteilung schreiben sie: „Subkulturelle Orte, die ursprünglich Treiber für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Innovationen waren, sterben aus.“
„Der Kampf gegen den Autobahnausbau ist Teil eines Widerstands gegen sozialkalte Politik, die Klimakrise als auch Faschismus nährt.“
Gegenüber SIEGESSÄULE ergänzt Penelope Frank, Mitgründerin und Sprecherin von Queermany: „Der Kampf gegen den Autobahnausbau ist für uns Teil eines größeren Widerstands gegen sozialkalte Politik, die sowohl die Klimakrise als auch den Faschismus nährt.“
Es ist klar: für die queere Szene Berlins sowie für unser aller Zukunft wäre es besser, der Ausbau der A100 würde sofort gestoppt und das Geld stattdessen in einen sozialen und klimagerechten Umbau gesteckt werden. Wer sich dafür engagieren möchte, dem sei die Demonstration und ihre Organisator*innen ans Herz gelegt.
„A100 Wegbassen“ Rave-Demo
13.09., 17:00–21:00
Markgrafendamm, Nähe Ostkreuz
instagram.com/a100wegbassen
Zubringerraddemo
mit queerfeministischem Mobilitätsblock
15:00–17:30
Bundesverkehrsministerium, Invalidenpark
instagram.com/queermany
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