Interview mit Lutz van Dijk

Gedenken an queere NS-Opfer: „Es reicht nicht, dass Homosexuelle mitgenannt werden"

3. Aug. 2022 as
Bild: Deutscher Bundestag / Tobias Koch
Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (vordere Reihe v.l.n.r.): S. E. Mickey Levy, Präsident der Knesset des Staates Israel, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, SPD, MdB, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

2023 wird erstmals im Bundestag den queeren Opfern des NS-Regimes gedacht. Wir sprachen mit Aktivist Lutz van Dijk, der maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt war

Seit mehreren Jahren engagiert sich LGBTIQ*-Aktivist und Historiker Lutz van Dijk für ein Gedenken an queere NS-Opfer. Im Januar 2018 initiierte er eine Petition, die an das Präsidium des Deutschen Bundestages gerichtet war. Die Forderung: Am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, solle in der Gedenkstunde im Bundestag an die queeren Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden. Lange Zeit wurde dies abgelehnt. Doch die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) signalisierte bereits Ende letzten Jahres Offenheit für den Vorschlag und versprach, ihn bei den Vorbereitungen für die Gedenkstunde im Jahr 2023 zu berücksichtigen. Ende Juli kam dann endlich die Nachricht: Am 27. Januar 2023 werden im Bundestag erstmals Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität vom NS-Regime verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden. Wir fragten Lutz van Dijk , wie es dazu kam

Lutz, du setzt dich schon seit vielen Jahren für ein Gedenken an queere NS-Opfer im Bundestag ein. Der ehemalige Bundestagspräsident Schäuble (CDU) hatte dieses Anliegen stets abgelehnt. Wie kam es jetzt zu diesem Sinneswandel? Dass unsere Petition für die Gedenkstunde und das Engagement auch vieler anderer nun endlich anerkannt wurde, hat fraglos damit zu tun, dass Bärbel Bas (SPD) durch den Regierungswechsel in Berlin Bundestagspräsidentin wurde. Auch früher hatte sie sich in ihrem Wahlkreis Duisburg schon queerpolitisch engagiert. Aber auch in der vorigen Regierungspartei CDU hat sich bei dem Thema einiges bewegt, nicht zuletzt durch das Engagement der LSU (Lesben und Schwule in der Union). Eine wichtige Zäsur war auch die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten im Jahr 2018. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt übernahm er Verantwortung und bat um Vergebung für die staatliche Verfolgung von LGBTIQ*.

„Unter Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schien es lange wenig hoffnungsvoll, dass dies gelingen würde."

Wie hast du dich in den letzten Jahren konkret engagiert, damit dieses Gedenken umgesetzt wird? Ich hatte das Privileg, bereits vor Jahrzehnten homosexuellen Häftlingen, die Konzentrationslager überlebt hatten, zuhören zu können. Inzwischen gibt es keine Überlebenden mehr. Unsere Petition „Aufruf zum Erinnern an sexuelle Minderheiten am 27. Januar in der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus“ basiert unter anderem auf diesen Erfahrungen. Mir war es wichtig, die Diskussion über ein Gedenken an sexuelle und geschlechtliche Minderheiten nicht nur wachzuhalten, sondern auch immer wieder mit neuen Impulsen zu versehen. Unter Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schien es lange wenig hoffnungsvoll, dass dies gelingen würde. Umso bedeutender war es, Bündnispartner*innen über die LGBTIQ*-Community hinaus zu gewinnen. Durch die Petition gelang es, mehrere Holocaustüberlebende, Vertreter*innen von verschiedenen Opfergruppen sowie Kirchen, Gewerkschaften und Parteien ebenso wie Historiker*innen aus Deutschland und anderen Ländern zusammenzubringen. Wichtig war auch die Zusammenarbeit mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH).

„Das hilft zu verstehen, warum und wie sexuelle und geschlechtliche Minderheiten von den Nazis gehasst, verfolgt und teilweise ermordet wurden."

Was würdest du Leuten antworten, die sagen, es wäre falsch, bei solchen Gedenkveranstaltungen spezielle Opfergruppen besonders in den Fokus zu nehmen, anstatt aller Opfer zu gedenken? Das war unter anderem auch ein Argument des ehemaligen Bundestagspräsidenten Schäuble. Das bedeutet aber auch, dass über die Verfolgung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten nicht konkret gesprochen wird. Es reicht nicht aus, dass in der Aufzählung der Opfergruppen in der Gedenkstunde im Bundestag auch Homosexuelle mitgenannt werden. Das hilft uns und der breiten Öffentlichkeit nicht zu verstehen, warum und wie sexuelle und geschlechtliche Minderheiten von den Nazis gehasst, verfolgt und teilweise ermordet wurden. So gab es für homosexuelle Männer den Paragrafen 175, der in der Bundesrepublik Deutschland erst 1994 gänzlich abgeschafft wurde. Lesbische Frauen wurden von den Nazis zum Beispiel als „Asoziale” verhaftet und ebenfalls ermordet. Über die Verfolgung von trans Personen wissen wir immer noch zu wenig.

Kannst du uns schon Genaueres dazu sagen, in welcher Form das Gedenken ablaufen wird? Das ist natürlich zuerst eine Entscheidung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und ihrem Präsidium, denn die Gedenkstunde ist eine Veranstaltung des Bundestages. Umso erfreulicher ist, dass es bereits einen konkreten Austausch über die Gestaltung gibt, bei dem auch eine Planungsgruppe beraten darf, der u.a. der LSVD und ich angehören. Wir würden uns freuen, wenn es eine integrative Gedenkstunde wird, bei der Stimmen von damals ermordeten oder inzwischen verstorbenen Menschen, die sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten angehörten, vorgelesen werden. Wie wichtig es auch für andere Opfergruppen und eine humane Gesellschaft insgesamt ist, sexueller und geschlechtlicher Minderheiten als NS-Opfer zu gedenken, könnte ein/e Holocaust-Überlebende/r verdeutlichen. Gut wäre es sicher auch, wenn jemand zu Wort käme, der nach 1945 staatlich verfolgt wurde.

Bild: Lutz van Dijk

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