Interview mit queer.de

Gefahr für die Pressefreiheit? Queere Medien in Bedrängnis

6. Jan. 2020 Dirk Ludigs
Micha Schulze, Geschäftsführer von Queer.de

Das Nachrichtenportal Queer.de wurde letztes Jahr mit Abmahnungen überhäuft. Diese dienen oft der Einschüchterung. Ein Gespräch mit Micha Schulze, Geschäftsführer von Queer.de

Gerade rechtspopulistischen und queerfeindlichen Parteien und Institutionen sind LGBTI*-Medien ein Dorn im Auge. Im letzten Jahr sah sich zum Beispiel das Nachrichtenportal Queer.de einer zunehmenden Welle von Abmahnungen und Klagen gegenüber. Über diesen Weg wird u. a. versucht Einfluss auf eine kritische Berichterstattung zu nehmen bzw. sie ganz zu verhindern. SIEGESSÄULE-Autor Dirk Ludigs sprach mit Micha Schulze, Geschäftsführer von Queer.de, über einige der Fälle und den aktuellen Stand der Entwicklungen

2019 war für Queer.de das Jahr der Abmahnungen und Rechtsstreite. Kannst du uns auf den aktuellen Stand der Dinge bringen? Im letzten Jahr hatten wir 13 Abmahnungen, also mehr als eine pro Monat. Oft sind das kleine Geschichten, aber manchmal wird auch großer Rechtsstreit daraus, wie im Fall „Teenstar“.

Was war da vorgefallen? Wir hatten wahrheitsgemäß über eine Presseerklärung des LSVD Sachsen berichtet, der zu Recht vor „Teenstar“ gewarnt hatte, weil der Einsatz eines Vereins, der nach eigenen Aussagen Homosexualität für „tendenziell heilbar“ hält, in Schulen schlicht gefährlich ist. Das sehen der LSVD-Bundesverband, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und auch das Bundesgesundheitsministerium in Veröffentlichungen nicht anders, die weiterhin alle online sind. „Teenstar“ ist aber nur gegen uns vorgegangen, weil der LSVD Sachsen zuvor eine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, wohl aus der Erwägung heraus, dass die Geldmittel für einen Rechtsstreit nicht vorhanden waren.

Was ist der aktuelle Stand der Dinge? Das Landgericht Köln hat erst einmal die einstweilige Verfügung von „Teenstar“ bestätigt, d.h. unser Bericht ist weiterhin offline. Das Ganze geht nun ins Hauptverfahren. Ich argumentiere da immer inhaltlich und sage: „Teenstar ist ein gefährlicher Verein, vor dem man nicht genug warnen kann“. Unser Anwalt sieht eher eine juristische Frage, die da lautet: Ist ein tagesaktuelles Online-Medium verpflichtet, einen Bericht nachträglich zu ändern? Denn als wir veröffentlicht hatten, gab es die Pressemitteilung des LSVD Sachsen ja noch, die Unterlassungserklärung wurde erst später unterschrieben.

Nicht alles entwickelt sich zum Rechtsstreit wie bei „Teenstar“, vieles davon könnt ihr offensichtlich also auch vorher wegbügeln. Die meisten Sachen, die von AfD-Politikern oder aus dem Umfeld der „Demo für Alle“ oder anderen homophoben Organisationen kommen, dienen der Einschüchterung! Da geht es gar nicht darum, einen bestimmten Bericht zu löschen, zu ändern oder zu verhindern, wir sollen einfach beim nächsten Mal nichts schreiben. Sie wollen uns ärgern. Das macht natürlich viel Arbeit. Wir müssen jeden Fall prüfen und uns zum Teil von einem Rechtsanwalt beraten lassen, bevor wir antworten. In der Regel weisen wir die Vorwürfe zurück, weigern uns, eine Unterlassungserklärung abzugeben und dann hören wir nie wieder was von denen. Aber bis dahin sind zwei Arbeitstage verloren, und im Zweifel kommt eine Anwaltsrechnung für die Beratung.

Haben die Angriffe auf Queer.de nur damit zu tun, dass die rechten Kreise von fundamentalen Christen bis völkischem „Flügel“ einfach frecher und mutiger geworden sind oder gibt es mittlerweile schon so etwas wie eine konzentriertes Vorgehen, um unliebsame Medien zu Fall zu bringen? Ich sehe noch keine Absprachen, sonst wäre die Situation anders. Wir haben mit ganz unterschiedlichen Anwälten aus unterschiedlichen Städten zu tun. Die Entwicklung hat vor fünf Jahren begonnen, als eine „Alliance against Defamation“ uns aufforderte, Gabriele Kuby keine Homo-Hasserin zu nennen, sonst würden wir verklagt werden. Das haben wir natürlich nicht eingesehen, denn schließlich ist sie eine Homo-Hasserin und wir haben die Fachkompetenz, das zu beurteilen. Auch hier haben wir nie wieder was von denen gehört. Seitdem nehmen die Abmahnungen aber ständig zu.

Siehst du angesichts der vermehrten Angriffe auf euch und andere Medien die Pressefreiheit in Deutschland zunehmend in Gefahr? Die Pressefreiheit sicher nicht, aber es gibt schon eine beunruhigende Tendenz, Medien zunehmend in ihrer Arbeit zu diffamieren und politisch in bestimmte Ecken zu stellen. Von rechts passiert das sowieso, aber zum Teil auch bereits aus der Mitte der Gesellschaft, von Abgeordneten und auch aus der Community heraus. Ich sehe es als den Auftrag von Queer.de, uns gegen Homo- und Transphobie in der Gesellschaft zu stemmen. Doch als wir uns zum Beispiel gegen die Homophobie von Boris Palmer oder Sahra Wagenknecht positioniert haben, hagelte es eine Menge Kritik bis hin zu Abo-Kündigungen. Da ist die sehr stark entlang der Parteien ausgerichtete Organisation der deutschen LGBTIQ-Bewegung durchaus schwierig, denn zu oft ist die Parteitreue wichtiger als die Freiheit der Medien.

Braucht die queere Community, einschließlich der queeren Medien, nicht mehr Zusammenarbeit, vielleicht auch so was wie einen Fonds, um den zunehmenden Angriffen finanziell und juristisch etwas entgegenzusetzen? Über die Gründung von so etwas wie einer „Queeren Hilfe“, die sich genau solchen Fällen annimmt, bin ich gerade mit einigen Menschen im Gespräch. Als letztes Jahr der Soziologie-Professor Gerhard Amendt die halbe Community und auch uns abgemahnt hatte, nahmen sich alle ihre eigene Anwält*innen, alle ließen sich unabhängig voneinander beraten und ich habe versucht, wenigstens eine E-Mail-Kommunikation untereinander aufrecht zu erhalten. Natürlich fehlt da ein unabhängiges Büro, an das wir uns bei solchen Fällen von Abmahnungen und Einschüchterungen wenden kann, das solche Fälle sammelt, vernetzt, dokumentiert, den juristischen Sachverstand und die Beratung bietet und gleichzeitig im Notfall mit einem Fonds solche Rechtsstreitigkeiten auch finanziell unterstützt.

Wie kriegt die Community so etwas umgesetzt? Wir haben viel Fachkompetenz bei den schwulen Juristen, die sehr gut organisiert sind, aber die haben natürlich auch kein Büro, das so etwas leisten könnte. Es geht also um die Frage, wie kriegt man so etwas in eine Struktur gegossen? Ich bin mir sicher, dass wir alle, von den Vereinen und Verbänden bis hin zu den Medien, sehr stark profitieren könnten, wenn wir so etwas hinbekämen. Vernetzung ist die richtige Antwort.

Interview: Dirk Ludigs

queer.de

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